Vermischtes
KNA – Steffen Grimberg

Das Manifest zur Rundfunkreform schadet sich selbst

Seit der vergangenen Woche erhitzt ein „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ die Gemüter, obwohl es gerade nicht aus dem „Maschinenraum“ von ARD und ZDF kommt. Ein Versuch einer Analyse.

Berlin (KNA) – Seit einer Woche ist das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ in der Diskussion. Rund 130 Menschen haben es erstunterzeichnet, eine entsprechende Petition auf der Plattform „Open Petition“ hat beim Schreiben dieser Zeilen 19.765 Unterstützer - bei angestrebten 30.000.

 

„Wir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio, sowie alle weiteren Unterzeichnenden, schätzen einen starken unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland als wesentliche Säule unserer Demokratie, der gesellschaftlichen Kommunikation und Kultur“, lautet der erste Satz. Doch diese Stärke und Unabhängigkeit sehen die Unterzeichnenden in Gefahr. „Das Vertrauen der Menschen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nimmt immer stärker ab. Zweifel an der Ausgewogenheit des Programms wachsen. Die zunehmende Diskrepanz zwischen Programmauftrag und Umsetzung nehmen wir seit vielen Jahren wahr“, heißt es weiter.

 

Gefordert werden mehr Zeit für Recherche, weniger Schielen auf die Quote und bessere Arbeitsbedingungen, vor allem für die freien Mitarbeiter der Anstalten. Strukturell geht es um einen Verzicht auf Outsourcing und um mehr Mitsprache der Mitarbeiter in den Anstaltsgremien, außerdem müsse der Dialog mit den Beitragszahlern stärker und ehrlicher geführt werden.

Unterschiedliche Reaktionen

 

Die Reaktionen auf den Text fallen dabei sehr unterschiedlich aus: Vom „Wutbrief“ schreibt die „Berliner Morgenpost“, die „taz“ sieht eher ein „Jammern am rechten Rand“ und die „Welt“ freut sich, dass endlich Risse in der nach ihrer Sicht „grünrotlackierten Heile-Welt-Konstrukt der Sender“ sichtbar würden.

 

Was ist also dran am „Manifest“? Zunächst einmal: Eine wirkliche Wortmeldung aus dem Maschinenraum der Anstalten ist es nicht. Unter den Unterzeichnenden finden sich nur wenige aktive Journalisten aus den Redaktionen von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Dafür haben prominente Ehemalige wie Luc Jochimsen, von 1994 bis 2001 Chefredakteurin beim Hessischen Rundfunk und später für die Linkspartei im Deutschen Bundestag, das Papier unterzeichnet. Der bei Insidern einschlägig bekannte Ex-NDR-Mann Volker Bräutigam ist dabei, der bereits seit Jahren als Kronzeuge für angebliche politische Manipulationen bei der „Tagesschau“ herhält. Zuletzt hat sich auch Wolfgang Herles, in den 1990er Jahren Leiter der ZDF-Innenpolitik und bis 2015 Moderator des Kulturmagazins „Aspekte“ markig hinter das Manifest gestellt. Heute ist Herles unter anderem Kolumnist des rechten Portals Tichys Einblick. Im Impressum verantwortlich zeichnet Ole Skambraks, ein wegen seiner Behauptungen, der Sender habe in der Corona-Pandemie Nachrichten unterdrückt, entlassener ehemaliger Mitarbeiter des Südwestrundfunks.

 

Dubiose Unterstützer

Auch unter den vielen anstaltsfernen Unterstützern des Manifests finden sich viele schwierige Fälle. Ex-TV-Pastor Jürgen Fliege ist dabei, der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen schon mal zum Gottesdienst erklärte. Der an der Münchner Uni lehrende Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, der auf dem umstrittenen Portal Manova-News (früher Rubikon) über „Medienrealität“ bloggt. 2023 gehörte Meyen zum Herausgeberteam des „Demokratischen Widerstands“, eines Blattes, das Verschwörungsmythen und Falschinformationen publiziert. Oder die von ihrer Universität gekündigte Professorin Ulrike Guérot, die zu Corona-Zeiten gegen Masken und Impfungen war und die heute der Ukraine die Schuld am russischen Angriffskrieg gibt. Entsprechend finden sich im Manifest zahlreiche mehr oder weniger deutliche Unterstellungen, ARD, ZDF und Deutschlandradio würden massiv politisch beeinflusst und würden in ihren Redaktionen immer wieder gegen journalistische Standards verstoßen.

 

So kritisiert das Manifest „Faktenchecks“, weil diese eine „vermeintlich absolute Wahrheit, die selten existiert“ vorgaukelten und generell die Funktion des Journalismus, Dinge einzuordnen und zu analysieren, als einseitige Meinungsmache wertet. „Der freie gesellschaftliche Diskurs wird dadurch schmerzhaft beschnitten“, heißt es im Manifest. Und offenbart eine sehr eigenwillige Vorstellung von Journalismus. „Stimmen, die einen – medial behaupteten – gesellschaftlichen Konsens hinterfragen, werden wahlweise ignoriert, lächerlich gemacht oder gar ausgegrenzt“, geht es weiter. Dazu bediene sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk „inflationär (...) verschiedener ‚Kampfbegriffe‘ wie ‚Querdenker‘, ‚Schwurbler‘, ‚Klima-Leugner‘, ‚Putin-Versteher‘, ‚Gesinnungspazifist‘„, mit denen versucht werde, „Minderheiten mit abweichender Meinung zu diffamieren und mundtot zu machen“.

 

Redakteursausschüsse widersprechen

Auch wenn die „Welt“ in einem Kommentar zum Manifest richtig anmerkt, „seine Kritiker kann man sich nicht aussuchen“: Durch diese Schlagseite schadet sich das von einer Vielzahl der Unterstützer sachlich gemeinte Manifest selbst. Deutlich wurde das an der Reaktion der Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse (AGRA) von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Sie wiesen zentrale Aussagen des Manifests scharf zurück. „Der Eindruck, dass in den Sendern nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden und nur ‚Mainstream‘-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten, ist falsch“, heißt es denn auch in einer Stellungnahme der AGRA. Es gebe „überall eine lebhafte Streitkultur“, und: „Berichterstattung findet grundsätzlich nach journalistischen Prinzipien statt.“ In den Redakteursausschüssen sitzen übrigens zu 100 Prozent aktive journalistische Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sender.

 

Auch das ZDF erklärte, seine Mitarbeiter hätten „nicht nur bei internen Dialogveranstaltungen und in Redaktionskonferenzen jederzeit die Möglichkeit, sich kritisch zu äußern“. Und Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue bekannte im Interview mit der „Berliner Zeitung“, er habe sich „das Papier mehrfach durchgelesen, aber so richtig bin ich der Sache nicht auf die Spur gekommen“. Es werde in seinem Haus „sehr offen diskutiert, da haben auch diejenigen mitdiskutiert, die da unterschrieben haben“, so Raue.

 

Eine Leerstelle zeigen das Manifest und die laufende Debatte allerdings überdeutlich auf: Es fehlt an konkreten, übergreifenden Wortmeldungen und Vorschlägen für eine Reform aus dem Maschinenraum der Anstalten. Was auch daran liegt, dass es im öffentlich-rechtlichen System immer noch als verpönt gilt, sich mit sich selbst im eigenen Angebot auseinander zu setzen. Das galt lange selbst für viele der Medienmagazine im ARD-Hörfunk – die ohnehin längst nicht bei allen Anstalten üblich sind. Doch diese Zeiten sind vorbei.