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Die merkwürdige Agenda vom "Tagesspiegel"

Die Agenda ist nicht nur der Politik-Sonderteil des "Tagesspiegels" für "Hauptstadtentscheider". Auch eine Konferenz mit hochkarätigen Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Medien findet unter dem selben Namen heute in Berlin statt. Die Regel, dass Werbung und Redaktion getrennt sein müssen, interpretiert der „Tagesspiegel“ im Umfeld der Agenda großzügig. Von Stefan Laurin und Bülend Ürük.

Berlin - Die Frage, mit welchen Aufgaben sich die Bundespolitik beschäftigen soll, betrifft fast alle Menschen. Einige von ihnen, nämlich „Spitzenvertreter von Regierung, Ministerien, Parlament, Parteien, Verbänden, Medien, Think Tanks und NGOs“ kommen heute zur „Agenda 2015 – Das Politik-Briefing für Deutschland in Berlin zusammen: Bundesminister Peter Altmaier (CDU) ist dabei, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und auch Klaus Bräunig, der Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Vertreter von insgesamt 27 Organisationen hatten sich angekündigt.

Der „Tagesspiegel“ hat in seiner Agenda-Ausgabe am Dienstag über die Veranstaltung bereits im Vorfeld ausführlich berichtet und selbstverständlich wird es auch eine Nachberichterstattung des Ereignisses geben. Ein Blog begleitet aktuell die Geschehnisse in Berlin.

 

These: Medien stärken ihre Glaubwürdigkeit gemeinsam, aber jede Zeitung kann sie im Alleingang ruinieren. #agenda2015 http://t.co/jXy51soafC

— hajo schumacher (@hajoschumacher) 11. Dezember 2014

Wer will nicht mit politischen Entscheidern direkt sprechen?

Dabei erhalten die teilnehmenden Verbände nicht nur die Gelegenheit, ihre Positionen im Tagesspiegel zu veröffentlichen. Der Tagesspiegel hat seinen Inserenten attraktive Pakete geschnürt: Beim Paket „Medium“ beispielsweise erhalten Partner zwei Tickets im Wert von 1.860 Euro, „2 Politik-Briefings (jeweils bis 140 Zeichen) +Erläuterung (jeweils bis zu 200 Zeichen) Format: 1/6 Seite, Wert: 9.720 Euro“ Eine runde Sache – wenn die „Politik-Briefings“ als Anzeige gekennzeichnet wären. In der Agenda-Ausgabe am Dienstag waren sie das ebenso wenig wie in den Mediaunterlagen gekennzeichnet.

Auf Newsroom.de-Anfrage teilte der Tagesspiegel mit: „Die Anzeigen sind durch die Logos der Absender und die vom redaktionellen Teil klar abweichende Schrift (Grotesk statt Antiqua) klar erkennbar. Wir nehmen Ihren Hinweis aber gerne auf und werden in der folgenden Ausgabe das Wort "Anzeige" darüber setzen.“

Den Eindruck, dass die Schaltung einer Anzeige bei der Einladung zur Agenda hilfreich sei, wies die Zeitung ebenso zurück, nur ein geringer Teil der eingeladenen Verbände hätte geschaltet. Zudem seien „Die Sprecher auf der Vortragsbühne, die Verbände, NGOs, Stiftungen, die Regierung oder Institute vertreten, (... )eingeladen worden, ohne dass dies an finanzielle Bedingungen geknüpft gewesen ist.“

Dass gerade Tageszeitungen ihr Geschäftsmodell erweitern müssen, um auch in Zukunft wirtschaftlich arbeiten zu können, ist bekannt.

Susan E. Knoll, Sebastian Turner und der "Politische Eintopf"

Das zeigt auch eine Personalie von Anfang Dezember. Susan E. Knolle hat am 1. Dezember beim „Tagesspiegel“ die Aufgabe der Direktorin Politische Kommunikation übernommen. Sie kommt vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) und verantwortete als Geschäftsführerin Kommunikation zehn Jahre die strategische Konzeption, Planung und Durchführung der Kommunikationsarbeit des Verbands. Susan E. Knoll wird die Kommunikationsberatung für politische Entscheider-Gruppen beim Tagesspiegel übernehmen und ist verantwortlich für Konzeption, Vermarktung und Aufbau spezifischer Angebote für die Gesundheitswirtschaft. Gemeinsam mit "Tagesspiegel"-Herausgeber Sebastian Turner und zwei weiteren Mitstreitern gehört Knoll bereits zu den Gastgebern des „Politischen Eintopfs“, zu dem Köpfe aus „Parlament, Medien, Unternehmen, Verbänden, Ministerien, Think Tanks“ in die Kantine des „Tagesspiegels“ eingeladen sind („Jeder zahlt seine Suppe selbst!“), um über Fragen der Politik und Kommunikation zu sprechen.

