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Kommunikations-Experte Kepplinger: "Journalisten sind keine Lügner, aber Gläubige, die ihre Sicht für die Wahrheit halten"

Kommunikations-Experte Kepplinger: "Journalisten sind keine Lügner, aber Gläubige, die ihre Sicht für die Wahrheit halten" Hans Mathias Kepplinger

Der renommierte Kommunikationsforscher Hans Mathias Kepplinger hat sich mit einer repräsentativen Befragung von 332 Tageszeitungsjournalisten in die Debatte um die Glaubwürdigkeitskrise im Journalismus eingemischt.

Berlin - Im Interview mit dem Mediendienst kress.de fordert er eine selbst- und kollegenkritischere Haltung. Journalisten seien zwar „keine Lügner“, aber: „Viele sind Gläubige, die bei kontroversen Themen ihre berufs- oder ressortypische Sichtweise irrtümlich für die Wahrheit halten. Das grenzt zuweilen an intellektuellen Hochmut.“


Außerdem nimmt er den SPD-Politiker Thilo Sarrazin vor der heftigen medialen Kritik in Schutz: „Einige Fernsehsendungen waren extrem unfair, einige Unterstellungen in Zeitungen liefen auf einen Rufmord hinaus.“ Sarrazin seien Thesen unterstellt worden, die dieser niemals aufgestellt habe.


Kepplinger sieht auch einige Grenzüberschreitungen im Journalismus kritisch. So halten laut der Studie 70 Prozent der Journalisten Übertreibungen für zulässig. Zu kress.de sagte er, dies verletze das Prinzip, „das Geschehen so darzustellen, wie es erkennbar ist“. Darüber hinaus sei diese Haltung „naiv oder unredlich, weil Übertreibungen negative Folgen besitzen können, für die kaum ein Journalist die Verantwortung übernehmen würde – obwohl er es müsste, weil er mit Absicht die erkennbare Realität falsch dargestellt hat“.


Der Kommunikationswissenschaftler bemängelt auch, dass Medienkritik – insbesondere im Fall des Ex-Bundespräsidenten Christian Wulf – totgeschwiegen würde: „Ein Viertel der Journalisten findet das Verschweigen der Medienkritik der betroffenen Politiker mehr oder weniger akzeptabel. Noch bemerkenswerter ist der aus Sicht der Journalisten wichtigste Grund dafür: auch wenn die Kritik der Politiker ‚an einzelnen Artikeln zutreffen‘ möge, ändere das ‚nichts an ihrem skandalösen Verhalten‘.

 

Demnach steht für diese Journalisten fest, wie die Politiker sich verhalten haben – obwohl zum Beispiel im Fall Wulff der Artikel, der zur Aufhebung seiner Immunität führte und damit seinen Rücktritt unausweichlich machte, aufgrund eines Gerichtsbeschlusses nicht mehr verbreitet werden darf und nach den üblichen Kriterien als Falschmeldung betrachtet werden muss. Der Anker dieses Denkens sind nicht die verfügbaren Fakten sondern die eigenen Vorurteile, die dagegen ins Feld geführt werden.“ (fhs/B.Ü.)

 

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Buchtipp: Hans Mathias Kepplinger, Totschweigen und Skandalisieren. Was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken, 232 Seiten, 11 Abbildungen, 28 Tabellen, 21,00 Euro, ISBN (Print) 978-3-86962-284-2