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FAZ-Autor wirft „Spiegel“ Panikmache und Heuchelei vor

FAZ-Autor wirft „Spiegel“ Panikmache und Heuchelei vor

FAZ-Autor Nikolai Klimeniouk macht dem „Spiegel“ schwere Vorwürfe. Das Magazin habe mit seiner Berichterstattung „jahrelang massiv Vorschub für den Antisemitismus in Deutschland“ geleistet. Die jüngste „Spiegel“-Titelgeschichte („Wir haben Angst“) ist für Klimeniouk der Gipfel.

Hamburg/Frankfurt – „Im Archiv finden sich zahlreiche Publikationen, die typischerweise Titel wie ,Palästinenser bei israelischen Angriffen getötet‘ tragen, wenn es sich um vereitelte Anschläge oder Israels militärische Operationen gegen die Infrastruktur des Terrors geht, selbst wenn es keine zivilen Opfer gab. Das ist eine fest etablierte Täter-Opfer-Umkehr“, schreibt Nikolai Klimeniouk im FAZ-Feuilleton.

 

Der freie Autor listet eine Reihe von Beispielen auf, in denen der „Spiegel“ zur Ausbreitung von Antisemitismus beigetragen haben soll – und geht dann auf die jüngste Titelgeschichte ein. „Wir haben Angst“, heißt es dort in großen Lettern. Etwas kleiner: „Judenhass in Deutschland“. Dazu sind vier Gesichter abgebildet.

 

Klimeniouk kritisiert daran, dass der „Spiegel“ mit seinem Cover „die völlig nachvollziehbare Angst Einzelner zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen“ mache. Dieser Titel sei keine Tatsachenfeststellung, sondern Panikmache, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, meint Klimeniouk. Von fast jedem Zeitungsstand in Deutschland aus ermutige der „Spiegel“-Aufmacher die Täter und entmutige die Juden, indem er suggeriere, sie seien der Gefahr schutzlos ausgeliefert, so die Sicht des Journalisten. „Doch sich einer Gefahr bewusst zu sein und die Hasser zu verachten heißt nicht automatisch, Angst zu haben“, betont Klimeniouk.

 

Einer der Abgebildeten ist der 90-jährige Ivar Buterfas-Frankenthal, der sich seit über dreißig Jahren gegen Fremdenhass und Antisemitismus engagiert. Für Klimeniouk ist er ein Bilderbuchbeispiel eines furchtlosen Menschen. „Ausgerechnet mit seinem Gesicht die jüdische Angst zu illustrieren grenzt an Zynismus.“

 

Klimeniouk kommt zu dem Schluss: „Sie wollen, dass wir Juden Angst haben.“ Es sei schwer, den „Spiegel“-Titel anders zu verstehen. „Niemand, den ich kenne, hat Angst. Aber die meisten glauben zu Recht, dass wir uns auf Deutschland nicht verlassen können.“

 

Zur Person
Nikolai Klimeniouk, geboren 1970 in Sewastopol auf der Krim, studierte in Berlin Anglistik, Amerikanistik und Theaterwissenschaft an der Freien Universität und Slawistik an der Humboldt-Universität. Seit 1996 schreibt er über Kultur und Politik. Er war Redakteur bei Forbes Russia, bei Moskaus Stadtmagazin Bolschoj Gorod, beim unabhängigen regierungskritischen Online-Magazin PublicPost.ru, das 2013 unter politischem Druck geschlossen und vom Netz genommen wurde. Seit 2014 lebt er als freier Autor in Berlin und schreibt regelmäßig für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, „Neue Zürcher Zeitung“ und andere deutsche und europäische Medien. Für den Europäischen Austausch arbeitet er seit 2019 als Projektleiter für die „Initiative Quorum".