Vermischtes
Newsroom – Christian Lindner

Arbeiten wir bald nicht mehr in Newsrooms?

Arbeiten wir bald nicht mehr in Newsrooms? Marco Fenske

Viele Jahre waren sie bei Medienhäusern der Heilige Gral der internen Organisation. Doch in der Coronakrise lernte die Branche, dass alles auch ganz gut ohne raumgreifende Mega-Newsrooms funktioniert. Zu welcher Erkenntnis dpa-Chefredakteur Sven Gösmann jetzt kommt – und was RND-Chef Marco Fenske in der „kress pro“-Story berichtet.

Hannover – Acht Wochen lang war der flammneue Newsroom des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) ein 2.600 Quadratmeter großes Fragezeichen. Und in Teilen ist er das heute noch – wie alle Newsrooms in den Zeiten von Corona. 

 

Am 10. Februar war der riesige Saal im ersten Stock der Verlagszentrale von Madsack in Hannover bezogen worden. Doch dann kam das Virus. Am 12. März wurden alle 143 Arbeitsplätze des komplexesten Newsrooms Deutschlands evakuiert. Und wie beim RND vollzog sich in der gesamten Branche etwas bis dahin Unvorstellbares: Sämtliche Newsrooms in Deutschland, Österreich und der Schweiz standen leer – alle zuvor dort gesteuerten und produzierten Medien aber erschienen weiter. 

 

Die Schaltzentralen des Medienmachens lösten sich von ihren Räumen, Bildschirmwänden und Schreibtischfluchten. Corona ließ diese akkuraten Zentren zu anarchischen Netzen mutieren. Hundertmal Homeoffice statt der einen scheinbar alternativlosen Mega-Schnittstelle Newsroom. Herz, Hirn, Hände und Seele der Redaktionen waren zerfasert. Und der Markt merkte: nichts. 

 

Seither blinken große Fragezeichen in der Verlagsbranche. Die eher gemiedenen und selten geklärten Fragen sind unbequem: Wenn Newsrooms auch virtuell funktionieren, muss diese Organisationsform dann nicht neu gedacht werden? Waren Newsrooms in Wahrheit Showrooms? Eine ansteckende Mode? Oder gar ein Branchenirrtum? 

 

Redaktionelle Führungskräfte tun sich schwer bei der Beantwortung. Und es dämmert ein neuer Konflikt zwischen Verlag und Redaktion herauf: Geschäftsführer fragen sich und ihre Chefredakteure, warum es eigentlich die Newsrooms in ihrer bisherigen Größe braucht, wenn trotz Corona und Kurzarbeit ohne real existierenden Newsroom alles weiterlief. 

 

Die Debatte ist auch deshalb vielschichtig, weil mit der smarten Bezeichnung Newsroom ganz unterschiedliche Ansätze etikettiert werden. Newsroom – unter diesem Begriff laufen auch reine Sparkonzepte, mit dem Lack der Modernität splitterdünn aufgehübscht, etwa anspruchsarme Produktionszentren für viele Lokalausgaben oder die an Callcenter erinnernde Massenjournalistenhaltung in bedrückend nüchternen Großräumen.

 

Erkennbar mehr Häuser aber bestellten bei der Entwicklung ihrer Newsrooms nicht nur neue Möbel, sondern etablierten dafür zuvor neues Denken. Sie schärften ihre Rolle im Markt, entwickelten dazu passende Inhaltestrategien – arbeiteten also an Denken und Einstellung. Wo Newsrooms im Kopf statt im Katalog begannen, entwickelten sich oft maßgeschneiderte Workflow-Lösungen für ambitionierte Marktoffensiven, wuchsen leistungsfähige Management-Einheiten für immer mehr Medienkanäle, basierend auf klarer Arbeitsteilung, neuen Rollen, bewusster Spezialisierung, transparenter Planung, zeitgemäßen Schnittstellen und hochfrequenter Kommunikation. 

 

Ob nun Spar- oder Qualitätsansatz oder – bei den regionalen Medienhäusern am häufigsten – die Kombination aus beiden Treibern: Seit die Branche in der C-Krise verblüfft lernte, dass Newsrooms auch ohne realen Raum funktionieren, wirken sie entzaubert.

