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Architekturkritiker Arnd Dewald: Wie der OMA-Bau Axel Springer für die Zukunft prägen wird

Das Rotterdamer Büro OMA um Rem Koolhaas hat den Wettbewerb für das neue Gebäude des Medienkonzerns Axel Springer für sich entschieden. Architekturkritiker Arnd Dewald über einen Bau, der Axel Springer für die Zukunft prägen wird.

Berlin - Nachdem sich in der ersten Runde 18 internationale Büros beteiligt hatten, wurden drei Preisträger in der letzten Phase hinsichtlich Realisierbarkeit, Finanzierbarkeit und Genehmigungsfähigkeit eingehend geprüft.

Die Jury, bestehend aus Fachleuten, Vertretern der Stadt Berlin und von Axel Springer SI entschied sich einstimmig für den spektakulären Bau der Niederländer, dessen Herz ein 30 Meter hohes Atrium ist, ein “digitales Tal“ wie die Architekten es formulieren, in dem offene Arbeitsplätze terrassenartig gestaffelt sind.

 


Unser Autor: Arnd Dewald, Jahrgang 1977, studierte Architektur an der Hochschule Bochum, organisierte nach dem Studium deutschlandweit Architekturwettbewerbe, arbeitete für Architekturbüros in Shanghai und Helsinki, wo er heute lebt und arbeitet. Architekturkritiker Arnd Dewald ist zudem als freischaffender Architekturfotograf tätig. Kontakt: arnddewald@gmail.com, Internet: www.arnddewald.com

 

Große Erwartungen

An die Teilnehmer des Wettbewerbs für das Grundstück im Herzen Berlins waren hohe Erwartungen gerichtet.

„Das Gebäude soll nicht nur überwältigend schön sein, sondern auch der Frage nachgehen: Was bedeutet Materie in einer entmaterialisierten Medienökonomie, was bedeutet ein Büro in einer mobilen Arbeitswelt, die Büros eigentlich nicht mehr braucht? Das Projekt kann eine Schlüsselrolle für die digitale Transformation unseres Unternehmens einnehmen, indem es die bisher in der Peripherie angesiedelten digitalen Tochterunternehmen ins Zentrum des Unternehmens rückt und mit den traditionellen Marken des Hauses vernetzt“, wie Springer-Chef Mathias Döpfner es im Mai 2013 bei der Auslobung des Wettbewerbs formulierte.

Tres Amigos

Die Finalisten, neben BIG aus Kopenhagen um Bjarke Ingels auch das Büro Ole Scheeren aus Peking, haben ein hochkarätiges Mitbewerberfeld hinter sich gelassen und in ihrer Zusammensetzung selbst sind die drei Finalisten durchaus beachtenswert. 

Nicht nur sind alle drei Superstars der internationalen Architekturszene, sondern Bjarke Ingels sowie Ole Scheeren haben beide für Rem Koolhaas gearbeitet.

Im aktuellen Wettbewerb setzt sich also der Mentor gegen seine ehemaligen Protégés durch.

Bjarke Ingels machte sich schon 2001 selbständig, Ole Scheeren im Jahr 2010, nachdem er die revolutionäre Hauptverwaltung des chinesischen Staatsfernsehens CCTV federführend für OMA realisiert hatte. 

Radikale Konzepte

Die Ähnlichkeit der Entwurfsmethodik wird in den Wettbewerbsarbeiten deutlich: OMA ist bekannt für radikale Konzepte, die grundsätzlich alle als sicher geglaubte Weisheiten infrage stellen und häufig die bekannte Ordnung auf den Kopf stellen. 

Die daraus resultierenden spektakulären Bauten erscheinen zunächst formengetriebene Willensbildung, sind davon aber eigentlich weit entfernt. 

Gemäß des berühmten Ausspruchs von Louis Sullivan „form follows function“ sind die Werke Koolhaas‘ eher als gebaute Funktionsdiagramme zu verstehen, denen eine Form eher wie ein Kleid übergestreift ist, als dass eine Form erzeugt wird, in die der Inhalt gezwängt wird.

Das erfreuliche daran - im Gegensatz zu anderen Architekturstars, die eine einmal entwickelte Formensprache bis zur Unerträglichkeit wiederkäuen (Frank O.Gehrys Hochhausentwurf für Berlin ist nur eines von vielen Beispielen hierfür), bleibt bei Koolhaas und seinen Schülern die Formfrage stets offen und wird jedesmal von Neuem gestellt.

Das Wettrennen um das radikalste Konzept konnte dann auch OMA für sich beanspruchen: "Wir freuen uns sehr, unser neues Verlagshaus mit Rem Koolhaas bauen zu können. Er hat den konzeptionell und ästhetisch radikalsten Entwurf vorgelegt. Die grundlegende Innovation von Arbeitsräumen wird die kulturelle Transformation zum digitalen Verlag unterstützen“, lobte Matthias Döpfner.

