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Gutachten Di Fabio: Mindestlohn bei Zeitungszustellern Eingriff in Pressefreiheit

Setzt die Politik tatsächlich den Mindestlohn bei Zeitungszustellern um, greift sie damit in die Pressefreiheit ein.

München - Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., hat im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger ein Rechtsgutachten erstellt. Klare Erkenntnis - der vorgesehene Mindestlohn greift in die Pressefreiheit ein.

Newsroom.de liegt das Rechtsgutachten vor, wir dokumentieren hier die zentralen Ergebnisse.

1. Zum Schutzbereich der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gehört der Vertrieb von Presseerzeugnissen einschließlich der morgendlichen Zustellung von Zeitungen per Boten.

2. Die staatliche Regulierung von Stundenlöhnen für Zeitungszusteller ist ein Eingriff in die Berufsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit.

3. Der vorgesehene Mindestlohn greift in die Pressefreiheit ein.

4. Das Gewicht des Eingriffs (Eingriffsintensität) bemisst sich nicht nach isolierter Betrachtung des Zustellungsvorgangs, sondern im Kontext der konkreten wirtschaftlichen Situation einer privatwirtschaftlich getragenen freien Presse. In der Konkurrenz zu netzbasierten Informationszugängen ist die frühmorgendliche Zustellung ein zentraler Marktfaktor für die gedruckte Zeitung. Mit dem Rückgang des Werbeaufkommens wird die Kalkulation über den Verkaufs- und Abonnementpreis deutlich sensibler für Vertriebskosten.

5. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen etwa im Arbeits- und Sozialrecht auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionsbedingungen der freien Presse besondere Rücksicht zu nehmen. Es besteht ein institutioneller Verfassungsauftrag, Presse und Rundfunk im Blick auf die tragende Bedeutung für die demokratische Meinungsbildung zu schützen und gegebenenfalls aktiv unter Wahrung der Neutralität zu fördern.

6. Die bereits bestehende grundlegende staatliche Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann die Schutzpflicht gegenüber der Presse steigern, denn der Gesetzgeber darf nicht einen Teil der öffentlichen Meinungsbildung zulasten eines anderen Teils bevorzugen.

7. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, praktische Auswirkungen von wirtschaftsspezifischen Gesetzen auf das Pressewesen gesondert zu untersuchen, wenn ein konkreter Anlass dazu besteht. Dies ist bei der vorgesehen Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für Zeitungszusteller der Fall.

8. Der hohen Eingriffsintensität einer Mindestlohnregelung für die Zeitungszustellung steht eine vergleichsweise geringe sozial- und arbeitsmarktpolitische Rechtfertigung gegenüber. Das Ziel der Existenzsicherung von Arbeitnehmern durch auskömmliche Löhne für Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse greift in typischen Nebenerwerbsverhältnissen ins Leere.

9. Bereits die Eignung der Maßnahme „Mindestlohn für Zeitungszusteller“ ist im Blick auf das mutmaßliche gesetzgeberische Ziel der Existenzsicherung zweifelhaft. Jedenfalls aber vermindert sich das Gewicht der Rechtfertigung angesichts der Neben- und Ergänzungserwerbsbedingungen der Zeitungszustellung erheblich, so dass ein deutliches Missverhältnis (Disproportionalität) gerade auch unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs in die Pressefreiheit besteht.

10. Sowohl zur Vermeidung eines ungeeigneten und unverhältnismäßigen Eingriffs in die Pressefreiheit als auch in Beachtung der institutionellen Schutzpflicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist der Gesetzgeber gehalten, für die Zeitungszustellung eine Ausnahme von der vorgesehenen Mindestlohnregelung vorzusehen."

Bülend Ürük

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