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Wirecard-Skandal: Hat der deutsche Wirtschaftsjournalismus versagt?

Wirecard-Skandal: Hat der deutsche Wirtschaftsjournalismus versagt? Wolfgang Messner

Der Wirecard-Skandal legt einige Schwächen im deutschen Wirtschaftsjournalismus offen. Nicht wenige Journalisten haben den Betrügern nur zu gern geglaubt. Für Selbstkritik sieht die Branche trotzdem wenig Anlass. Ein Kommentar von „Wirtschaftsjournalist“-Chefredakteur Wolfgang Messner, der auch die Rolle der „FAZ“ kritisch sieht.

München – „Mehr Recherche“, wünscht sich Chefredakteur Wolfgang Messner in der aktuellen Ausgabe des „Wirtschaftsjournalisten“:

 

Die Ausgangslage: Schmuddel 

Eine Firma, die aus der Schmuddelecke kommt, ihr Geld noch ganz lange Zeit mit Online-Glücksspiel und Pornoseiten verdient hat. Ein Unternehmen, das fast von Beginn an begleitet war von Betrugsvorwürfen. Hätte das nicht stutzig machen müssen? Manchen Journalisten erging es so. Diese Kollegen waren sich Anfang der Nullerjahre bereits sicher, dass mit dieser Internetbude aus dem grauen Münchner Vorort Aschheim etwas so gar nicht stimmen konnte. Dass da mutmaßlich Betrüger am Werke waren. Diese Kollegen haben versucht, hinter den Vorhang zu schauen. Heute betrachten sie den Fall Wirecard mit einer Mischung aus Scham und Selbstkritik und wollen nicht zitiert werden. Dabei hatten sie den richtigen Riecher.

 

Die Story vom Fintech-Wunder 

Es gibt aber andere Kollegen – und das sind nicht wenige –, die sich in dem Spiel gefallen, in dem sich Journalisten am allerliebsten hervortun: hinterher schon immer alles vorher gewusst zu haben. Auch wenn sie nix gewusst haben und vielleicht auch gar nicht viel wissen wollten, sondern nur brav die Jahres- und Quartalszahlen von Wirecard reportiert und aufgeschrieben haben, was ihnen die WirecardVorstände in den Block diktierten. Man raunte lieber vom Fintech-Wunder, einem zweiten SAP. 

 

Das ließ sich besser verkaufen als miesmacherische Negativstorys. Freilich: Leicht zu knacken war das Konstrukt nicht. Wirecard war ein closed shop, nur sehr schwer zu durchschauen. Die Wirtschaftsprüfer, die Behörden und die Politik hielten zu dem Börsenliebling. Top-Anwälte und Elite-Berater schreckten bei Recherchen ab. Dass die Aufklärung dennoch gelang, war der „Financial Times“ und ihrem Investigativreporter Dan McCrum zu verdanken, der den Skandal fast im Alleingang aufgedeckt hat (siehe Wirtschaftsjournalist-Interview). Die Weltmarke „Financial Times“ war bereit, für die Story ihr Renommee in die Waagschale zu werfen. 

 

Der deutsche Wirtschaftsjournalismus hat sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Insgesamt waren alle zu spät dran und machten zu wenig. Aber es gibt auch ermutigende Beispiele wie die Berichte in der „Süddeutschen“ und der „Wirtschaftswoche“. Die „Zeit“, der „Spiegel“ und „Manager Magazin“ waren kritisch. Das „Handelsblatt“ war mutmaßlich gefälschten Tonbandprotokollen aufgesessen und hat Wirecard in die Hände gespielt. Grund also für Selbstkritik? Zum Teil ja, zum Teil aber auch nicht

 

Die Räsonierer aus Frankfurt 

Bei der „FAZ“ und der „BörsenZeitung“ aber gibt es eine Haltung, die lautet: Spielt nicht mit den Schmuddelkindern! Investigative Recherche gilt als pfui. Da scheut man auch das Risiko und schaut sich lieber vom Grubenrand aus an, was andere ausbuddeln und verteilt Haltungsnoten. Räsonieren geht vor Recherchieren. Exklusivgeschichten bekommt man so nicht. Die „FAZ“ und die „BörsenZeitung“ werden sich ändern müssen, wenn sie mithalten wollen. Im beschleunigten digitalen Zeitalter ist die Währung nicht eine weitere Meinung in einem Meer von Meinungen, sondern die harte News. Die aufregende Nachricht, die kein anderer hat.

 

Der Kommentar stammt aus der aktuellen Ausgabe des „Wirtschaftsjournalisten“. Dort finden Sie unter anderem auch folgende Themen:

  • Allein gegen Wirecard. Wie Dan McCrum von der „Financial Times“ den Mega-Betrugsfall aufgedeckt hat. Wer alles gegen ihn war und welche Ängste er ausstehen musste. Und warum man für diese Art von Journalismus keine Experte sein musste.
  • Warum weiß Sven Afhüppe alles über Corona? Wie der „Handelsblatt“-Chefredakteur zu seinem Wissen kam und dabei beinahe Teile der Redaktion angesteckt hat.
  • Was machen Sie bei Tichy, Herr Wendt? Vom „Focus“ zum rechtspopulistischen „Tichys Einblick“. Wie bekommt man das hin?
  • Mit nackten Zahlen sind keine Leser zu gewinnen. Wie „WAZ“-Chefredakteur Andreas Tyrock die regionale Wirtschaft als Abo-Bringer entdeckt hat.
  • Was war ihr größter Fehler, Herr Christian Kirchner? In der Causa Wirecard sieht der Ex-„Capital“-Mann sein größtes Versäumnis, gesteht er im Fragebogen. Dort habe er „zehn Jahre zu viel bedeutungsschwer gelabert und zu wenig geschrieben“.