 


Noch ein Entwurf: Der OMA-Bau von Rem Koolhaas wird auf dem Axel-Springer-Campus in Berlin umgesetzt.

 

 

Copy & Paste

Die Offenheit für die Form hat unter den drei Finalisten jedoch auch zwei auf den ersten Blick recht ähnliche Entwürfe hervorgebracht: die Entwürfe von Koolhaas und Scheeren ähneln nicht nur einander, da beide ein großes Atrium auf den Altbau des Verlages beziehen („digital valley“ gegen „collaborative cloud“), in dem offene Arbeitsplätze angelegt sind – die Form von Scheerens Entwurf erinnert auch stark an das von OMA entworfene Science Center im Überseequartier in Hamburg sowie das Groninger Forum von NL Architects. 

Scheerens Scherbe wird von einer öffentlichen Passage unterquert, BIG hingegen sah anstelle eines Atriums einen Innenhof vor, um den sich die linear aufgereihten Funktionen winden und, von einer durchgängigen Dachlandschaft begleitet, in eine Aussichtsplattform münden.

Ingels Vision für Springer lässt Berlin auf sein Dach steigen, durch Scheerens Donut schießt die Stadt hindurch, aber Koohlhaas‘ digitales Tal öffnet sich zur Stadt mit einem Schaufenster, bei dem die Bevölkerung den Journalisten auf die Finger schauen kann – oder auch umgekehrt.

Berliner Blocks und alte Meister

Die Brachfläche, die vom bestehenden Springer-Hochhaus ehemals durch die Berliner Mauer getrennt war, befindet sich im früheren Todesstreifen und ist umgeben vom Berliner Blockrand, den BIG und OMA als Kante aufnehmen während Scheerens Volumen sich als Solitär im Dialog mit dem Springer-Hochhaus übt. 

 


Der Entwurf von Bjarke Ingels Group (BIG).

 

 

In einer Visualisierung verknüpft OMA seinen Entwurf mit einer Visualisierung des berühmten Entwurfes für das Hochhaus an der Friedrichstraße von Mies van der Rohe aus dem Jahr 1921 – das Springergebäude ist davon zwar gut zwei Kilometer entfernt, ist aber ebenso eine augenzwinkernde Referenz vor dem großen Meister der Moderne wie die Mies'sche Kreuzstütze, die sich ins Zentrum des Atriums geschlichen hat.

Drei sind zwei zuviel

Letztendlich setzte sich der Meister gegen seine Schüler durch, der Jury-Vorsitzende Friedrich von Borries formulierte die Entscheidung zugunsten des Entwurfes von Pritzker-Preisträger Koolhaas folgendermaßen: „Gute Architektur hat einen hohen Symbolwert. Gute Architektur beeinflusst ihr Umfeld. Aber über diese Aspekte hinaus stellte der Wettbewerb für den neuen Axel-Springer-Campus auch die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten wollen. Dafür hat der Beitrag von Rem Koolhaas eine spektakuläre Antwort vorgeschlagen, die den zukünftigen Nutzern eine Arbeits- und Kommunikationslandschaft eröffnet, die es so noch nicht gegeben hat."

Der Einzelne im Kollektiv

Zwar sind drei Viertel der Arbeitsplätze als formelle Bürofläche geplant, bestehend aus einem Mix von Gruppen-, Großraum- und einigen wenigen Einzelbüros. 

 


Der Entwurf von Buro Ole Scheeren.

 

 

Das Arbeiten in der Spaßlandschaft auf dem Präsentierteller ist allerdings auch nicht für jede Tätigkeit und jeden Arbeitsschaffenden gleichermaßen geeignet. 

Auf dem restlichen Viertel der Bürofläche soll laut den Architekten auf den miteinander verbundenen Terrassen des digitalen Tales der Einzelne aus der introvertierten Verschränkung mit dem Computer befreit werden, die ihn von einer kollektiven Übersicht abschottet. 

Weiterhin heißt es, dass in klassischen Redaktionsräumen, dominiert von rauchenden und tippenden Journalisten, der einzelne stets um die Arbeit der Kollegen und ihr kollektives Ziel wusste: die nächste Ausgabe, kulminiert in einer Deadline und der gleichzeitigen Publikation aller individueller Schriften. Im digitalen Büro jedoch sei das gemeinsame Starren auf die Bildschirme jeglicher anderer Art von Aufmerksamkeit abträglich und untergrabe die für wahre Innovation notwendige kollektive Intelligenz. 

Anspruch und Wirklichkeit

Was in Worten recht wolkig daherkommt, findet in der dritten Dimension dann aber durchaus eine Sprache. 

