Recht
MS/B.Ü.

Böhmermann zerstückelt: Landgericht Hamburg pickt verbotene Verse aus dem Schmähgedicht heraus

Böhmermann zerstückelt: Landgericht Hamburg pickt verbotene Verse aus dem Schmähgedicht heraus Michael Schmuck.

Gestern fiel die erste presserechtliche Eil-Entscheidung in Sachen Schmähgedicht. Die Hamburger Pressekammer verbietet Teile als beleidigend und erlaubt andere als satirisch. (Az.: 324 O 255/16) Das Ding mit der Ziege gehört zu den ver­botenen Teilen, Kritik an Erdogans Politik zu den erlaubten. Eine weise Entscheidung aus dem Abendland, so der Berliner Jurist und Journalist Michael Schmuck.

Berlin - Fehlerhaft „seziert“ habe die Hamburger Presse­kammer das Gedicht seines Mandanten, sagte Böhmer­manns Medienanwalt Prof. Dr. Christian Schertz gestern. Das Gedicht müsse, da Gesamtkunstwerk, als Einheit gesehen werden und könne nicht stück­weise verboten werden. Wenn man das als Motto „Alles oder Nichts“ verstehen soll, dann hatte Böhmermann eher noch Glück, dass das Land­gericht sich nicht entschieden hat Alles zu verbieten. Auch wenn das Gericht das Schmähgedicht als Kunstwerk ein­gestuft hat, so sah es darin wohl keine große Kunst, zerlegte es in seine Bestandteile und differenzierte sehr genau: Das ist Kunst und das kann weg. Das Ge­richt liegt satirisch-poetisch offen­bar auf einer anderen, mög­licher­­weise höheren hansea­ti­schen Ebene.

 

Die drei Weisen aus dem Abendland

 

Der Anwalt Erdogans, Hubertus von Sprenger, zeigte sich beglückt von der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg, schrieb Spiegel-online. Das sei eine gute Ent­scheidung. Obwohl das Gericht mit der Zer­stückelung vielleicht auch ganz klar zeigen wollte, dass die Freiheit der Meinungsäußerung und der Kunst in Deutschland deutlich weiter geht als im Land seines Mandanten. Und so gesehen war das war eine sehr kluge und weitsichtige Ent­scheidung der der Richter­innnen und Richter der Hamburger Presse­kammer – der drei Weisen aus dem Abend­land.

 

Teilweises Verbieten ist bei Kunst eher selten aber möglich

 

Dass Texte auch stückweise erlaubt und verboten sein können, ist bei Pressetexten das übliche Verfahren: Nur die beleidigenden oder falschen Passagen müssen gestrichen und dürfen nicht weiter­verbreitet werden. Bei Kunst­stücken ist das allerdings eher selten. Da gilt meistens tat­sächlich das Alles-oder-Nichts-Prinzip. So wurde etwa ein Lied der Band „angefahrene Schulkinder“ über Steffi Graf 1998 komplett verboten, auch wenn nur einzelne Verse unterm Strich waren. Auch hat das Bundesverfassungs­gericht 2007 den gesamten Roman „Esra“ von Maxim Biller verboten, weil darin reale Figuren zu erkennen waren. Ebenso war es bei der Mutter aller Entscheidungen zu Kunst versus Persön­lichkeitsrecht, der „Mephisto-Entscheidung“ des Bundesver­fassungs­gerichts 1971. Der ganze Roman von Klaus Mann wurde verboten.

 

Saftige, solitäre Beleidigung ist bei Kunst eher selten

 

Viel mehr bedeutendende, prominente Beispiele gibt es allerdings nicht, da Kunst in Deutsch­land sehr große Freiheit hat und daher selten verboten wird, jedenfalls im Ver­gleich zu nicht­künstlerischen ehrverletzenden Meinungs­äuße­rungen. Und bei den wenigsten Kunst-Verfahren geht es um eine saftige solitäre, isolierbare Beleidigung wie die Ziegen­sache. Meist sind Kunstwerke als Gesamtkunstwerk schon faktisch schwer filetier­bar, vor allem, wenn es Karikaturen sind. Bei der Ziegensache kommt hinzu, dass das eine so genannte Formal­beleidigung ist, ein Wort, das stets ehrverletzend und im wahrsten Sinne unter der Gürtel­linie ist.

