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Correctiv-Vize: „Nicht über jedes AfD-Stöckchen springen“

Correctiv-Vize: „Nicht über jedes AfD-Stöckchen springen“ Anette Dowideit

Anette Dowideit wünscht sich von Medien mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit der AfD. Statt über jedes Stöckchen zu springen, sollten Redaktionen schauen, was andere Parteien zu bieten haben – im Guten wie im Schlechten.

Essen/Bonn (KNA) Vor mehr als vier Wochen enthüllte das Medienhaus Correctiv Vertreibungspläne, die radikale Rechte sowie einzelne Politiker von AfD, CDU und Werteunion bei einem Treffen in Potsdam geschmiedet haben sollen. Seitdem gingen Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße, zugleich sind Correctiv-Reporter Shitstorms und Bedrohungen ausgesetzt. Die stellvertretende Chefredakteurin Anette Dowideit erklärt im Interview, warum die Recherche zum richtigen Zeitpunkt kam und wie sie sich auf das Spendenvolumen des gemeinnützigen Recherchezentrums auswirkt.

 

Knallen bei Correctiv jetzt eigentlich täglich die Sektkorken?

Anette Dowideit: Nein, überhaupt nicht. Wir haben am Anfang staunend beobachtet, was passiert. Zwar war es gut, dass wir als Correctiv so viel Aufmerksamkeit bekommen haben und ein demokratischer Protest in Gang gekommen ist. Wir haben aber alle das Bedürfnis, jetzt mal durchzuatmen.

 

Bislang hatten Sie aber noch keine Zeit dafür?

Bisher noch nicht. Es ist mehr als vier Wochen her, dass unsere Recherche erschienen ist. Seitdem befindet sich die ganze Redaktion in einem Ausnahmezustand. Auch die Redakteure, die nicht zum Investigativ-Team gehören, haben zum Beispiel täglich unseren Nachrichten-Ticker zur Recherche mit bestückt. Wir sind noch nicht zur Normalität zurückgekehrt. Es hat uns als Redaktion aber auch sehr zusammengeschweißt, es ist ein großes Gemeinschaftsgefühl entstanden.

 

Wie viele Redakteure waren an der Recherche zum Potsdam-Treffen direkt beteiligt?

Das Recherche-Team umfasst fünf Reporterinnen und Reporter. Hinzu kommen Leute, die zum Beispiel die Grafik und Illustrationen gemacht haben.

 

Ihre Recherche war unglaublich wirkungsvoll. Correctiv war zu Beginn fast täglich in der „Tagesschau“, Hunderttausende Menschen sind auf die Straße gegangen, und die AfD hat in der Wählergunst offenbar ein paar Prozentpunkte verloren. Warum hat die Veröffentlichung so eingeschlagen?

Wir wissen nicht, ob die AfD wirklich wegen unserer Recherche in Umfragen verloren hat. Das gleiche gilt für die Demonstrationen: Die Menschen hatten ein Bedürfnis, und wir haben einen letzten Anstoß gegeben. Das ist uns wichtig zu betonen.

 

Reden Sie Ihren Anteil jetzt nicht etwas klein?

Ich habe vor kurzem eine Umfrage des Kölner Rheingold-Instituts gelesen, der zufolge viele Demonstranten angesichts multipler Krisen vorher schon ein Ohnmachtsgefühl gespürt haben. Sie haben sich laut der Studie gefragt, was sie im politischen Prozess bewegen können. Durch unsere Recherche haben sie einen Anstoß bekommen, etwas zu tun, sich wieder handlungsfähig zu fühlen. Die Haltung war also schon da. Wir hatten Glück, dass wir mit unserer Geschichte zum richtigen Zeitpunkt gekommen sind.

 

War das der einzige Grund?

Nein, es gab nämlich auch vorher schon gute Recherchen zur AfD, etwa zu den Russland-Verbindungen der Partei. Die jetzige Recherche von uns war aber einerseits emotionaler erzählt. Andererseits haben viele Leute nun das erste Mal verstanden, was es mit ihrem eigenen Leben unmittelbar zu tun hat. Sie haben gemerkt, dass es sie selbst betrifft, weil es in ihrem eigenen Freundeskreis Menschen mit Zuwanderungshintergrund gibt oder sie selbst einen haben. Das hat zur Frage geführt, was denn wäre, wenn die AfD nun wirklich an die Macht kommen würde.

 

Hat sich die Recherche auch auf das Spendenaufkommen von Correctiv ausgewirkt?