Die Vision der informellen Arbeitsplätze im „Digital Valley“ lässt erhoffen, dass sie ihr Versprechen auf die Transformation des Verlags ins digitale Zeitalter erfüllt. 

Das Journalistental erinnert an OMAs unverkrampft großzügiges Atrium der Stadtbibliothek von Seattle und wird hoffentlich die attraktive Plangrafik des Wettbewerbs mit echtem Leben füllen. 

Die in Modell und Rendering erkennbaren verschränkten Ebenen, vielfältigen Sichtbeziehungen und locker danhingewürfelte Möblierung lässt eine kommunikative Arbeitslandschaft erahnen, die nicht nur überzeugender wirkt als die Bespielung des Atriums durch Ole Scheeren, sondern bestenfalls das Versprechen auf die Vernetzungen derer, die das digitale Zeitalter mitgestalten, auch einlösen wird. 

Von Landschaften und Nomaden

Was in den fünfziger Jahren vom Quickborner Team als Bürolandschaft sich anschickte die Arbeitswelt zu revolutionieren und den offenen Großraumbüros mehr Humanität injizieren und Hierarchien abbauen sollte, ist mittlerweile in einer Vielfalt von Büroformen aufgegangen.

Das geliebte und gescholtene Zellenbüro, das zwar der Kommunikation weniger zuträglich ist, dafür aber Privatsphäre und Konzentration schützt, ist durch Gruppen- und Kombibüros ergänzt worden, die informellen Informationsaustausch fördern, aber der Anonymität und Hektik des Großraums entgegenwirken sollen.

Die Bürolandschaft wurde, als Variante des Großraumbüros, immer mehr in eine kostengünstige Form des Zellenbüros zerstückelt, was in den siebziger Jahren vor allem in den USA in die Legebatterien der berüchtigten Cubicles mündete.

Das in den neunziger Jahren ausgerufene Nomadentum, das die Mobilität der Angestellten reflektieren sollte, hat sich bis heute nicht durchsetzen können.

Der Nomade ohne eigenen Tisch, dafür ausgestattet mit Rollcontainer und Notebook, fühlt sich entwurzelt und muss sich jeden Tag aufs Neue seine Habitat erkämpfen.

Schlussendlich findet jede Tätigkeit ihren Ausdruck in einer räumlichen Form. Wo Rechnungen geprüft werden, da ist die kommunikative Lebhaftigkeit des offenen Büros eher ablenkend und wenn Kreative allein in ihrem Kämmerlein grübeln, da wird der kurze Austausch mit den Kollegen, auch anderer Disziplinen, zum Kampf gegen die Zimmertür.

Wenn sie denn nur wollen. 

 


Der Sieger-Entwurf von Rem Koolhaas.

 

 

Von der Bürolandschaft soll die Herde nun also ins digitale Tal geführt werden und eigentlich sind sich auf den ersten Blick beide Konzepte durchaus ähnlich.

Die Terrassierung ermöglicht dabei eine weitere Dimension und verspricht interessante vertikale Beziehungen. Das große Atrium wird sich sicherlich positiv auswirken, wenn sich vielleicht auch nicht jedermann gerne aus der Vogelperspektive bei der Arbeit zuschauen lässt.

Die genaue Ausführung und Nutzung der neuen Arbeitswelt ist anhand des Wettbewerbsbeitrages noch nicht vorwegzunehmen (wenn sie sich auch erahnen lässt) und diese wird am Ende entscheidend sein über den Erfolg des Konzeptes.

Für eine neue Arbeitswelt braucht es nämlich nicht nur den Architekten, der sie erschafft, den Bauherren mit dem Willen dies umzusetzen, sondern vor allem auch den Nutzer, der akzeptiert, in einem gebauten Konzept zu arbeiten und sich in ihm niederlässt.

Am Ende wird wohl nur der Realitätstest entscheiden, ob der Journalist von Morgen ins digitale Tal pilgern oder sich doch tippenderweise in die gewohnte Bürowelt zurückziehen wird. 

Koolhaas‘ letzte Worte

Das neue Springer-Haus wird wohl noch vor dem Haus am Checkpoint Charlie und der niederländischen Botschaft allein schon aufgrund der Dimension, aber auch aufgrund des Anspruchs des Bauherren sein wichtigster Bau in Berlin werden. 

Rem Koolhaas freut sich jedenfalls auf das anstehende Experiment: „Das ist ein wunderbarer Anlass, um erneut in Berlin zu bauen und dann noch an diesem historischen Ort und für einen Kunden, der Architektur mobilisiert, um radikalen Wandel zu unterstützen, ein Arbeitsplatz in all seinen Dimensionen." 

Arnd Dewald