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„Hamburger Abendblatt“: Angst vor Scheinselbständigen

Ein hausgemachtes Problem herrscht beim „Hamburger Abendblatt“. Bei dem norddeutschen Flaggschiff der Essener Funke Mediengruppe und weitere Zeitschriften, die zuvor Axel Springer verlegt hat, herrscht Sorge, dass die Zahl der Redakteure explosionsartig steigen kann. Von Bülend Ürük.

Hamburg - Gut 380 Mitarbeiter beschäftigt die Zeitungsgruppe Hamburg, an Bord sind davon rund 100 freie Journalisten, die ihren Lebensunterhalt mit journalistischer Arbeit für das „Abendblatt“ bestreiten.

Dabei stehen sie teilweise seit Jahren sogar auf Dienst- und Urlaubsplan, übernehmen bei aktuellen Entwicklungen direkt Verantwortung, sind vollwertige Redaktionsmitglieder; manche bekommen jeden Monat ein frei vereinbartes Salär, andere schreiben zwar Rechnungen, die aber jeden Monat über den selben Betrag.

In der Funke Mediengruppe macht sich nun die Sorge breit, dass bei einer erneuten, geplanten Etatkürzung für freie Journalisten von zehn bis 20 Prozent beim „Abendblatt“ die Journalistinnen und Journalisten vor Gericht ziehen, um sich einzuklagen: Scheinselbständigkeit ist kein Kavaliersdelikt, neben einer Strafe für das Unternehmen kommt dann unter anderem auch die die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge der vergangenen Jahre auf die Funke Mediengruppe zu.

Weil die Funke Mediengruppe die Situation beim „Hamburger Abendblatt“ und bei einigen der Zeitschriften, die sie von Axel Springer erworben hat, schon früh erkannt hat, zeigte sich Axel Springer großzügig. Nach unseren Informationen besteht zwischen den beiden Häusern die Vereinbarung, dass Axel Springer für mögliche Kosten bereitsteht. Allerdings nur noch bis Ende diesen Monats.

Die Zeit drängt also beim „Abendblatt“, ohne dass es bislang Gespräche im größeren Rahmen mit den freien Journalisten gegeben hätte. Dies soll noch in den nächsten Tagen nachgeholt werden, betonen Funke-Manager, ohne dabei zitiert werden zu wollen.

Offiziell wollten sich Funke und Springer zu der Situation der freien Journalisten nämlich nicht äußern. Dafür betont Rechtsanwalt Stefan Endter, Geschäftsführer vom DJV Hamburg, auf Newsroom.de-Anfrage: „Immer wieder werden Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen als Freie bezeichnet und behandelt, aber wie Festangestellte eingesetzt. Der DJV unterstützt seine Mitglieder in solchen Fällen mit Rechtsberatung und Klagen vor dem Arbeitsgericht. Wir rufen die Medienhäuser auf, ihre Praxis zu ändern und die rechtlichen Vorgaben zu beachten.“

Nach unseren Informationen droht die Situation auch bei anderen Häusern zu eskalieren, die ihre Mitarbeiterzahl reduzieren möchten und bislang freie Journalisten als vollwertige Redaktionsmitglieder eingesetzt haben. Bei einer Zeitung in Berlin wurden noch 2014 auf einen Schlag mehrere neue Redakteursposten geschaffen und auch die Zahl der Volontärsplätze deutlich erhöht.

Hintergrund

Am 1. Mai 2014 hatte Funke von Springer für 920 Millionen Euro ein Paket aus Frauen- und TV-Zeitschriften ("Bild der Frau", "Hörzu", "TV Digital") sowie die Tageszeitungen "Berliner Morgenpost" und "Hamburger Abendblatt" übernommen. Der Kauf war bereits im Sommer 2013 vereinbart worden, konnte aber wegen Auflagen des Bundeskartellamts erst im Frühjahr vollzogen werden.

Seit Anfang 2012 hat sich das Medienhaus mit Sitz in Essen stark verändert. Petra Grotkamp hatte damals den 50-Prozentanteil der Erben des Verlags-Mitgründers Erich Brost übernommen und war damit Mehrheitsgesellschafterin geworden. Geschäftsführer Bodo Hombach schied aus, Christian Nienhaus übernahm die Unternehmensführung alleine. Ab August 2012 gab es vorübergehend eine Dreierspitze aus Nienhaus, Braun und Ziegler, bis Nienhaus im Februar 2014 ausschied. Seit Anfang 2015 ist Christian Nienhaus wieder bei Axel Springer fest im Sattel.

Auch redaktionell gab es Veränderungen, nicht nur durch die Übernahme der Springer-Titel. 2009 hatte der Verlag bei seinen vier NRW-Titeln "WAZ", "Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung", "Westfalenpost" und "Westfälische Rundschau" 290 Stellen abgebaut. 2013 war dann die Redaktion der "Westfälischen Rundschau" mit 120 Stellen komplett geschlossen worden. 2014 verließ der langjährige "WAZ"-Chefredakteur Ulrich Reitz Funke - er ist heute Chefredakteur des "Focus". Sein Nachfolger bei der "WAZ" ist Andreas Tyrock.

Funke-Mehrheitsgesellschafterin Petra Grotkamp, eine Tochter des Verlags-Mitgründers Jakob Funke, ist seit Anfang 2015 Vorsitzende des Aufsichtsrates. An der Spitze des Unternehmens steht neben Manfred Braun nun Michael Wüller, der als Berater von Petra Grotkamp das Unternehmen seit vielen Jahren intensiv begleitet. Sein Vorgänger Thomas Ziegler hat das Haus Ende 2014 in Richtung Aldi Süd verlassen.

Bülend Ürük

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