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"Facebook bedient sich der Grammatik von Agitation und Propaganda"

"Facebook bedient sich der Grammatik von Agitation und Propaganda" Thomas Krüger: Verweile doch, du bist so schön!

"Wir alle haben die Datenkrake erst zu dem gemacht, was sie ist. Von den Verlagshäusern bis zu öffentlichen Institutionen ohne Ausnahme: Wir haben das Kommunikationsversprechen, alle und jeden mit allen und jeden zu erreichen, eingelöst und dabei die Kontrolle vollends an die Datenmaschinen abgetreten", sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung beim European Newspaper Congress in Wien.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, sprach auf dem European Newspaper Congress, für den im Wiener Rathaus über 500 Chefredakteure und Medienmanager zusammengekommen waren, über die "unheimliche Macht" von Facebook. Hier seine Rede im Wortlaut:
   
       "Es ist modern geworden, Facebook zu kritisieren. Dank Cambridge
    Analytica hat sich die hässliche Fratze der Datenkrake ins
    öffentliche Blickfeld begeben. Als wenn nicht schon vorher klar war,
    dass Facebook und die anderen digitalen Datenhändler die Ressourcen
    für politische und kulturelle Manipulationen kontrollieren. Die
    Klage, es gehe den digitalen Monopolisten nur ums Geld, ist mir zu
    billig. Auch im analogen Zeitalter ist mit Medien skrupelloses Geld
    verdient worden. Und es ist auch nicht wirklich neu, dass Unternehmen
    ihr Geld mit der Kannibalisierung überkommener ökonomischer Modelle
    machen.
   
       Interessant ist, dass wir alle die Datenkrake erst zu dem gemacht
    haben, was sie ist. Von den Verlagshäusern bis zu öffentlichen
    Institutionen ohne Ausnahme: Wir haben das Kommunikationsversprechen,
    alle und jeden mit allen und jeden zu erreichen, eingelöst und dabei
    die Kontrolle vollends an die Datenmaschinen abgetreten. Das
    zuckersüße Versprechen, in einer immer heterogenen Welt in nahezu
    jede noch so diverse Privatsphäre vorzustoßen, hat uns verlockt,
    dafür mit einer neuen Währung zu bezahlen, deren Wert wir nach wie
    vor unterschätzen: unseren personengebundenen Daten. Ich will noch
    einmal betonen: Da ist nicht etwas Außerirdisches über uns gekommen.
    Wir selber haben den mephistophelischen Pakt geschlossen und müssen
    nun selbst erfahren, dass uns das "Verweile doch, du bist so schön"
    im Halse stecken bleibt.
   
       Für unsere Diskussionen möchte ich einige Thesen formulieren, die
    weniger aus ökonomischer Perspektive, sondern aus dem Motiv des
    politischen Bildners entworfen sind, der der Aufgabe nachgeht, die
    Demokratie als politisches Regulativ zu stützen und zu verteidigen:
   
       Erstens: Facebook ist eine undemokratische Kommunikationsmaschine.
    Sie kennt keine Widersprüche. Sie suggeriert in positivistischer
    Manier, dass es meine Meinung ist, die Öffentlichkeit konstituiert.
    Sie befreundet mich mit lauter Gleichgesinnten, die wütend erkennen,
    dass die "virtuelle schöne neue Welt" einer alten analogen Welt
    gegenübersteht, die von finsteren alten Mächten kontrolliert wird,
    gegen die man kämpfen muss. Facebook trägt zur Delegitimierung
    etablierter Repräsentationsformen bei und delegitimiert den
    Widerspruch als konstitutiven Bestandteil freiheitlicher Demokratie.
    Demokratie lebt davon, Alternativen zu ermöglichen und dafür
    Mehrheiten zu bilden, ohne die Minderheitenposition essentiell in
    Frage zu stellen.
   
       Zweitens: Facebook bedient sich der Grammatik von Agitation und
    Propaganda. Versprochen und realisiert wird eine kommunikative Welt,
    die mir tendenziell immer recht gibt, mich dabei aber systemfeindlich
    instrumentalisiert und abkassiert, ohne dass ich das Gefühl habe,
    wirklich zu bezahlen. Die Versklavung der personengebundenen Daten
    kann als eine Art neokolonialer Praktik beschrieben werden. Hinter
    der Augenwischerei einer Idealwelt wird eine einkalkulierte
    dystopische Welt sichtbar.
   
