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Bei Madsack bleibt "kein Stein mehr auf dem anderen"

Die Millionen der SPD bewahrten den Madsack-Verlag einst vor dem Niedergang. Heute gilt Madsack als profitabelste Zeitungsbeteiligung der Sozialdemokraten. Mit der nun offiziell genehmigten Übernahme der "Märkischen Allgemeinen" beginnt für die über 1000 Journalisten des Traditionshauses eine neue Zeitrechnung. Nach der Umstrukturierung bleibt "kein Stein mehr auf dem anderen", heißt es aus Hannover.

Berlin - Es wird Zeit, schon seit Monaten trommelt die Geschäftsführung für ihre Umstrukturierungspläne, schafft Strukturen, motiviert Chefredaktionen und deren Stäbe, den Wechsel in der überregionalen Berichterstattung mitzugehen.

Wirtschaft, Kultur, Service, natürlich Politik - alles kommt in Zukunft aus der Bundeshauptstadt von der Pool-Redaktion, vor Ort, in den heiligen Räumen der Regionalzeitungen in Hannover, Leipzig, Lübeck und jetzt Potsdam wird redigiert, umgesetzt, passend für die jeweilige Region gemacht. Das überregionale Sport-Ressort bleibt den Titeln dagegen erhalten, die Sport-Redaktionen werden jedoch ebenfalls enger zusammenarbeiten.

Madsack-Chef Herbert Flecken kann sich bei der Schaffung seiner neuen 25-köpfigen Berliner Redaktion bequem zurücklehnen und von den Erfahrungen anderer Medienhäuser profitieren.

So ist das Experiment Einheitsredaktion bei Axel Springer in Berlin gelungen, Carsten Erdmanns Morgenpost ist das Blatt für die Menschen in der Hauptstadt, während Jan-Eric Peters mit der Welt überregional mit Süddeutsche oder FAZ konkurrieren kann.

Andere Verlage haben es nicht so geschmeidig hinbekommen, die Etablierung eines Über-Chefredakteurs, der aus dem eigenen Stall kam und auch weiterhin seine "eigene" Zeitung lenkt, führte im Westen zu ziemlich verärgerten anderen Chefredakteuren, die den Mann aus ihrer Reihe nie akzeptiert haben und jetzt eher um die Bedeutung ihrer eigenen Position kämpfen als um die Zukunft ihrer Zeitung, als um die Leser.

Rückblick

Wenn lebenserfahrenere Kollegen aus Hannover sich an die 70er Jahre erinnern, loben sie die Freiheiten, die ihnen ihre Verlage in der Stadt an der Leine einräumten. Die Konkurrenz kam von anderen Tageszeitungen, es gab keine Privatradios, kein Privatfernsehen, kein Internet - wer sich über das Geschehen vor Ort und in der Welt informieren wollte, musste morgens in den Briefkasten greifen und seine Tageszeitung herausfischen. Doch trotz der fehlenden Mitbewerber waren es einzig die Millionen der SPD, die Madsack 1974 retteten. Der Verlag hatte sich hoffnungslos beim Bau seines Verlagsgebäudes verhoben, Geld ausgegeben, was er nicht hatte; im November 1974 kamen die Sozialdemokraten an Bord, um zu helfen und um zu bleiben.

Seitdem lässt die SPD - heute größter Einzelaktionär - die Geschäftsführer schalten und walten, ihre konservativ-bürgerliche Herkunft konnte beispielsweise das Stammblatt, die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), nie ablegen. Musste sie auch nicht - solange die Medien Geld verdienen und nicht wie in Dortmund oder Frankfurt Millionen vernichten, bleiben hektische Anrufe und Aktionen aus Hamburg, wo das SPD-Medien-Unternehmen DDVG (Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft) seinen Sitz hat, aus. Am Ende dreht sich alles um den schnöden Mammon, um den Euro in der Kasse.

Größtes privates Medienunternehmen Niedersachsens

Madsack galt lange Zeit nur in Niedersachsen als dicker Fisch. In den vergangenen Jahren konnte das Unternehmen jedoch enorm wachsen. 2002 arbeiteten noch 2949 Mitarbeiter für Madsack, 2010 waren es 4000 Beschäftigte bei dem Medienkonzern, im gleichen Zeitraum wuchs der Konzernumsatz um 154 Millionen auf stolze 600 Millionen Euro, was aber nicht am guten Werbe- oder gar Vertriebsmarkt lag, sondern an der Übernahme von verschiedenen Springer-Regionalzeitungsbeteiligungen (Leipziger Volkszeitung, Ostsee-Zeitung, Kieler Nachrichten, Lübecker Nachrichten).

