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Geplanter Jugendkanal: Scheitern ARD und ZDF an ihrem dürftigen Konzept?

25 Seiten lang ist der Brief an Malu Dreyer, Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Unterschrieben haben ihn ARD-Vorsitzender Lutz Marmor und ZDF-Intendant Thomas Bellut. Von Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Berlin - Das Konzeptpapier für den gemeinsamen, multimedialen Jugendkanal, das Newsroom.de exklusiv vorliegt und das wir hier veröffentlichen, durchzieht ein Widerspruch, das noch vor der offiziellen Abstimmung am Donnerstag bei der Konferenz der Ministerpräsidenten in Berlin für Kritik sorgt.

Die Ministerpräsidenten waren nach Newsroom.de-Informationen regelrecht geschockt, als sie die dürftigen und konzeptionsschwachen Papiere für einen Jugendkanal zur Kenntnis nehmen mussten, so ein Newsroom.de-Gesprächspartner.

Offenbar haben die Intendanten von ARD und ZDF sich wenig Mühe mit der qualitativen Ausarbeitung eines Jugendkanal-Konzeptes gegeben, selbst die Nachbesserungen wurden von allen Beteiligten als „mangelhaft“ bewertet.

 

Die erste Seite des 25-seitigen Briefes an Malu Dreyer. Newsroom.de veröffentlicht exklusiv die Dokumente zum geplanten Jugendkanal, die am Donnerstag von den Ministerpräsidenten in Berlin diskutiert werden.

 

 

Ob ARD und ZDF überhaupt in der Lage sind, einen modernen und zeitgemäßen Entwurf abzuliefern, wird selbst von wohlmeinenden Ministerpräsidenten in Zweifel gezogen.

Am Beispiel des Jugendkanals zeigt sich die konzeptionelle Schwäche des öffentlich-rechtlichen Spitzenmanagements, wenn es um Innovationen und Zukunftsfähigkeit geht.

Deshalb ist das absehbare Scheitern des Jugendkanals unter Federführung des SWR „schlimmer als die drohende Gebührensenkung“, so ein federführender deutscher Medienpolitiker zu Newsroom.de.

Dabei hätte die ARD das Erfahrungswissen vom Radiosender Eins Live (WDR) und dessen Programmchef Jochen Rausch nutzen können. Hier liegt nachweisbar fachliches Know-how und langjährige Erfahrung mit der Zielgruppe Jugend vor.

Newsroom.de veröffentlicht exklusiv die Konzeptionspapiere.

NEWSROOM.DE-EXKLUSIV

Struktur der Gemeinschaftsprogramme und Zusatzangebote von ARD und ZDF

Erläuterungen zu den Punkten 2 bis 4 des TOP 1.1 des MPK-Beschlusses vom 25. Oktober 2013

Schon alleine bei der Definition der Zielgruppe zeigt sich der Dilettantismus der Konzeptschreiber des SWR.

Zwar machen ARD und ZDF an verschiedenen Stellen auf die „Pluralität“, „Heterogenität“ oder die „unterschiedlichen Lebenswelten“ der jungen Menschen zwischen 14 und 29 deutlich - aus der Zustandsbeschreibung wird aber keine Konsequenz gezogen: Man muss das Potential von immerhin 15 Millionen in mehrere Zielgruppen segmentieren, um die inhaltlichen und formalen Bedürfnisse „der Jugend“ hinsichtlich eines Jugendkanals in aller Breite und Differenziertheit ausloten zu können.

Dr. Thomas Wind, einer der führenden Wissenschaftler in der Zielgruppenforschung, hat das Konzept des SWR bereits analysiert. Sein Ergebnis ist ernüchternd.

Erneut begehen ARD und ZDF den Fehler, aus den 14- bis 29-Jährigen eine homogene Zielgruppe zu konstruieren, als gemeinsamer Nenner wird das Etikett „Digital Natives“ genutzt und zudem konstatiert, dass den 14- bis 29-Jährigen die „Suche nach Orientierung und ihrem Platz in der Gesellschaft“ gemeinsam sei

"Die Unter-30-Jährigen als Digitals Natives zu charakterisieren, ist mittlerweile trivial, handelt es sich doch um die erste Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist", so Wissenschaftler Wind.

Und die Suche nach Orientierung im Rahmen der Sozialisationsprozesse sei eben typisch für die Lebensphase der Heranwachsenden. Diese Charakterisierungen von ARD und ZDF sind also sehr allgemein und „oberflächlich“. Und es ist zu fragen, ob sich aus diesem nivellierten Bild von den 14- bis 29-Jährigen tragfähige Anforderungen für den Jugendkanal ableiten lassen.