       Drittens: Demokratische Verfahren sind gekennzeichnet davon, dass
    aus der öffentlichen Überprüfung von Positionen Widerspruch erwächst.
    Dazu bedarf es der Transparenz der Positionen. Die "alten Medien"
    haben sich in ihrer Wächterfunktion und mit der Aufklärung von
    Sachverhalten auf das Transparenzgebot gestützt. Ihre pejorative
    Infragestellung heute ("Lügenpresse") verdankt sich der Aushebelung
    von Transparenz. Die Algorithmen der sozialen Medien sind
    intransparent und entziehen sich der Überprüfung und einer möglichen
    kontroversen Diskussion. Die Intransparenz entzieht das "soziale
    Medium" der Aufklärung. Dafür bekommt der Nutzer ein Geschenkt: Er /
    sie hat immer recht. So etwas wie plurale Öffentlichkeit wird radikal
    abgewertet. Das "soziale Medium" ist in Wirklichkeit individuell.
    Sozial ist nur, was sich in meiner individuellen Blase bewegt.
   
       Viertens: Facebook ist als globaler Datenmonopolist immer noch ein
    amerikanisches Unternehmen. Im "Falle der Gefährdung der nationalen
    Sicherheit" kann sich die Exekutive in letzter Konsequenz Zugang zu
    den globalen Daten verschaffen. Die Megamacht über Milliarden von
    aggregierten Profilinformationen ist nicht bodenlos. Liest man Trumps
    "America First" als Kriegserklärung an den Rest der Welt, wird ein
    Szenario sichtbar, dass als globaler Datenkolonialismus neue Formen
    von Kontrolle und Überwachung etabliert.
   
       Zwei Optionen im Umgang mit Facebook:
   
       Erstens: Es gibt die Forderung nach einem alternativen Facebook,
    das demokratische Standards gewährleistet. Eine Kollaboration von
    Verlagshäusern und öffentlich rechtlichen Medien könnte dafür sorgen,
    dass auch im Netz die Regeln einer liberalen freiheitlichen
    Demokratie gelten. Die Frage ist, ob die diversen Interessen der
    Medien einen solchen Schritt überhaupt denkbar machen und ob es nicht
    zu spät für eine solche Option ist. Wahrscheinlicher ist, dass um die
    alten Medienmarken soziale Medienwelten gebaut werden.
   
       Zweitens: Das Primat der Politik könnte beherzter als bisher
    Regulierungen durchsetzen, zum Beispiel durch die Anwendung von
    klassischem Medienrecht (Monopolverbot). Die Einführung einer
    Nachrichtenquote sowie verstärkte Informationen bzw. Transparenz über
    Algorithmen helfen den Bürgerinnen und Bürgern im Umgang mit den
    sozialen Netzwerken. Mikrotargeting bei Wahlen und anderen Formen von
    Bürgerbeteiligungen muss reguliert werden, zudem sollten wir eine
    Verpflichtung zur Interoperabilität diskutieren. Weitergehende
    Datenschutzregeln sind darüber hinaus notwendig, da die DGSVO bislang
    nur durch Offenlegungspflichten lindert, aber keine
    Verwendungseinschränkung realisiert. Aber vielleicht löst sich das
    Problem auch ganz anders. Viele junge Nutzer sind ja gar nicht mehr
    auf Facebook aktiv. Neue Dienste kannibalisieren die älteren. Aber
    das löst die Herausforderung nicht, Demokratie zu stärken durch
    politische Bildung. Und in welchem Medium auch immer: Medienkompetenz
    zu fördern ist ein zentraler Schlüssel! Als Präsident der
    Bundeszentrale für politische Bildung möchte ich daher insbesondere
    für die Förderung von Medienkompetenz werben. Denn digitale Teilhabe
    ist heute Voraussetzung für soziale Teilhabe. Oder anders formuliert:
    Ohne Medienkompetenz gibt es keine Demokratiekompetenz."
   
Der European Newspaper Congress 2018 ging gestern in Wien zu Ende. 500 Chefredakteure und Medienmanager tauschten ihre besten Konzepte aus, berichteten über erfolgreiche Cases und diskutierten über Werte und Verantwortung. Der European Newspaper Congress wird vom Medienfachverlag Johann Oberauer, der Stadt Wien und Norbert Küpper, Zeitungsdesigner in Deutschland, veranstaltet. Kooperationspartner wie der Verband der Österreichischen Zeitungsverleger unterstützen diese jährliche europäische Veranstaltung.