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Polizisten als Abfall: Strafanzeige Seehofers gegen taz-Journalistin weiter offen

Polizisten als Abfall: Strafanzeige Seehofers gegen taz-Journalistin weiter offen Barbara Junge

Es handle sich um eine „sehr schwierige Schnittstelle zwischen Pressefreiheit und Strafrecht“. Chefredakteurin Barbara Junge sieht „Angriff auf die Pressefreiheit“ und spricht von „Satire“.

Berlin (dpa) − Die Entscheidung, ob Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Strafanzeige gegen die Verfasserin einer polizeikritischen Kolumne in der „taz“ stellt, ist noch nicht gefallen. Seehofer war nach Stuttgart gereist, nachdem es dort am Wochenende zu Ausschreitungen mit verwüsteten Geschäften und Übergriffen auf Polizisten gekommen war. „Ich beabsichtige das“, sagte der CSU-Politiker am Montag in Stuttgart auf die Frage, ob er die Anzeige stellen wolle. Der „Bild“ sagte er: „Ich muss natürlich mit meinen Juristen darüber reden, und das erfolgt heute Nachmittag.“

 

Seehofer hatte die Strafanzeige in „Bild“ am Sonntag angekündigt: „Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der ,taz‘ über die Polizei stellen.“ Inzwischen ist allerdings auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu im Gespräch mit Seehofer, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag sagte. Mittags erklärte dann ein Sprecher des Innenministeriums, über die Anzeige sei noch nicht entschieden.

 

Als Straftatbestände für eine Anzeige kämen laut Seehofer Volksverhetzung oder Beleidigung in Frage. Die Möglichkeit einer Anzeige habe sein Haus bereits seit vergangener Woche geprüft. Es handle sich um eine „sehr schwierige Schnittstelle zwischen Pressefreiheit und Strafrecht“, sagte Seehofer. „Ich habe ja selber gesagt, dass man beides achten muss.“ 

 

Der ganze Fall dreht sich um eine umstrittene Kolumne einer „taz“-Mitarbeiterin, die vor einer Woche erschien. In dem Text stellte die Autorin ein Gedankenspiel an, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Zum Schluss der Kolumne heißt es: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ Die umstrittene Kolumne der „taz“-Mitarbeiterin erschien vor einer Woche. Aus der Berufsgruppe heraus und von Politikern kam danach viel Kritik.

 

Barbara Junge: „Angriff auf die Pressefreiheit“

Die „taz“ hält die angekündigte Anzeige für einen Angriff auf die Pressefreiheit. Chefredakteurin Barbara Junge erklärte über Seehofer: „Seine Entscheidung hätte deutlicher nicht sein können. Seine Anzeige gegen unsere Autor.in ist ein beschämender Angriff auf die Pressefreiheit.“ Seehofer sei qua Amt für den Schutz der Verfassung zuständig und damit für die darin garantierte Freiheit der Presse. „Seehofer ist auch für die Polizei zuständig. In diesem Fall stellt der Bundesinnenminister die Belange der Polizei über die Pressefreiheit“, betonte Junge.

 

Junge hatte zuvor wegen der Kolumne ihr Bedauern geäußert. Sie schrieb in der Zeitung (Samstag) an die Leserinnen und Leser über den Artikel: „Eine Kolumne, so satirisch sie auch gemeint gewesen sein mag, die so verstanden werden kann, als seien Polizisten nichts als Abfall, ist daneben gegangen. Das tut mir leid.“

 

Zudem schrieb Junge, das Ringen in der Redaktion über den Text und darüber, was gesagt werden soll, darf und muss, lege aber auch „einen tieferen Konflikt in der ,taz‘ offen. „Wir streiten darum, wie stark der subjektive Blick, wie stark Diskriminierungserfahrung den Journalismus prägen soll oder darf.“ Die Chefredakteurin des Blattes mit Sitz in Berlin kündigte zudem an, dass es Debattenbeiträge mit unterschiedlichen Perspektiven in der Zeitung geben werde.

 

Kritik an Seehofer von Links

Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, schrieb auf Twitter: „Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, unabhängig ob man den Meinungsbeitrag gut oder schlecht findet.“ Mit Blick auf den ungarischen Ministerpräsidenten und den Chef der polnischen Regierungspartei, denen jeweils Illiberalismus vorgeworfen wird, fügte er hinzu: „Ein Innenminister, der eine Journalistin anzeigt, klingt nach Orban oder Kaczynski.“ 

 

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz äußerte Verständnis für Kritik an der Kolumne der Zeitung „taz“. Aber Seehofer „überschreitet eine Grenze“, schrieb Notz in dem Kurznachrichtendienst. Seine Fraktionskollegin Renate Künast nannte Seehofers Vorgehen dort „ungeheuerlich“ und fragte: „Das soll eine Botschaft sein!? Gegen Pressefreiheit!? Seehofer am Ende.“

  

Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz befand Seehofers Ankündigung für falsch. „Natürlich führen Hassreden zu Gewalt. Aber es geht nicht um Zensur, sondern um (Selbst)Verantwortung der Redenden und Schreibenden“, twitterte er.

 

Der Fernsehsatiriker Jan Böhmermann schrieb: „Wir sind hier nicht in der Türkei, in Russland oder im Jahr 1962! Mit dieser gefährlichen Effekthascherei beschädigt Horst Seehofer nicht nur das Vertrauen in den Staat. Welche Autorität hat ein Minister noch, der so eine Axt aus seinem Amt heraus an die Debatte setzen muss?“

 

Der Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, Ulf Poschardt, sieht das eigentliche Problem aber nicht bei Seehofer: „Wie gerne hätte der Elfenbeinturm jetzt, dass sich alle über Seehofer empören anstatt über das „taz“-Elend oder die rechtsfreien Räume in Stuttgart. Mal sehen, ob's klappt, twitterte er.