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dpa

„Stern“-Journalismustag beschäftigt sich mit Fälschungsfall Relotius

Ein prominenter Fälschungsfall hat die Medien vor der Jahreswende erschüttert. In Veranstaltungen der Branche ist er seitdem Gesprächsstoff − so auch vor der Nannen-Preisverleihung in Hamburg.

Hamburg (dpa) − Der Fälschungsfall um den Reporter Claas Relotius hat am Samstag in Hamburg auch den „Tag des Journalismus“ geprägt. Bei der vom Magazin „Stern“ ausgerichteten Veranstaltung bekannte der Bundestagsabgeordnete und Grünen-Politiker Jürgen Trittin, das Genre der Gesellschaftsreportage als Lesestoff „zu glatt und zu ermüdend“ zu empfinden. Eine Reportage in einer Zeitung sei jedoch keine Literatur, sondern Journalismus, mahnte der 64-Jährige. Trotz der Vertrauenskrise gegenüber der Branche gab sich Trittin − in den 1980er Jahren Pressesprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Niedersachsen − überzeugt, dass der Journalismus nicht untergehen wird. „Der Journalismus ist unverzichtbar, wenn er es schafft, faktenbasiert die Zusammenhänge der Welt verstehen zu lassen.“

 

Nach dem Journalismustag mit rund 1.000 erwarteten Teilnehmern sollten am Abend die Nannen-Preise für hervorragende journalistische Arbeiten vom „Stern“ und dem Verlagshaus Gruner + Jahr verliehen werden.

Zuvor hatten Medienmacher weiter über den Fälschungsfall Relotius diskutiert, den der „Spiegel“ im eigenen Haus im Dezember 2018 aufgedeckt und öffentlich gemacht hatte. Dazu hat eine Kommission jüngst ihren schonungslosen Untersuchungsbericht vorgelegt, der auch Versäumnisse im „Spiegel“-Gesellschaftsressort im Umgang mit dem Reporter darlegt. Relotius hatte in seinen Beiträgen unter anderem Protagonisten und Szenen erfunden. Wie die Sicherungsmechanismen an einigen, wenigen Stellen im Haus versagt hätten, „das ist schon ganz schön hart“, sagte „Spiegel“-Chefredaktuer Steffen Klusmann bei einer Podiumsdiskussion. „Die Vorgesetzten von Relotius haben, als der erste Verdacht aufkam, zu langsam reagiert“, kritisierte er. Klusmann hatte die „Spiegel“-Chefredaktion erst Anfang 2019 offiziell übernommen.
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Als eine Konsequenz aus dem Betrugsfall hat der „Spiegel“ eine Ombudsstelle eingerichtet, die auch künftig möglichen Hinweisen auf Ungereimtheiten in Beiträgen nachgehen soll. Über eine solche Ombudsstelle bei Gruner + Jahr nachzudenken, könne sie sich ebenfalls vorstellen, sagte Verlagschefin Julia Jäkel. Beim „Stern“ wurde angesichts von Fälschungsfällen in den Medien bereits reagiert: Auslandsreporter müssten der Dokumentation Kontaktdaten der Protagonisten nennen, die in den zu veröffentlichenden Beiträgen eine Rolle spielen, erläuterte „Stern“-Chefredakteur Florian Gless. Weil Auslandsreportagen am schwersten nachzuprüfen sein, sollten die Dokumentare mehr Hilfen für ihre Überprüfungen bekommen.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ und ihr Online-Portal haben jüngst ebenfalls ihre Arbeitsstandards überarbeitet, sie sind verbindlich für alle Autoren. „Wenn ein Text zu glatt ist, stimmt in der Regel irgendetwas nicht“, meinte Stefan Willeke, Mitglied der Chefredaktion der „Zeit“ auf dem Podium. Dann müsse man schon gewarnt sein. Er habe immer „struppige Texte“ mit harten inhaltlichen Brüchen besser gefunden, merkte Willeke an. Der „Zeit“-Chefreporter hat in seiner Laufbahn mehrere Journalistenpreise erhalten, darunter mehrmals den Nannen-Preis für die beste Reportage.