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Musikmagazin-Macher im Interview: "Wir fetzen uns meistens im Plattenladen"

Sie kennen und schätzen sich. Wenn sie streiten, geht es um Bands und Platten. Ihr Herz schlägt für die Rockmusik, für den BVB – und für eine Stadt, die ihre Rock-Szene mehr fördern sollte.

Dortmund - Meinen zumindest Götz Kühnemund (Chefredakteur „Rock Hard“) und Michael Lohrmann (Herausgeber „Visions“), die in Dortmund Musikmagazine für ganz Deutschland machen. Kai-Uwe Brinkmann traf sie zum Doppel-Interview.

Wie würdet Ihr Euer Verhältnis beschreiben?

 

Götz Kühnemund, Jahrgang 1966, ist seit Anfang 1990 Chefredakteur von "Rock Hard". Als "Sir Pommes" war der Journalist auch Sänger der Band "Randalica". Michael Lohrmann, Jahrgang 1970, ist Herausgeber und Gründer von "Visions". Sein Interview-Magazin "Galore" musste Lohrmann, der am Anfang seiner beruflichen Laufbahn eine Ausbildung bei der Post abbrach, trotz guter Kritiken wieder einstellen.

 

Götz Kühnemund: Wir haben einen guten Draht zueinander, schon immer gehabt. Das rührt auch von der Tatsache, dass unsere Hefte unabhängig sind, und wir in der Springer-Presse einen gemeinsamen Feind haben. Rock Hard gegen Metal Hammer, Visions im Alternative-Bereich gegen Rolling Stone und Musikexpress. Unsere Magazine haben ähnliche Werdegänge. Beide wurden als Fanzine gestartet, von Leuten, die heute an maßgeblicher Stelle noch dabei sind. Die Philosophie dahinter ist die gleiche.

Michael Lohrmann: Zwischen uns gibt es mehr Gemeinsamkeit als Unterschiede. Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis, jeder wünscht dem anderen Gutes.

Götz Kühnemund: Genau. Ich wäre traurig, wenn Visions den Kampf gegen Springer verlieren würde.

Standort für Verlag nicht entscheidend

Zwei bundesweite Magazine beheimatet in Dortmund. Was spricht für den Standort, was dagegen?

Michael Lohrmann: Der Standort ist nicht mehr so entscheidend wie vor zehn Jahren. Dank der Technik könnte man zuhause arbeiten. Aber Dortmund hat schon Nachteile gegenüber Hamburg oder Berlin: Die Konzertdichte ist deutlich niedriger. Es ist schwer, seine Bands hier sehen zu wollen. Wir hatten eine Menge Praktikanten, die Dortmund liebenswert fanden, bis sie es satt hatten, dreimal die Woche zu Konzerten zu fahren. Andererseits ist es ganz dienlich, nicht im Hotspot zu stecken. So kann man sein eigenes Süppchen kochen.

 

Die aktuelle Titelseite der "Visions".

 

Götz Kühnemund: Genau. Ich sehe es als Vorteil, nicht im typischen Medienklüngel mitzumischen, sondern eigenständig zu sein. Rock Hard macht keine Deals mit Plattenfirmen. Wer weiß, ob das so wäre, wenn wir die ständig auf der Pelle hätten. Dann gibt es noch einen banalen Grund pro Dortmund: Die meisten von uns sind BVB-Fans und würden schon deshalb nicht weggehen (lacht).

Michael Lohrmann: Sagen wir so: Wäre nicht der BVB, könnte ich mir vorstellen, nach Hamburg zu gehen. So halte ich Dortmund die Treue.

Sachen bieten, die es im Netz nicht gibt

Am Bahnhofskiosk gibt es Dutzende Musikmagazine. Wie setzt man in der Vielfalt eigene Duftmarken?

Götz Kühnemund: Das ist tatsächlich schwierig. Es gibt immer mehr spezialisierte Anbieter. Der Kuchen ist nicht geschrumpft, aber die Teilchen werden kleiner. Früher war Rock Hard das Magazin, das die ganze Hard- und Heavy-Szene abdeckte, von A bis Z. Heute hat jede Sparte eigene Hefte. Wir sind zwar noch das Dach der Szene, aber die ist aufgesplittet.

Michael Lohrmann: Das ist bei uns nicht anders. Als wir mit dem Kiosk-Verkauf anfingen, war Grunge ganz groß. Mit Bands, auf die sich alle einigen konnten. Heute findest du Foren im Internet, wo vielleicht 300 Leute japanischen Grindcore abfeiern. Ein Magazin mit 128 Seiten im Monat kann solche Segmente nicht abdecken. Wir kämpfen dafür, als Sprachrohr von Indie- und Alternative-Rock durchzugehen, doch die alten Zeiten sind passé.

Wie kann man gegensteuern?

Götz Kühnemund: Beide Hefte retten sich gegen die Aktualität des Internets, indem sie Background-Stories machen und Sachen bieten, die es im Netz nicht gibt. Und beide Magazine sind auch ein bisschen politisch. „Engagiert“ klingt jetzt zu groß, aber wir sind...

Michael Lohrmann: … politisch positioniert.

Götz Kühnemund: Ja. Wir nehmen Stellung, auch zu brisanten Themen. Leser honorieren das. An deren Briefen sieht man, dass die Leute ganz genau lesen, dass man nicht bloß ein Info-Medium zur Musik ist.

Mehr investieren, um Zeitschriften zu verkaufen

So wie sich Rock Hard mit Tom Araya von Slayer anlegte, als er Chiles Diktator Pinochet gelobt hatte?

Götz Kühnemund: Ach, die alte Geschichte. Wir haben uns längst ausgesprochen und wieder vertragen. Aber nehmen wir das meinetwegen als Beispiel.