 

Einen vergleichbaren Fall gab es – weitaus weniger spektakulär – allerdings doch: Im Jahr 2013 bei einem Streit zwischen Fritz Wepper und Comedian Atze Schröder. Schröder hatte Wepper in seinem Progamm „Schmerzfrei“ im Kapitel „Alte Säcke“ mit seiner Körpergröße, seinem Hüft­umfang und seiner angeblich fehlenden Lendenkraft durch den Kakao gezogen – und sozusagen als Bilanz all dessen verbal einen Wepperschen Zeugungsakt nachgespielt. Nur den Programmteil des Zeugungsakts und die Bezeichnung „Lustgreis“ verbot das OLG München Schröder mit einer einstweiligen Verfügung – als nicht mehr von der Kunst­freiheit gedeckt. Alles andere war als Satire geschützt.

 

Im Labyrinth des Medienrechts: der einzige Weg zum Bundesverfassungsgericht

 

Aber wie wird es nun weitergehen in der Sache Böhmergan? Böhmermann könnte gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch einlegen. Dann gäbe es eine mündliche Verhandlung. Das wäre vermutlich kaum erfolgversprechend, weil über den Wider­spruch dieselbe Pressekammer mit denselben Richterinnen und Richtern ent­scheidet und höchstwahrscheinlich ihre Ver­fügung bestätigen würde. Zwar könnte Böhmer­mann dagegen Berufung einlegen, doch dann gerät er an den Presse­senat des Ober­landesgericht und damit an den Vorsitzenden Richter Andreas Buske. Buske, früher Vor­sitzender der Pressekammer, beim Landgericht, gilt eher als Hardliner unter den Verbietern. Dort wird Böhmernann wohl keine Chance haben, die Entscheidung der ersten Instanz zu korrigieren. Im Eilverfahren wäre bei OLG und Buske Ende.

 

Im Hauptsacheverfahren könnten Satire-Sachverständige gehört werden

 

Weiter käme Böhmermann nur im so genannten Hauptsacheverfahren. Dieses „echte“ Gerichts­verfahren mit Beweisaufnahme und der Möglich­keit, eventuell Satire-Experten und -sachver­ständige zu hören, muss zwar den Weg über dieselben Richterinnen und Richter gehen, eröffnet aber noch die Möglichkeit, bis zum BGH zu kommen, aber vor allem schlussendlich den Weg zum Bundesverfassungsgericht. Für diesen Weg ist die Voraussetzung, zunächst den ordent­lichen Rechtsweg vollständig genutzt zu haben. Daher kommt Böhmermann nur via Haupt­sache­­verfahren zum Bundesverfassungs­gericht. Etwas kompliziert ist das alles im Labyrinth des Medienrechts. Doch das Labyrinth hat weitere Gänge: Nicht Böhmermann muss das Haupt­sacheverfahren einleiten, sondern Erdogan. Aber Böhmermann kann ihm dazu zwingen, diesen Weg zu gehen – indem er ihm eine Frist dafür setzt. Erhebt Erdogan dann keine Hauptsacheklage, kann Böhmermann die gestern ergangene einstweilige Verfügung aufheben lassen.

 

Zuguterletzt noch eine Windung im Irrgarten des Rechts: Um wirksam zu werden, muss eine einstweilige Verfügung „zugestellt“ werden, und zwar von Partei zu Partei. Erdogan muss also die Hamburger Verfügung nach einem ordnungsgemäßen, gesetzlich festgelegten Verfahren an Böhmermann schicken: per Gerichtsvollzieher oder von Anwalt zu Anwalt, von Sprenger zu Schertz. Letzteres, sehr einfaches und schnelles Verfahren ist aber gerade im Herbst vom BGH für freiwillig erklärt worden. Das heißt, Prof. Dr. Schertz könnte die Zustellung und damit die Wirk­samkeit der Verfügung ganz einfach hinaus­zögern, in dem er den Empfang der Post von Rechtsanwalt von Sprenger nicht bestätigt, sondern wartet bis der Gerichtsvollzieher die Post bringt.

 

Ob schon zugestellt ist, dazu konnte die Kanzlei von Hubertus von Sprenger bis 12 Uhr nichts sagen. Medien­rechtlicher Irrgarten ge­schlossen.

 

Michael Schmuck