Wer wächst, kann, nein muss sich fokussieren, muss sich auf Kernfelder konzentrieren. Zeitungsgruppen können durchaus helfen, einzelne Objekte inhaltlich zu stärken. Die madsackschen Blätter und auch die jetzt neu erworbene "Märkische Allgemeine" quälen keine offensichtlichen Qualitätsdefizite. Die Blätter sind handwerklich ordentlich gemacht, das Layout ist rustikal und entspricht vielerorts dem Wunsch der Leserschaft nach Beständigkeit.

Was die Zeitungen auszeichnet, ist ihre Tradition, ist die Verbundenheit vieler Leser aus der Fläche, die aber immer weniger werden und die immer seltener bereit sind, ein Abonnement zu beziehen, wenn es die Nachrichten kostenlos im Internet gibt. Der Mehrwert eines Zeitungsabos ist oft verschwunden, wer früher am Leben teilhaben wollte, musste Tageszeitung lesen. Nur wer Zeitung las, wusste, was in seiner Stadt und in der Region passierte. Heute gibt es Journalismus, die Themen des Tages im Internet. Ein bedrucktes Journalismus-Produkt, dass dank der Flatrate, dem Abo, der Bote an sechs Tagen in der Woche bis zu den eigenen Treppenstufen liefert, zählt bei vielen Familien nicht mehr zur Grundversorgung wie Brötchen, Butter und Milch.

Der Spagat, alte Leserkreise weiter zu bedienen und zu halten und neue - auch im Internet - zu gewinnen, ist die größte Herausforderung, die Manfred von Thien, der "Beauftragte des Verlegers im Range eines Chefredakteurs" stemmen muss. Von Thien ist der "Erste Journalist" im madsackschen Tageszeitungsreich, der von Schleswig-Holstein über Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen bis Hessen reicht; die Auflage aller 22 - offiziell gezählten - Zeitungen liegt weit über eine Million täglich verkauften Exemplaren. Die Blattgewalt bleibt nach unseren Informationen jedoch weiterhin bei den Chefredakteuren der einzelnen Zeitungen, von Thien kann sich voll und ganz auf das Wagnis Berliner Zentral-Redaktion konzentrieren und dem Madsack-Konzern in der Hauptstadt Zugang zu wichtigen Entscheidern schaffen.

Manfred von Thien galt in seiner langen und erfolgreichen beruflichen journalistischen Laufbahn nie als Mann des Lokalen. Diese Leidenschaft muss er jedoch offen zeigen, will er die Ansprüche der Blätter erfüllen und zeitgleich überregional der Madsack-Gruppe eine Stimme geben. Er benötigt gute Autoren, die bereits mit ihrem Namen für Qualität und Exklusives bürgen und die Berichte multimedial denken und aufbereiten können, dabei aber auf die Bedürfnisse der Zeitungen und vor allem der Leser in den verschiedenen Bundesländern achten. Zur Not muss er ihnen die Möglichkeit geben, sich zu entfalten, sich einen Namen zu machen, ergo mehr Geld in die Redaktion, in die Korrespondenten, in die Pool-Redaktion stecken.

Ein Dieter Wonka alleine reicht nicht.

Mit der Märkischen Allgemeine, die jetzt auch offiziell von Madsack erworben werden darf, nimmt der Verlag aus Hannover ein weiteres gesundes Blatt in sein Portfolio auf. Hier müssen aber noch Millionen zusätzlich in die Hand genommen werden, lediglich mit einer neuen, teuren Rotationsanlage könnte die Zeitung mit ihren 15 Lokalausgaben und einem Vertriebsgebiet von stattlichen 14.000 Quadratkilometern komplett vierfarbig erscheinen. Auf andere Druckereien kann der Zeitungsverlag nicht ausweichen, alle eigenen Druck-Standorte (Rostock, Lübeck, Hannover, Peine, Göttingen, Marburg, Leipzig und Gelnhausen) sind zu weit weg, um Tag für Tag die 136.147 Exemplare pünktlich nach Brandenburg zu schaffen; Synergien soll es jedoch an anderen Stellen geben.

Viel wichtiger bei der Millioneninvestition in die Druckerei - Fremdaufträge blieben im Haus und müssten nicht an Mitbewerber weitergereicht werden. Wettbewerb hat die MAZ, größte Zeitung in Brandenburg, in ihrem Kernverbreitungsgebiet offiziell zwar kaum zu fürchten, vergessen wird dabei allerdings immer wieder, wie stark die Berliner Zeitungen - von B.Z. über Berliner Zeitung bis Tagesspiegel - im Märkischen wildern.

Eigentlich möchten die Hannoveraner mit Käufen auf dem Zeitungsmarkt in nächster Zeit nicht mehr in Erscheinung treten. Eigentlich, denn Madsack ist Verfechter der Achten Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die Pressefusionen leichter ermöglichen soll.

Welcher Verlag würde sich schon mit der neuen Novelle eine echte Gelegenheit entgehen lassen, wenn das Bundeskartellamt nicht mehr im Wege steht?


Bülend Ürük