 

Sven Gösmann, dpa-Chefredakteur, führt mit der dpa-Zentrale in Berlin den größten Newsroom Europas: 4.500 Quadratmeter, 370 Leute – bis das Virus kam. Die Corona-Monate, die auch das Mega-Büro bei dpa entvölkerten, haben ihm gezeigt: „Die Suche nach dem, was nach dem Newsroom kommt, hätte früher beginnen müssen.“ Er hält Newsrooms für „ein Konzept der Nuller- bis Zehnerjahre“. Aus seiner Sicht haben diese Säle „als Koordinationsinstrument gut funktioniert“. Sie wurden aber nie der Kreativort, der sie werden sollten. Sie waren für ContentGenerierer nie ideal. Sie haben Effizienz gekostet. 

 

Die Kriterien für die Suche nach einer besseren Lösung sind für Gösmann klar: „Wir müssen die guten Teile bewahren und die Effizienzfresser eliminieren.“ Der dpa-Chef will „die Kooperations-Rollen an einem Ort zusammenhalten“, die Reporter hingegen nicht. Dafür wird man weniger Fläche brauchen. Die eigentliche Herausforderung aber sieht Gösmann in der „Neuorganisation des Sozialen“ in den Redaktionen in der Post-Newsroom-Ära: „Wir brauchen etwas Familiäres“, schwant Gösmann nach den Videokonferenz-Steppen. Bei dpa sucht eine Arbeitsgruppe nach Best Cases – etwa bei Logistikern und Versandhandel, die auf Effizienz getrimmt sind. 

 

RND-Chefredakteur Marco Fenske sieht seinen Mega-Newsroom nicht grundsätzlich infrage gestellt. Wegen der Komplexität des RND-Konstruktes ist er froh, dass die verwaisten 2.600 Quadratmeter ab Mai wieder mit viel Abstand bezogen werden konnten: Täglich 220 Seiten für über 50 Partner, rnd.de, das Site-Management für alle Portale der Gruppe, die Pflege von Werbe- und Abo-Markt, Produktentwicklung – all das wird aus dem RND-Newsroom gesteuert und gestemmt. Selbst diese Potenzierung von Aufgaben aber ließ sich im Lockdown dezentral managen. 

 

Für Fenske hat das den Blick dafür geschärft, welche Rollen und Bereiche wirklich im Newsroom zusammensitzen müssen. Jetzt kann beim RND jeder, dessen Anwesenheit nicht zwingend nötig ist, selbst definieren, ob er in der Zentrale, zu Hause oder sonst wo arbeitet. „Das ist nun kein Akt mehr“, sagt Pragmatiker Fenske. Konsequenter als früher werden nun die digitalen Möglichkeiten im Workflow genutzt: Die Seitenabnahme etwa blieb digital, dezentral verfolgbar – die Bildschirmwand im neuen Newsroom ist abgeschaltet. 

 

In den regionalen Medienhäusern wird grundlegender über die Newsrooms nachgedacht. Hier sind viele Redaktionsmanager bei ihrer Analyse der Virtualisierung ihrer Newsrooms hin- und hergerissen. Die regionale Verlagsbranche ist sich darin einig, dass die Einführung von Newsrooms ein zentraler Schritt bei der Evolution ihrer Redaktionen war. Die Newsrooms haben Denken und DNA der Redaktionen verändert. Sie brachen die Silos der Ressorts auf, machten Redaktionen zu Teams, kultivierten Kommunikation auch außerhalb von Konferenzen, führten Print und Online zusammen. 

Etliche Chefredakteure aber sehen ihre Newsrooms nun nüchterner als vor dem großen Veränderer Corona, teils sogar ernüchtert. Während der Entortung ihrer Newsrooms nahmen sie deren Nachteile schärfer wahr. „kress pro“-Gespräche mit Redaktionsmanagern zeigen, welche Themenfelder dabei im Fokus stehen.

 

Wie sieht die Zukunft des Newsrooms aus? Welche Rolle spielen dabei Effizienz, Autoren, Führung, Arbeitszeitmodelle und Kreativität? Gibt es alternative Konzepte? Was sind die 10 Trends nach Corona? Die komplette Story "Newsrooms als Auslaufmodell?" von Christian Lindner lesen Sie hier.