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Angeklagte im Politkowskaja-Mordfall freigesprochen

Eine Geschworenen-Jury sah die Vorwürfe wegen Beihilfe zum Mord vor dem Militärgericht als nicht erwiesen an. Täter und Auftraggeber der Bluttat vom Oktober 2006 sind weiter auf der Flucht.

Moskau (dpa) - Im ersten Prozess um den Mord an der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja hat ein Moskauer Gericht die mutmaßlichen Komplizen der flüchtigen Täter freigesprochen. Eine Geschworenen-Jury sah die Vorwürfe wegen Beihilfe zum Mord vor dem Militärgericht am Donnerstag als nicht erwiesen an, wie die Agentur Interfax meldete. Ihre Entscheidung zugunsten der insgesamt vier Angeklagten fiel einstimmig. Damit steht die Aufklärung des Verbrechens weiter infrage. Nach dem Täter und Auftraggeber der Bluttat vom Oktober 2006 wird weiter gesucht.

Angehörige des Opfers hatten im Verfahren wiederholt Ermittlungspannen kritisiert und die vorgelegten Beweise für die Schuld der Angeklagten bezweifelt. "Wir wollen den echten Mörder", sagte die Anwältin der Kinder Politkowskajas, Karina Moskalenko, nach dem Freispruch. Politkowskajas Sohn Ilja sowie Kollegen aus der Zeitung "Nowaja Gaseta" äußerten den Verdacht, dass die vier Männer ungeachtet des Freispruchs auf nicht näher erläuterte Weise in Beziehung zu dem Verbrechen standen.

Nach dem Urteil durften die Vier - zwei tschetschenische Brüder, ein früherer Polizist sowie ein ehemaliger Geheimdienstoffizier - unter dem Applaus ihrer Angehörigen das Gericht als freie Bürger verlassen. Die Anklage will den Freispruch anfechten. "Natürlich werden wir im Zusammenhang mit den Verfahrensverstößen während des Prozesses gegen das Urteil Beschwerde einlegen", sagte die Staatsanwältin Julia Safina.

Der Verteidiger der Angeklagten, Murad Mussajew, sprach von einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Freispruch in einer höheren Instanz aufgehoben wird. Der zur Fahndung ausgeschriebene mutmaßliche Mörder, ein dritter Bruder der freigesprochenen Tschetschenen, wird im Ausland vermutet.

Beobachter werteten den Freispruch zum Ende des viermonatigen Prozesses als schwere Niederlage für die russische Generalstaatsanwaltschaft, die bereits im August 2007 die Aufklärung der Bluttat verkündet hatte. Die Justiz hatte mit widersprüchlichen Äußerungen über die Identität der Hintermänner für Verwirrung gesorgt. Man habe Spuren nach Tschetschenien gefunden, einen namentlich nicht genannten russischen Politiker im Verdacht sowie starke Hinweise auf eine Beteiligung des im Londoner Exil lebenden Kremlkritikers Boris Beresowski, hieß es. Russische Menschenrechtler halten es aber auch für möglich, dass die Täter Verbindungen zum russischen Sicherheitsapparat hatten, für den Politkowskajas Enthüllungen ein Risiko bedeuteten.

Die Verteidigung forderte eine Haftentschädigung für die Freigesprochenen. Prozessbeobachter, aber auch Angehörige, Freunde und Kollegen Politkowskajas hatten die Ermittlungen im Strafverfahren sowie die Beweisführung vor dem Militärgericht als lückenhaft bezeichnet. Das Urteil kam für manchen überraschend. "Das ist ein seltenes Beispiel für Rechtstaatlichkeit in Russland", sagte die Anwältin Moskalenko dem Radiosender Echo Moskwy.

Der zuständige Richter Jewgeni Subow hatte vor der Entscheidung an das Gewissen der Geschworenen appelliert. Bei Zweifeln an der Schuld sollten sie im Sinne der Angeklagten entscheiden. In russischen Strafprozessen sind Freisprüche bis heute eine Seltenheit.

Die Ermordung der Reporterin der Zeitung "Nowaja Gaseta" vor mehr als zwei Jahren hatte international Entsetzen ausgelöst. Politkowskaja war vor allem für ihre regierungskritische Berichterstattung aus dem früheren Kriegsgebiet Tschetschenien bekannt. Im Januar hatte ein unbekannter Täter im Moskauer Stadtzentrum auf offener Straße einen Menschenrechtsanwalt, der mit Politkowskaja zusammengearbeitet hatte, sowie eine ihn begleitende Journalistin der "Nowaja Gaseta" erschossen.