Wir wissen, dass es aktuell einen hohen Zulauf an Einzelpersonen gibt, die einmalig oder dauerhaft spenden. Über eine genaue Zahl haben wir aber noch keinen Überblick. Wir sind ein kleines Team und noch dabei, es zu sichten. Aber auch vor der Veröffentlichung haben wir schon einen Anstieg bei den Einzelspendern gespürt. Die Sorge um die Demokratie hat offenbar schon viele Menschen zuvor umgetrieben.

 

Gegner werfen Correctiv vor, staatlich finanziert zu sein. Was sagen Sie dazu?

Dem treten wir immer wieder entgegen: Unsere investigativen Recherchen sind nur von Einzelspendern und institutionellen Förderern finanziert. Teile des Correctiv-Medienhauses, bei denen es um Medienbildung geht, etwa unsere Jugendredaktion, werden zum Teil staatlich gefördert. Das wird manchmal mit Absicht vermengt.

 

Es gibt auch kritische Stimmen zur Recherche: Zum einen der Einwurf, dass es nicht neu ist, dass sich AfD-Mitglieder mit rechtsextremen Menschen treffen. Was sagen Sie dazu?

Dass Treffen des sogenannten Düsseldorfer Forums stattfinden, war tatsächlich bekannt. Man wusste aber nie genau, was dort besprochen wurde. Bis zu unserer Veröffentlichung wurden in dieser Klarheit die Inhalte dieser Treffen also noch nie in Verbindung mit den dort anwesenden hochrangigen AfD-Politikern gebracht. Und in Potsdam waren AfD-Politiker bis hinein in die Bundesspitze, und diese Politiker haben gesagt: Wir unterstützen Pläne aus der rechtsradikalen Bewegung zur Vertreibung von Menschen. Das war neu. Die AfD-Bundesspitze hatte sich bislang immer abgegrenzt zur Identitären Bewegung, und die "Remigration" bezieht die AfD offiziell immer nur auf ausreisepflichtige Menschen.

 

Ein zweiter Kritikpunkt lautet: Kein Correctiv-Reporter war beim Treffen anwesend. Sie beziehen sich in Ihrer Recherche nur auf das, was Ihnen zugetragen wurde. Ist das ausreichend?

Es ist richtig, dass unser Reporter nicht selbst im Raum war. Wir haben die Teilnehmer des Treffens, die wir im Text zitieren, vor der Veröffentlichung aber mit den Inhalten konfrontiert - niemand hat sie grundsätzlich dementiert. Das spricht doch stark dafür, dass die Informationen richtig sind. Darüber hinaus können wir über unsere Quellen nichts sagen. Quellenschutz ist für uns als Investigativjournalisten das Allerwichtigste. Zudem bekommen wir im Moment viele Shitstorms, Anfeindungen und Bedrohungen.

 

Wie massiv sind die Anfeindungen?

Einige unserer Reporter haben Drohanrufe erhalten. Wir sind dazu mit Sicherheitsbehörden im Austausch. Nach Einschätzung der Behörden gibt es aber keine unmittelbare Bedrohungslage. Sie haben das sehr genau auf dem Schirm. Daneben gibt es seitens der AfD Diffamierungskampagnen gegen Correctiv, die sich in rechtspopulistische Medien wie "Nius" von Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt übersetzen. Außerdem bespielen sie die Sozialen Medien. Für uns ist das allerdings wenig überraschend, weil es das übliche Vorgehen der AfD ist, in das sie viel Budget steckt.

 

Wie schützen und stärken Sie Ihre Redakteure und Redakteurinnen aktuell intern?

Wir intensivieren unsere schon existierenden Maßnahmen. Zum Beispiel gibt es verstärkt Sicherheitsbriefings zum Thema Datensicherheit, um uns vor Hacking zu schützen. Außerdem haben wir externe Ansprechpartner, an die sich Reporter wenden können, wenn sie psychisch angeschlagen sind. Für unsere Community-Manager ist es beispielsweise sehr belastend, bei Instagram die ganze Zeit Hass-Mails von Bots und anderen herausfiltern zu müssen.

 

Gibt es Klagen gegen Correctiv, zum Beispiel von Teilnehmern des Potsdamer Treffens?

