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Bild-Chefredakteur Julian Reichelt: Präsenz im Arbeitsalltag ist kein Selbstzweck

Bild-Chefredakteur Julian Reichelt: Präsenz im Arbeitsalltag ist kein Selbstzweck Julian Reichelt

Der „Bild“-Chefredakteur gibt im happy.works.Podcast Einblicke, wie sich die Arbeitswelten im Journalismus jetzt verändern.

Berlin – Julian Reichelt ist Chefredakteur und Sprecher der Geschäftsführung von „Bild“. Er arbeitete als Kriegsberichterstatter, wurde Chefreporter der „Bild“ und stieg zum Online-Chef auf, bevor er 2017 Vorsitzender der „Bild“-Chefredaktionen wurde. Für ihn ging damit ein großer Traum in Erfüllung. Denn schon mit 13 oder 14 Jahren wollte er Chefredakteur der „Bild“ werden, wie Reichelt im happy.works.Podcast sagt.

 

Reichelt kommt aus einem Journalistenhaus. Seine Eltern haben sich bei „Bild“ kennengelernt. „Bild“ sei dementsprechend bei ihm zuhause eine sehr positiv besetzte Marke gewesen. Und sein Berufswunsch „Bild“-Chefredakteur sei von seinen Klassenkameraden als sehr wunderlich aufgenommen worden, erinnert sich Reichelt im Gespräch mit Jasmine Werner und Eva Resch.

 

Reichelt empfindet es als „überragendes Geschenk“, dass er jeden Tag seines Lebens voller Leidenschaft, Euphorie und Vorfreude seinem Job als Journalist nachgehen könne. Arbeit fühlt sich für ihn an, „als das, was ich in diesem Moment am liebsten machen möchte“. 

 

Eine kleine Parallele zieht er von seinem früheren Job als Kriegsreporter zur Corona-Krise. Schon damals sei ihm offenkundig geworden: „Menschen gewöhnen sich an alles. Menschen können mit jeder Situation, mit der sie konfrontiert werden, mit jeder Härte und Krise, Katastrophe und Bedrohung umgehen. Deswegen gibt es uns noch.“ Diese Beobachtung ist für Reichelt etwas sehr positives und hoffnungsvolles. 

 

Die Corona-Krise könne auch für ein Land wie Deutschland heilsam sein – sie schaffe ein Bewusstsein, dass viele Dinge nicht selbstverständlich seien und auch schwere Herausforderungen sich meistern ließen. Sehr viele Menschen hätten erfahren, sie müssen sich nicht fürchten – nicht vor Videokonferenzen und auch nicht vor höheren Hürden. Menschen seien von Natur aus ausgestattet mit den Mitteln und der Kreativität, dem Überlebenswillen und dem Drang, Dinge zu verbessern und zu überwinden. Man werde die Corona-Krise also überstehen und gestärkt und mit neuen Erfahrungen daraus hervorgehen. 

 

Als Axel-Springer Führungskraft hat Julian Reichelt versucht, seinen Mitarbeitern gegenüber besonders fürsorglich zu sein. Und er habe mit seinen „Bild“-Reportern ausbalancieren müssen, dass sie „in der größten Nachrichtenlage unseres Lebens“ raus gehen und Geschichten vor Ort covern. Reichelt bescheinigt seinem Team „herausragende Reporterleistungen, gerade von vielen jungen Leuten“, die monatelang über sich hinausgewachsen seien. 

 

Die Arbeitswelt im Journalismus hat sich in jüngster Zeit insoweit verändert, dass die Bedeutung von Präsenz rückläufig ist, sagt Reichelt im happy.works.Podcast von Jasmine Werner und Eva Resch. „Präsenz in gewissen Konstellationen und Gruppen, Zusammensein ist etwas Großartiges. Wir haben in der Hochphase von Corona gelernt, wie schnell wir uns als Mensch isoliert fühlen, wie sehr wir Herdentiere sind. Aber Präsenz ist im Arbeitsalltag kein Selbstzweck. Nur weil viele da sind, werden die Dinge nicht unbedingt besser. Es müssen die Richtigen in den richtigen Konstellationen zusammen sein.“ Für Reichelt müssen diese „Konstellationen“ auch nicht immer räumlich, sondern können in digitalen Spaces stattfinden.  

 

Der „Bild“-Chefredakteur hat in den Hochzeiten von Corona extrem gemerkt, wie Überpräsenz verlangsamt oder auch lahmlegt. Nach seinem Befinden gingen sehr viele Dinge sehr viel schneller, weil die Gruppen deutlich verschlankt waren. Man habe gelernt: „Wir arbeiten mit den Leuten, die dafür gebraucht werden, für das jeweilige Task, und nicht mit allen, die dann unbedingt in dem Raum sein wollen.“ „Das beste Ergebnis kommt raus, wenn man die Mitarbeiter zusammenbringt, die am meisten dazu beizutragen haben“. Man könne zudem sehr viel Präsenz abbauen, indem Leute dort arbeiten – mit digitalen Tools – wo sie sich auch selber am produktivsten empfinden. Für Reichelt ist die beste Redaktion die, „bei der jeder an seinem Platz ist. Das muss nicht zwingend in der Redaktion sein.“ Dies könne auch der eigene Garten oder die Küche sein. Und dies werde man nun bei „Bild“ schrittweise anwenden auf den Arbeitsalltag. 

 

Marc Bartl