Als Grundlage der Konzeptentwicklung für den Jugendkanal erscheint die Segmentierung des Zielpublikums aber nach all seinen Bedürfnissen und Erwartungen hinsichtlich Medien, Themen, Genres, Formaten, Protagonisten oder Stilistik unerlässlich. Erst auf der Basis einer solchen Typologie („Jugend-TV-Typen“ mit unterschiedlichen lebensweltlichen Hintergründen und kommunikativen Bedürfnissen) kann man relevante Programmideen ableiten und gerät weniger in Gefahr, sich in gängigen „Jugend-Klischees“ zu verfangen.

Das Konzeptpapier verweist an verschiedenen Stellen auf eine Reihe jugendspezifischer Studien, die in die Konzeptentwicklung Eingang gefunden haben.

"Neben allen methodischen Unterschieden zwischen diesen Untersuchungen fällt auf, dass sich keine davon der gesamten Gruppe der 14- bis 29-Jährigen als Forschungsobjekt gewidmet hat, sondern immer nur Teilgruppen untersucht wurden", kritisiert Dr. Thomas Wind.

So bezieht sich beispielsweise die von Marmor und Bellut zitierte JIM-Studie auf junge Erwachsene zwischen 20 und 29, die SINUS-Studie „Wie ticken Jugendliche?“ dagegen auf Jugendliche im Alter von 14 bis 17. Für die empirische Basis des Konzeptpapiers und seine Argumentationsgrundlage heißt das, dass zwar Einzelbefunde aus den rezipierten Studien Eingang fanden, dass jedoch eine fundierte Zielgruppenanalyse für das Zielpublikum der 14- bis 29-Jährigen nicht vorliegt.

Um dennoch die „Berücksichtigung der Belange der Zielgruppe“ beanspruchen zu können, wird in dem offiziellen Papier die Einrichtung eines „Jugendbeirats“ vorgeschlagen.

Dieses Jugend-Panel soll als Feedback-Instrument eingesetzt und offenbar auch in eine Art Co-creation-Prozess eingebunden werden. Angenommen, dass dieses Vorhaben nicht nur eine Alibifunktion hat, sondern es tatsächlich gelingt, einen lebendigen Austauschprozess zu initiieren, dann ist dies mit Sicherheit ein gutes und zielführendes Instrument im Zusammenspiel von Publikum und Programmmachern.

Während das Programmkonzept selbst „die Jugend“ über einen Kamm schert, soll bei der Besetzung des Jugendbeirats nunmehr eine Abbildung der „Differenziertheit der Zielgruppe“ angestrebt werden.

Dabei geht es wohl eher um die Berücksichtigung einiger soziodemografischer Kriterien – wie die Unterscheidung nach jungen Frauen und Männern, nach Altersgruppen und Bildungsgraden (Auszubildende, Schüler, Studenten) – und nicht um eine Verankerung in diversen relevanten „Jugend-Milieus“. Allerdings würde erst eine solche die Chance bieten, unterschiedliche inhaltliche und stilistische Anforderungen erfassen zu können.

"Die wenig differenzierte Betrachtung der 14- bis 29-Jährigen schlägt sich notwendigerweise in den konkreten Programmideen nieder", verdeutlicht Dr. Thomas Wind in seiner Analyse.

Weil jugendliche Leit-Milieus (die beispielsweise Sinus bei den „Expeditiven“ oder sociodimensions bei den „Jungen Navigatoren“ ausgemacht haben) nicht in den Blick genommen werden und der Fokus doch stark auf den Jugend-Mainstream gerichtet ist, findet man im Wesentlichen gängige und keine wirklich innovativen und für den Jugendkanal eigenständige Inhalte und Formate.

Aus demselben Grund bleibt vermutlich auch die Verbindung zwischen TV und Online-Plattformen unter dem Stichwort „Multimedialität“ unterbelichtet.

Die vorwiegende Orientierung am Mainstream wird sich auch auf die Positionierung und Markenbildung des Jugendkanals niederschlagen.

Es besteht die Gefahr, dass der Jugendkanal auf dieser Grundlage nicht zu einer prägnanten und attraktiven Marke innerhalb der Programme von ARD und ZDF wird.

 

Die Erläuterungen zum Konzeptionspapier wurden übrigens nötig, weil die Ministerpräsidenten das vom SWR erarbeitete erste Papier als "mangelhaft" bewerteten. Doch auch dieses Papier kann die Politik nicht überzeugen.

 

 

"Diese Gefahr wird noch durch den Kostendruck erhöht, der die Entwicklung von neuen und eigenständigen Formaten fast unmöglich und in größerem Ausmaß „eine Programmierung aus dem zielgruppenaffinen Bestand“ erforderlich macht. In diesem Zusammenhang stellt das Konzeptpapier – mit spürbarer Erleichterung - sogar fest, dass Jugendliche ja auch den Tatort oder den Eurovision Song Contest ganz gut fänden", so Dr. Thomas Wind.

Vor der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag steuern ARD und ZDF voraussichtlich auf ihr bislang größtes konzeptionelles Desaster zu.

Bülend Ürük

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