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Türkei: Muss Dogan-Holding für kritischen "Bild“-Brief bluten?

Mit einem offenen Brief hat Bild am Samstag online auf den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan reagiert. „Giftpfeile“ nennt sie ein hoher Vertreter der Regierungspartei AKP. Am Ende könnte ein anderer Medienkonzern über das Schreiben aus Berlin tatsächlich auseinanderbrechen. Von Bülend Ürük.

Istanbul - Es ist ein geselliger Abend im Haus eines führenden AKP-Funktionärs. Ein, zwei Chefredakteure türkischer Medien sind vor Ort, mehrere Ressortleiter, Kolumnisten. Gleich tritt Recep Tayyip Erdogan in Köln auf, alle Augen werden auf den beeindruckend großen LCD-Fernseher blicken und wieder wird der türkische Ministerpräsident eine Rede halten, die seine Anhänger zu Jubelstürmen und seine Gegner zu lautstarken Protesten animieren wird. Erdogan kann Menschen begeistern, eine Eigenschaft, die viele deutsche Politiker verloren haben.

Doch bevor es so richtig losgeht, wird um Erklärung gebeten. Was hat die "Bild" nur gegen Erdogan? Was hat die "Bild" gegen die Türkei? Die größte Tageszeitung Europas ist kein Gegner, den man sich in der Türkei wünscht, aber auch niemand, die man in diesen Räumen nahe des Bosporus fürchtet.

 

Auch in türkischer Sprache teilte "Bild" am Samstag dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan mit: "Sie sind hier nicht willkommen."

 

 

Bild hatte am Samstag unter anderem geschrieben:

„Politiker wie Sie wollen wir in Deutschland nicht haben.

SIE SIND HIER NICHT WILLKOMMEN!

Wir sind ein demokratisches, freiheitsliebendes, vielfältiges Land. Hier gelten die Gesetze auch für Politiker. Bei uns laufen Frauen oben ohne über die Straße. Wir lassen jeden seine Meinung sagen, auch wenn er Blödsinn redet.

Sagen Sie heute Abend, was Sie wollen, Herr Erdogan. Aber willkommen sind Sie nicht.“

Den offenen Brief gab es dann auch noch in türkischer Sprache.

Kai Diekmann in der Kritik

Dass ein junger Chefredakteur, Julian Reichelt, das Blatt im Netz führt, ist auch in interessierten türkischen Regierungskreisen angekommen.

Die Kritik richtet sich aber gegen Kai Diekmann, nicht nur Chef der „Bild“-Zeitung, sondern auch Herausgeber von Bild.de. Ihn kennen sie in Ankara, selbst seine Twitterkommentare werden verfolgt, "er hetzt dort offen gegen die Türkei, gegen unseren Ministerpräsidenten", wirft ein türkischer Journalist im Gespräch ein.

Kai Diekmann gilt in gewissen politischen Kreisen in der Türkei nicht als Freund der Türken.

 

...zu diesem Foto fällt mir nichts mehr ein - außer Vergleichen, die ich bereuen würde:“@MarufMuhammed: @KaiDiekmann pic.twitter.com/USfk7JO11L

— Kai Diekmann (@KaiDiekmann) 24. Mai 2014

Aber als Freund der Dogan-Holding, die unter anderem „Hürriyet“ herausgibt.

„Das Medienhaus Axel Springer führt ein perfides Spiel, Herr Diekmann kommt seinem Freund in der Türkei zur Hilfe, da wird selbst unser Ministerpräsident beleidigt“, schäumt ein regierungsnaher Journalist. Er wie die anderen Gesprächspartner an diesem Abend lassen sich gerne zitieren - „aber bitte ohne Namen“.

Türkische Zeitung hetzte gegen Axel Springer: "Jüdische Interessen"

Schon im Februar 2014 war Axel Springer in türkischen Medien heftigst kritisiert worden.

Die türkische Zeitung „Takvim“ griff in einem ungezeichneten Artikel „Hürriyet“ massiv an, behauptete unter anderem, dass „Hürriyet“ zu 32,48 Prozent Axel Springer gehöre, im Sinne von Axel Springer arbeite, „der sich für die Aussöhnung von Deutschen und Juden einsetzt“, sogar "jüdische Interessen" verfolge.

Hintergrund der heftigen Streitereien war die Bestechungsaffäre, die seit dem 17. Dezember 2013 das Land in Atem hält.

Damals hatte Axel Springer gegenüber Newsroom.de erklärt: Alles Lüge. Denn: Axel Springer sei weder an der übergeordneten Dogan Holding, noch an der Dogan Yayin Holding, die alle Medienbeteiligungen von Dogan bündelt noch an der „Hürriyet“-Holding selbst beteiligt. Das erklärte ein Springer-Sprecher auf Anfrage von Newsroom.de.

Strategische Partner

Axel Springer und die Dogan Holding sind strategische Partner, Springer ist Minderheitsgesellschafter bei Dogan TV, in dem die TV- und Radioaktivitäten der Dogan Medienholding gebündelt werden.

Rund 14,8 Prozent hält Axel Springer noch an der Gesellschaft. Ihre Anteile hat das Medienhaus in den vergangenen Monaten zurückgefahren - Bestrebungen, den Anteil zu erhöhen, würde es nicht geben, hatte ein Sprecher auf Newsroom.de-Anfrage erklärt.

Die Aussage aus Berlin will in Ankara aber niemand hören. Die Türkei wird immer mehr zu einem Land, in dem die Wahrheit nur dann gilt, wenn sie auch wirklich passt.

Kai Diekmann im Hürriyet-Beirat

Sitzt nicht Kai Diekmann im Hürriyet-Beirat und hilft er nicht aktiv mit, „Hürriyet“ zu modernisieren? Und überhaupt dieser Ertugrul Özkök, früherer „Hürriyet“-Chefredakteur und publizierender Lieblingsfeind der AKP-Clique, schreibt der nicht regelmäßig eine Kolumne für „Bild“? Und hat der nicht zusammen mit Diekmann sogar ein Buch geschrieben?

Nun ist es nicht Axel Springer, das nach Newsroom.de-Informationen kein Interesse mehr am türkischen Medienmarkt hat (im Gegensatz zu Hubert Burda Media), sondern die Dogan Holding, die für die „vergifteten Worte“ aus Berlin „bluten“ soll.

„Ihre Freunde sind unsere Feinde“, sagt ein aufstrebender Politiker, der die Regierung im Medienbereich berät.

Muss Dogan-Holding bluten?

Möglichkeiten, der Dogan-Holding zu schaden, gibt es zuhauf.

Schon einmal waren Behörden gegen den türkischen Mischkonzern vorgegangen, als er sich mit der Regierungspartei AKP angelegt hatte. Das war Anfang 2010. Den Streit um die insgesamt 4,8 Milliarden Lira (rund 2,2 Milliarden Euro), die der Konzern angeblich noch an Steuern dem türkischen Staat schuldet, haben die Gerichte bis heute nicht final entschieden.

Der „Bild“-Brief von Samstag, er könnte für den türkischen Medienmarkt enorme Folgen haben. Am Sonntag gab es keine Zeitung in der Türkei, die das Schreiben nicht thematisiert hätte.

Bülend Ürük

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Hinweis: In einer ersten Fassung hatten wir geschrieben: "Kai Diekmann gilt nicht als Freund der Türken."  Diesen Satz haben wir nach einem Hinweis von Kai Diekmann auf Twitter geändert. Korrekt heißt es nun: "Kai Diekmann gilt in gewissen politischen Kreisen in der Türkei nicht als Freund der Türken."