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Zeitungsforscher Günther Rager fordert: Schluss mit der Bescheidenheit

„Ob Qualitätszeitungen Zukunft haben? Gegenfrage: Wann beginnt die Zukunft? Sehr langfristig gesehen weiß das niemand. Die Frage halte ich allerdings für falsch gestellt – es ist die Frage nach der Verpackung, nicht nach dem Inhalt“, betont der renommierte Dortmunder Zeitungsforscher Günther Rager.

Dortmund - Ob auf Papier, Polymer-Folie oder auf dem Screen – Qualitätsjournalismus hat in jedem Fall eine Zukunft, zumindest solange, wie Menschen in demokratischen Gesellschaften sie für unverzichtbar halten. Pointiert könnte man sagen:  Qualitätsjournalismus ist die Zukunft - wir wissen nur nicht, ob er noch in Zeitungsverlagen erscheint.

Die spannende Frage lautet: Wer wird ihn in Zukunft finanzieren?

 

Unser Autor: Prof. Dr. Günther Rager ist Gesellschafter der mct media consulting team Dortmund und arbeitete bis 2009 als Professor am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund.

 

Es gibt einige hoffnungsfrohe Initiativen, Crowdfunding-Projekte, Stiftungsmodelle und immer wieder die Idee, Qualitätsjournalismus nach öffentlich-rechtlichem Vorbild über Gebühren zu finanzieren. All diese Entwicklungen können Medienhäuser zur Zeit beobachten und mit ihren Zeitungen weiterhin Geld verdienen. Was sie parallel tun können: Die lesende Menschheit daran zu gewöhnen, für Qualität demnächst auch dann zu zahlen, wenn sie nicht (nur) auf Papier geliefert wird. Und selbst Projekte zu realisieren, mit denen (auch im Netz) Geld verdient werden kann. Einige Punkte zur Debatte.

Es gibt sie noch, die Verlage, die richtig Geld verdienen. Ja, mit Zeitungen. Auf Papier.

Sie haben rechtzeitig reagiert. Sie haben angesichts sinkender Erlöse frühzeitig Kosten gesenkt, in Innovationen investiert, Vertrieb und Produktionstechnik optimiert.

Medien müssen starke Marken werden

Niemand weiß, wie lange es noch gut geht – aber derzeit bringt das fast immer mehr Geld als Online-Vertriebswege. Wenn es dann in unbestimmter Zukunft nicht mehr ausreichend Papier-Fans gibt, haben die Verlage es hoffentlich geschafft, sich ein Markenprofil auch online zu geben. Denn: Medien müssen starke Marken werden. Starke Marken werden im Web direkt angesteuert, sie werden auf Facebook abonniert, ihnen wird auf Twitter gefolgt, und sie können mit ihrem guten Namen vieles mehr verkaufen – seien es Wein-Editionen, DVD-Filmreihen, Leserreisen, Fortbildungen oder Kunstwerke.

Die Großen, die Qualitätszeitungen, haben das bereits geschafft. „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ ist ein Slogan, um den die FAZ zu beneiden ist. Allein durch seine Existenz heben sich die Frankfurter in der Medienlandschaft ab: Welche Slogans von Verlagshäusern kennt man sonst noch? Regionalzeitungen haben es da sicher schwerer.

Trotzdem, für Medienhäuser, die ihre Wurzeln im Printbereich haben, gilt: Wer eine starke Marke werden will, braucht auch starkes Marketing.

Verlage tun daher gut daran, ihre Etats auf den Prüfstand zu stellen: Tun wir genug dafür, die Marke zu stärken? Bringen wir sie mit den richtigen Werten und Images in Verbindung? Haben wir ein tragendes Online-Konzept? Zum Marketing gehört auch interne Öffentlichkeitsarbeit. Denn: Egal was in Chefredaktionen, Verlags-Geschäftsführungen und Strategieabteilungen zum Zusammenspiel zwischen Print und Online ausgeheckt wird – ausführen und mit Leben füllen müssen es auch die Journalisten.