Entgegen von Gerüchten mussten wir nichts am Text ändern, bis auf einen einzigen Halbsatz. Der bezog sich darauf, dass Alexander von Bismarck an dem Treffen teilgenommen hat. Wir hatten ihn zuerst als direkten Nachfahren von Otto von Bismarck beschrieben. Daraufhin meldete sich die Familie und hat das richtiggestellt. Ansonsten gibt es zwei Abmahnungsforderungen von Teilnehmern, eine davon von Ulrich Vosgerau, einem Juristen und Privatdozenten. Das zweite Schreiben kommt von einem Unternehmer, von dem bei dem Treffen behauptet wurde, er habe dafür gespendet. Das geht nun beides seinen rechtlichen Weg. Aus unserer Sicht haben beide Forderungen keine Substanz. Vergangene Woche haben wir zudem aus anderen Medien erfahren, dass die AfD-Abgeordnete Gerrit Huy eine Strafanzeige gestellt haben soll. Wir haben diese Anzeige noch nicht gesehen. Bei X hatte Huy nicht bestritten, was sie bei dem Treffen gesagt hatte, sondern nur erklärt, sie sei als Privatperson da gewesen. Die Argumentation ist in unseren Augen nicht haltbar.

 

Es soll eidesstattliche Versicherungen von sieben Teilnehmern geben, nach denen es auf dem Treffen nie um die Abschiebung von deutschen Staatsangehörigen oder rassistische Kriterien gegangen sein soll. Wie begegnen Sie dem?

Wir schauen uns das an, sehen es aber auch entspannt. Denn unserem Verständnis nach wird darin weder das Treffen noch das besprochene Thema infrage gestellt.

 

Erhält die Recherche eine Fortsetzung? Wie geht es weiter?

Es gibt viele weitere Recherchehinweise, denen wir nachgehen. Das machen wir aber nicht allein, sondern mit unserem Lokalnetzwerk, also Redaktionen aus ganz Deutschland. Zum Beispiel zu Hinweisen zu einzelnen Teilnehmern des Treffens - wir konnten ja längst nicht alle identifizieren.

 

Will sich Correctiv nun eigentlich vergrößern?

Wir brauchen immer neue gute Leute und bekommen zum Glück viele Bewerbungen. Wir wollen uns auch etwas verstärken, aber nicht massiv. Es ist wichtig, sich in so einer Situation nicht zu überfordern und ganz schnell wachsen zu wollen.

 

Glauben Sie, dass die Rechercheergebnisse nachhaltig in der Gesellschaft wirken?

Ich hoffe, dass die Aufbruchsstimmung sich ins tägliche Leben überträgt, und bin recht zuversichtlich. Viele schreiben uns und fragen, was sie nach der Protestwelle weiterhin tun können. Es gibt ein großes Bedürfnis, sich zu engagieren. Dem versuchen wir zu begegnen, indem wir mit unseren begrenzten personellen Ressourcen eine Datenbank für die Demokratie aufbauen. Dort können sich Menschen melden, die eine Initiative gründen, und andere können sich ihnen anschließen.

 

Was wünschen Sie sich von anderen Medien? Sie persönlich kennen als frühere langjährige „Welt“-Reporterin immerhin auch die Springer-Welt sehr gut.

Zum einen, dass Medien mit Blick auf die AfD nicht über jedes Stöckchen springen. Man kann die Partei auch mal prominent ignorieren. Die AfD versucht ständig, ihre Themen zu setzen und suggeriert etwa, dass eine "unkontrollierte Massenmigration" das größte Problem von Deutschland sei. Das verfängt auch bei vielen Medienschaffenden. Stattdessen sollten diese schauen, was die anderen Parteien im Guten wie im Schlechten zu bieten haben. Viele privatwirtschaftliche Medienhäuser neigen außerdem dazu, den Investigativjournalismus an Verkaufszahlen und Abos zu koppeln. Daraus folgt, dass Verlage ihre eigenen Leser und Leserinnen mit deren Echokammern bedienen wollen. Wenn ein Verlag etwa sagt, dass es bei der eigenen Leserschaft gut funktioniert, etwas Negatives über die Grünen herauszufinden, dann erfährt diese Zielrichtung eine Gewichtung, die sie nicht zwangsläufig verdient. Denn bei einer Recherche findet man natürlich immer irgendetwas, das ist aber nicht unbedingt relevant. Investigativjournalismus darf nicht an Verkaufszahlen gekoppelt sein.

 

Zur Person:

Die Investigativjournalistin Anette Dowideit ist seit Mai 2023 stellvertretende Chefredakteurin des Medienhauses Correctiv mit Sitz in Essen. Bis zu ihrem Wechsel schrieb die Diplom-Volkswirtin seit 2004 für die „Welt“, zunächst als USA-Korrespondentin. Später war sie als Investigativ-Reporterin tätig und leitete zudem seit 2020 das Investigativ-Team der „Welt“. Zuletzt verantwortete die Journalistin bei Axel Springer den Bereich globale Investigation. Dowideit ist außerdem Autorin mehrerer Sachbücher und regelmäßig in Talkshows zu Gast.