Der „Tagesspiegel“ hat sich also dafür entschieden, als Dienstleister für Lobbyisten und Interessenvertreter auf großen Konferenzen ein neues Geschäftsfeld zu erschließen.

 


Der schriftliche Dank an die Förderer - alle Schreiben liegen NEWSROOM vor.

 

 

Dank an Referenten aus der Lobby-Szene

Das zentrale Ziel des neuen Geschäftsfelds für den Verlag formuliert Sebastian Turner am 24.11.14 in einem Brief an die Referenten aus der Lobby-Szene. Er bedankt sich, „weil Sie uns ermöglichen, ein neuartiges Format zu realisieren, das die Kommunikation zwischen Interessengruppen und Politik verbessern soll.“

In einem weiteren Brief heißt es: „Der ganze Kongress (ist) den Impulsen von Interessengruppen gewidmet.“  Für die zur Verfügung gestellte Plattform müssen die Verbände und Lobbyvertreter vergleichsweise tief in die Tasche greifen. Für das „Paket Fachforum“ verlangt der Tagesspiegel „36.000 Euro zzgl. MwSt.“. Enthalten darin: „Einladung zum eigenen Fachforum (30 min) zu einem mit Ihnen abgestimmten Thema inkl. Moderation durch Journalisten.“

Das Besondere: die Lobbyisten erhalten nach ihren „Briefings“ direkt ein Feedback der Konferenz-Teilnehmer, darunter zahlreiche Spitzenpolitiker wie der Chef des Bundeskanzleramtes Peter Altmaier und Dutzende Abteilungsleiter und Spitzenbeamte der Berliner Ministerialbürokratie.

"Ihre Vorteile als Agenda-Setter"

Der Nutzen für die Lobbyisten wird ungeschminkt im Verkaufsprospekt beworben („Ihre Vorteile als Agenda-Setter“): „Die eigenen Themen bei den Politikentscheidern auf Bundesebene früh verankern – vor der Winterpause“ - bis zum 19.9.2014 hatten bereits 27 Verbände und Lobbyisten-Organisationen ihre Zusage erteilt. Darunter nahezu alle führenden Lobbyisten - vom Bundesverband der deutschen Banken bis zum Verband der Automobilindustrie.

Üblicherweise werden solche Begegnungen zwischen Politik und Lobbyisten von kommerziellen Agenturen angeboten, die im Lobbymarkt tätig sind.

Dass nun selbst ein renommierter Verlag sich vor den Karren von Lobbyisten spannt, ist eher ungewöhnlich, zumal eine sichtbare Nähe zu den Berliner Interessengruppen in Form von anbiedernden Portraits der zahlenden Kunden - etwa in der neuen Beilage „Agenda“ in den Dienstags-Ausgaben des Tagesspiegels - die publizistische Marke auf Dauer beschädigt.

Außerdem stellt sich die Frage, ob es wirklich Aufgabe eines Verlags ist, „die Kommunikation zwischen Interessengruppen und Politik zu verbessern“ und sich den „Impulsen“ von Interessengruppen zu widmen. Oder - ob Verlage genau dieses Treiben kritisch unter die Lupe nehmen sollten?

Auf Nachfrage von Newsroom.de betont der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), was Tageszeitungen auszeichnet: „Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Merkmal der Tageszeitungen, wie gerade übrigens auch wieder die JIM-Studie gezeigt hat: Selbst Jugendliche und junge Leute, die wenig Nachrichten konsumieren, würden bei widersprüchlicher Berichterstattung am ehesten der Tageszeitung Glauben schenken.“

Kritik von Lobbycontrol

Deutliche Kritik an der neuen Richtung vom „Tagesspiegel“ erhebt die NGO Lobbycontrol. In einer Presseaussendung heißt es dort: „Was der Tagesspiegel zahlungsfähigen Lobbyisten damit anbietet, geht weit über normale Werbung im Zeitungsumfeld hinaus. Wenn eine Zeitung Lobbyisten eine Mischung aus Veranstaltung und Anzeigen anbietet, um die eigenen Themen auf die politische Agenda zu setzen und ihre Kontakte zu politischen Entscheidern zu pflegen, gerät sie unweigerlich in einen Interessenkonflikt mit ihrer journalistischen Arbeit. Der Tagesspiegel sollte auf eine kritische journalistische Distanz zur Berliner Lobbyszene achten.“

Stefan Laurin, Bülend Ürük

EXKLUSIV für Newsroom.de-Leser: Tagesspiegel-Anschreiben an Lobbyisten

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