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Beim Demokratie-Forum Hambacher Schloss: Susanne Gaschke warnt Journalisten vor „Trend zur Zuspitzung“

Heftige Vorwürfe hat die frühere Kieler Oberbürgermeisterin und „Zeit“-Journalistin Susanne Gaschke beim Demokratie-Forum Hambacher Schloss gegenüber Journalisten erhoben. Nehmen wir unsere Leser nicht mehr ernst genug? Von Bülend Ürük.

Neustadt an der Weinstraße - Es war eine sehenswerte Runde, die der SWR-Chefreporter Prof. Dr. Thomas Leif am Mittwochabend in Neustadt an der Weinstraße versammeln konnte.

Zu Leif gesellten sich neben Susanne Gaschke auch Malu Dreyer, Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen; Michael Götschenberg, Leiter des MDR-Hörfunkstudios im ARD-Hauptstadtbüro, Autor von „Der böse Wulff?“; Jörg Kachelmann, Wetter-Experte und Autor von „Recht und Gerechtigkeit. Ein Märchen aus der Provinz.“ und Hans Mathias Kepplinger, emeritierter Professor für empirische Kommunikationsforschung an der Universität Mainz.

Im Gespräch mit Moderator Thomas Leif nahmen die Gäste beim Demokratie-Forum Hambacher Schloss kein Blatt vor den Mund.

Schon in den Leitfragen wollte Leif wissen: Wird die Suche nach „Aufregern“ von einem Wandel der Qualitätsnachrichten in einer „Empörungsdemokratie“ begleitet? Oder bedienen die Medien lediglich das Interesse des Publikums nach Skandalträchtigen? Und ändert sich im Zuge dieser Entwicklung das Berufsbild des Journalisten von einem nüchternen Aufklärer, der das Prinzip der Unschuldsvermutung respektiert, zum „Emotions-Ingenieur“?

Für Susanne Gaschke, deren Aufarbeitung ihrer Kieler Oberbürgermeister-Zeit in dieser Woche als Buch („Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu gehen“; lesenswert) erschienen ist, steht fest: „Es gibt den Trend zur Vermischung von Nachricht und Kommentar. Es gibt den Trend zur Zuspitzung. Es gibt den Trend zur Personalisierung. Je weltanschaulich „neutraler“ Journalisten sich selbst wahrnehmen, desto weniger fühlen sie sich offenbar zur Ausgewogenheit verpflichtet.“

Gaschke wirft Journalisten vor, ihr Publikum nicht mehr ernst zu nehmen: „Und notwendige Komplexitätsreduzierung, die ja auch eine zentrale Aufgabe von Journalisten ist – etwas genau verstehen und für andere genau erklären – ist zu einer Publikumsverachtung verkommen: Mach es nicht so kompliziert, das versteht der Leser/Zuschauer sowieso nicht! Alte Schlachtrösser wie Theo Sommer pflegten zu scherzen: Erst stark vereinfachen, dann stark übertreiben. Das ist heute nicht mehr so lustig, weil es weitgehend Realität ist.“

 

Journalisten verachten das Publikum. Sagt Susanne Gaschke. Aber vielleicht verachtet das Publikum auch sie? http://t.co/ScIYFRp5Qy

— Bernd Ziesemer (@BerndZiesemer) 19. September 2014

Auch SPD-Politikerin und Landesmutter Malu Dreyer kritisiert: „Die starke Fokussierung auf so genannte „Aufreger“ und „Skandale“ vermittelt den Bürgern und Bürgerinnen oftmals eine Scheinbedeutung, die den betreffenden Themen objektiv betrachtet nicht zukommt. Damit verschiebt sich in der Wahrnehmung der Menschen leider teilweise der Stellenwert wichtiger gesellschaftlicher Prozesse zugunsten dieser Einzelphänomene.“

„Differenzierte Betrachtung“ vermisst auch Michael Götschenberg: „Zwar wird immer wieder behauptet, man berichte doch nur – tatsächlich beteiligen sich alle an der Verbreitung von immer neuen Vorwürfen, die niemand mehr überprüft. Der Kinderporno-Vorwurf gegen Sebastian Edathy wurde verbreitet mit Verweis auf die Berichterstattung einer Lokalzeitung, ohne eine Bestätigung durch die Staatsanwaltschaft.“ (B.Ü.)

Nehmen Journalisten Leser nicht mehr ernst? Ihre Einschätzung gerne per Email an chefredaktion@newsroom.de!

Newsroom.de-Service: Wir dokumentieren die ausführlichen Antworten von Susanne Gaschke, Malu Dreyer und Michael Götschenberg auf die Leitfragen an dieser Stelle.

Mehr zum Demokratieforum Hambacher Schloss auf www.swr.de/demokratieforum, direkt zum Mitschnitt Anatomie der Medienrepublik - Macht ohne Verantwortung.