Michael Lohrmann: Zurück zum Hefte verkaufen. Man muss mehr und mehr investieren, um seine Verkaufszahlen zu erreichen, weil die Leute ein Stück weit verwöhnt sind. Es gibt Magazine, die legen ständig zwei CDs dazu, das ist kaum bezahlbar. Rock Hard und Visions haben aber ein großes Plus: Es sind identitätsstiftende Marken, denen Vertrauen entgegengebracht wird. Käufer wissen, woher wir kommen, wofür wir stehen.

Götz Kühnemund: Richtig. Beide Hefte haben deutlich mehr Abonnenten als die Konkurrenz. Leute zeigen sich solidarisch, wenn sie sich in einem Magazin zuhause fühlen. Die verzeihen auch mal eine schwache Ausgabe, solange dieser Familiengeist dahintersteckt. Ich fühle mich wirklich als Teil einer Szene und habe immer, so kitschig das klingt, in Familiendimensionen gedacht. Danach entscheide ich am Kiosk, wofür ich Geld ausgebe, ob für Sport-Bild oder für 11 Freunde.

Rock Hard verkaufte 1998 55.000 Hefte, Ende 2011 waren es 28.000. Wie fängt man das auf?

Götz Kühnemund: Zahlen, mit denen wir am Markt aber ganz oben stehen. Wir versuchen mit dem Online-Shop zu kompensieren, außerdem macht jeder von uns zwei oder drei Jobs. Leute, die uns verlassen haben, wurden nicht ersetzt, das war unsere Antwort.

 

Die aktuelle Titelseite der "Rock Hard".

 

Und wie steht es mit dem Anzeigengeschäft?

Michael Lohrmann: Bei Markenartiklern hat Visions einen relativ guten Stand. Wir gelten nicht als schwitzig, aggressiv, radikal, wie das Vorurteil gegen Metaller lautet. Das Geschäft mit Plattenfirmen ist aber schwieriger geworden. Das macht es nicht leicht. Hinsichtlich der Auflage kämpfen wir mit ähnlichen Problemen wie Götz. Auch wir haben es so gespielt, dass wir weniger Personal haben und die Arbeit auf dessen Schultern verteilen.

Zeitschriftenverlage als Konzert- und Party-Veranstalter

Visions macht Partys und das Westend-Festival, Rock Hard ein Pfingst-Open-Air. Wie wichtig ist Euch das Veranstalten von Konzerten?

Michael Lohrmann: Die definieren ganz entscheidend unsere Gemeinschaft mit den Lesern. Finanziell kann man froh sein, am Ende eine schwarze Null zu schreiben, aber es macht auch total Spaß, mit Lesern und Fans im Publikum zu stehen und Danko Jones zu hören! Da habe ich Gänsehaut.

Götz Kühnemund: Stimmt. Bei unserem Festival tummeln sich fast nur Abonnenten, und es ist schön, dass die Leute positiv reagieren und man viel Lob kriegt. Finanziell kommt so viel herum wie bei einem gut laufenden Heft. Aber für die Leserbindung sind Festivals sehr wichtig.

Stirbt Fan-Begeisterung nicht irgendwann beim professionellen Blattmachen?

Götz Kühnemund: Geht ein Fan nach 30 Jahren plötzlich nicht mehr zu Borussia? Ich bin im Laufe meiner 46 Jahre in der Liebe zur Musik eher noch fanatischer geworden. Okay, manche Idole brechen weg. Mit Manowar herrscht ewige Feindschaft, Iron Maiden sind noch immer meine Lieblingsband. Wenn Michael und ich uns treffen, streiten wir liebend gerne über Musik. Und das machen viele in unserem Alter – ich finde das super! Wäre ich kein Fan, würde ich diesen Job nicht machen.

Michael Lohrmann: Wir treffen und fetzen uns meist im Plattenladen. Als Herausgeber bin ich nicht so nah am Tagesgeschäft wie Götz. Ich bin 42, und je älter ich werde, desto mehr höre ich die Sachen, die mich früher gekickt haben. Pink Floyd, Alice in Chains, Helmet, Soundgarden, das war prägend. Kommt die neue Testament, renne ich sofort in den Plattenladen.

"Dortmund steht für gute Musikzeitschriften"

 

Das Interview mit Götz Kühnemund und Michael Lohrmann erschien zuerst in den Dortmunder "Ruhr Nachrichten".

 

Erlebt Ihr eine Wertschätzung seitens der Stadtoberen?

Michael Lohrmann: Eines ist klar. Neben der Borussia steht Dortmund für gute Musikmagazine. Das ist definitiv so. Eine gewisse Wertschätzung seitens der Stadt gibt es schon, glaube ich. Das führt aber nicht automatisch zu Geldtransfer und Beschützerinstinkt. Leuchttürme wie Visions und Rock Hard zu fördern, wäre auch das falsche Signal. Es gibt eine rührige Szene, Läden wie Subrosa, Hirsch-Q und andere, die für eine Popkultur stehen, die enorm wichtig ist für Dortmund. Und nicht einmal mit Kleinstbeträgen unterstützt wird. 90 Prozent der Mittel fließen in die Hochkultur. Eine betuchte Klientel kauft subventionierte Karten fürs Konzerthaus und viele Junge und Kreative wandern ab, weil für Rockfreunde zu wenig Angebote existieren. Ich denke nur an unsere Praktikanten: Weg sind sie. Das ist über die Jahre ein Aderlass für die Stadt, der sich rächen wird. Da muss was passieren, das dürfen wir nicht hinnehmen.

Götz Kühnemund: Davon unterschreibe ich jedes Wort.

Mit Götz Kühnemund von „Rock Hard“ und Michael Lohrmann von „Visions“ sprach Kai-Uwe Brinkmann.