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dpa - Deutsche Presseagentur GmbH

Journalisten im Norden: Pressefreiheit ohne Grenzen?

In vielen Ländern der Welt ist die Pressefreiheit bedroht. Nicht so in Skandinavien, wenn man der jährlichen Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ glaubt. Doch auch im Norden Europas geraten Journalisten unter Druck.

Helsinki/Oslo − Kita-Plätze, Design, Homo-Ehe, Lebensglück: Die Liste mit Bereichen, in denen die nordischen Länder gefühlt zum Vorbild taugen, ist lang. Auch auf der Rangliste zur Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ belegen die Nordeuropäer jedes Jahr die vorderen Plätze. Allen voran seit vielen Jahren: Finnland. Und auch Norwegen, Dänemark sowie Schweden spielen vorne mit. Grund genug, einmal nachzufragen, warum es um die Rechte von Journalisten in diesen Ländern anscheinend so glänzend bestellt ist.


Für Elina Grundström, Chefin des finnischen Presserats, ist die Sache klar: Schließlich sei der Vater des ersten Gesetzes zur Pressefreiheit weltweit ein Finne gewesen, erzählt sie. Schon 1766 machte Anders Chydenius die Verankerung der „Tryckfrihet“ in der schwedischen Verfassung möglich. Damals gehörte Finnland zu Schweden. „Das ist ein gemeinsames Erbe, das immer noch sehr lebendig ist.“

Dass Journalisten in ihrem Land − und in den übrigen nordischen Ländern − so frei arbeiten können, hängt heute auch mit der großen Transparenz zusammen. „In Finnland sind alle offiziellen Dokumente öffentlich zugänglich, wenn sie nicht aus besonderen Gründen als geheim deklariert wurden“, sagt Grundström.

 

In seiner Heimat Schweden sieht Jonas Nordling, Präsident des schwedischen Journalistenverbands, diese Transparenz aber zunehmend in Gefahr − auch wenn es sich oft nur um kleine Gesetzesänderungen handle, nach denen Medien der Zugriff auf bestimmte Informationen verwehrt werden könne. „Jeder Schritt in Richtung einer weniger offenen Gesellschaft ist aus Sicht von Journalisten ein schlechter Schritt“, sagt Nordling.

 

Im Gegensatz zu ihren Kollegen in vielen anderen Ländern weltweit sehen sich Journalisten in Nordeuropa dagegen selten dem Druck von Politikern ausgesetzt. Gerade deshalb erregte ein Fall in Finnland, in den Regierungschef Juha Sipilä höchstpersönlich verwickelt war, Ende 2016 riesiges Aufsehen. Der liberale Politiker hatte versucht, einen Bericht des öffentlichen Rundfunksenders Yle über eine Firma zu beeinflussen, die seiner Familie gehört, indem er etwa 20 E-Mails an den Reporter schickte.

 

Yle hatte seine Berichterstattung daraufhin zurückgefahren. Dafür handelte sich der Sender eine Rüge vom Presserat ein. „Wir fanden, dass der finnische Rundfunk die Macht, journalistische Entscheidungen zu treffen, abgegeben hat, weil er die Geschichte nach dem wütenden Feedback des Ministerpräsidenten geändert hat“, sagt Grundström.

 

In Norwegen hätten Medien nach den Terroranschlägen des Massenmörders Anders Behring Breivik im Sommer 2011 darüber geklagt, „dass es schwierig für Journalisten war, kritische Fragen zu stellen, weil das Land unter Schock stand und gelitten hat“, sagt die norwegische Medienforscherin Kristin Skare Orgeret.

 

Mehr als die Einflussnahme von Politikern machen Journalisten in den nordischen Ländern aber Hasskommentare und Drohungen in den sozialen Netzwerken zu schaffen. „Reporter stehen heute unter großem Druck von Redakteuren, jederzeit auf allen verschiedenen Plattformen sichtbar zu sein“, sagt Kristin Skare Orgeret. Das mache sie angreifbar für Hasskommentare und ähnliche Attacken von Nutzern. „Es kann zur Folge haben, dass sie vorsichtiger damit sind, was sie sagen.“ In Norwegen hätten sehr offene und direkte Journalisten nach solchen Angriffen entschieden, sich nicht mehr öffentlich zu äußern.

 

Auch in Finnland sei Hetze gegen Journalisten ein Problem, sagt Grundström − besonders, wenn sie über „sensible Themen wie Flüchtlinge“ schrieben. „Selbst in Schweden (...), das traditionell zu den Ländern mit der ausgeprägtesten Pressefreiheit gehört, klagen im Zeichen einer stärker werdenden nationalistischen Strömung erschreckend viele Journalisten über Drohungen“, schreibt „Reporter ohne Grenzen“ in seinem Bericht für 2016. In Dänemark wurden Mitarbeiter der „Jyllands-Posten“ nach der Veröffentlichung der islamkritischen Mohammed-Karikaturen 2005 bedroht und angegriffen.

„Herausforderungen für die Pressefreiheit gibt es in jedem Land“, entgegnet der Schwede Nordling. Und Kristin Skare Orgeret meint über Norwegen: «Insgesamt ist die Situation sehr gut.“ Obwohl sinkende Einnahmen auch im Norden Medienhäusern zu schaffen machen, ist die Vielfalt groß. „Die Finnen haben immer sehr gerne Zeitungen abonniert und gelesen, und das tun sie immer noch“, sagt Grundström. Auf 5,5 Millionen Einwohner kommen in dem Land rund 50 Tageszeitungen und etwa 150 weitere Zeitungen, wie „Reporter ohne Grenzen“ berichtet.

 

Auch im Nachbarland Norwegen mit knapp 5,3 Millionen Einwohnern gibt es 200 Zeitungen. In kleineren Orten unterstütze der Staat hier die Zeitungen mit geringerer Auflage, um Medienvielfalt zu sichern, sagt Kristin Skare Orgeret. Auch wenn sich die meisten Medien in der Hand von einigen wenigen Eigentümern befinden − „viele dieser Zeitungen haben ein sehr lokales Profil und sind sehr lebhaft und wichtig für die Demokratie vor Ort“. Pressefreiheit, findet die Forscherin, sei nichts, „das kommt, und dann ist alles gut. Es ist etwas, wonach man jeden Tag streben und für das man jeden Tag kämpfen muss“.