 

Für den Slogan "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu beneiden", erklärt Günther Rager.

 

 

(Übrigens: Strategieabteilungen? Welche Strategieabteilungen? Viele Verlage haben nie nennenswert in Forschung und Entwicklung investiert und haben enormen Nachholbedarf darin, Trends zu erkennen und für die eigenen Produkte umzusetzen.) Journalisten also sind gefragt. Hier gibt es aber ein Problem: Journalisten haben Online und Print nun zwei Jahrzehnte lang als zwei Apparate erlebt, die bestenfalls nebeneinander, teilweise sogar gegeneinander, auf jeden Fall selten miteinander arbeiteten.

Sie haben gelernt, dass Online weniger wert ist. Onliner wurden geringer geschätzt und schlechter bezahlt. Letzteres ändert sich zwar langsam – gerade erst hat die Funke Mediengruppe angekündigt, Onliner und Printredakteure gleichzustellen. Einstellungen und Images ändern sich jedoch nur langsam und schwerfällig.

Journalismus wird diskursiver

Es wird vielleicht noch eine Generation dauern, bis dieser Antagonismus vollständig überwunden ist. Es führt aber kein Weg daran vorbei, dass jede Redaktion, jeder einzelne Journalist die eigene Arbeit besser verkauft. Damit ist auch gemeint, seine Texte und Bilder auf allen verfügbaren Kanälen zu teilen, zu bewerben, zu posten, zu twittern, zur Diskussion zu stellen. Journalismus wird diskursiver.

Aber hinter der Forderung nach stärkerer Vermarktung steckt noch mehr: Es geht darum, Leserinnen und Leser zu zeigen, dass Journalismus einen Wert hat. Dass die Leistung, die Journalisten täglich erbringen, Arbeit, Zeit und Geld kostet.

Eigene Leistungen hervorheben

Viele Leser wissen das nicht oder vergessen es leicht, da so vieles im Netz gratis zu haben ist. Journalisten sollten es ihnen sagen bzw. schreiben, so wie es die Öffentlich-Rechtlichen schon lange praktizieren: Diese Information haben wir hartnäckig recherchiert. Diesen komplexen Sachverhalt hat unsere Grafikerin visualisiert. Dieser Hintergrundbericht stammt von unserem Korrespondenten; er hat dafür eine Tagesreise unternommen, um einen wichtigen Ansprechpartner zu erwischen.

Dies kommt vielen Journalisten marktschreierisch vor. Das merken wir auch bei der Arbeit mit unserem Tool „Cockpit“, das den teilnehmenden Zeitungen täglich ein Feedback über ihre redaktionelle Leistung gibt.

Ein regelmäßiger Grund für Minuspunkten bei der Beurteilung: Zeitungen streichen zu wenig heraus, was eigene Leistungen sind. Selbst Chefredakteure diskutieren hartnäckig darüber, warum man seine Quellen so deutlich herausstellen soll. Als bei den Lesern bekannt wird vorausgesetzt, welchen Apparat Zeitungen unterhalten und welchen Aufwand sie betreiben. Aber: In Wirklichkeit wissen das die Leser nicht. Schon gar nicht die „Laufkundschaft“, die über Google oder Facebook auf Medienseiten gelangt.

Alle Experten gehen davon aus, dass Qualität langfristig das Erfolgsmerkmal für professionellen Journalismus sein wird. Natürlich, es wird in Zukunft weniger Zeitungs-Leser geben. Der Kuchen wird kleiner. Irgendwann wird die gedruckte Tageszeitung vielleicht nur noch einmal wöchentlich erscheinen, irgendwann dann vielleicht gar nicht mehr auf Papier. Umso wichtiger, dass Leserinnen und Leser bis dahin gelernt haben, zu den starken Medienmarken zu greifen – und für unabhängigen Qualitätsjournalismus auch zu bezahlen. Gerne auch an jene Medienhäuser, die sich heute noch Zeitungsverlag nennen.

Günther Rager

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