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dpa – Britta Schultejans

Die gute Nachricht – Ex-Chefredakteur Gernandt: Marke „Bravo“ wird überleben

Die gute Nachricht – Ex-Chefredakteur Gernandt: Marke „Bravo“ wird überleben Alex Gernandt

65 Jahre „Bravo“: Alex Gernandt war 25 Jahre lang „Mr. Bravo“. Der Musikjournalist hat für die Jugendzeitschrift allein 16 Mal Michael Jackson getroffen. Heute betrachtet er die „Bravo“ von außen. Trotz Auflagenschwunds ist sie für ihn nicht weniger als „ein Phänomen“.

München (dpa) − Ein Vierteljahrhundert lang drehte sich bei Alex Gernandt alles um die „Bravo“. Von 1988 bis 2013 arbeitete der Musikjournalist für die legendäre Jugendzeitschrift − zuletzt sogar als Chefredakteur. Er interviewte allein Michael Jackson 16 Mal und erlebte eine Zeit, in der die „Bravo“ eine Auflage von 1,7 Millionen Exemplaren und bis zu sechs Millionen Leser hatte. Die Zeiten sind lange vorbei. Anfang des Jahres wurde die Münchner Redaktion der Jugendzeitschrift aufgelöst, die Inhalte kommen seither aus einem Kölner Redaktionsbüro. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur in München blickt Gernandt − zum 65. Geburtstag des legendären Magazins am 26. August − zurück und verrät, dass er sich ausgerechnet bei Lady Gaga einmal ziemlich vertan hat.

 

Auf dem August-Cover der „Bravo“ sind die „Tiktok-Boys Nic Kaufmann und Benji Krol“. Sagen die Ihnen was?

Alex Gernandt: Nein. Aber das ist ja eigentlich auch gut so. Denn Jugendliche wollen sich von uns Erwachsenen abgrenzen und zwar seit Generationen. Ich hatte sehr tolerante Eltern, aber wenn ich laut Kiss hörte, habe ich sie damit schon etwas irritiert. Meine Mutter wiederum hat ihre Eltern früher mit Elvis Presley geschockt. Mittlerweile ist es so, dass die Eltern der heutigen Leser Metallica und Rammstein hören. Wie kann man sich da noch abzugrenzen? Immer, wenn Erwachsene sagen: „Kenn ich nicht“, ist das im Grunde ein gutes Zeichen − wie im Moment etwa bei dem K-Pop-Phänomen. BTS oder Black Pink kennt ja auch keiner über 30. Aber die Kids lieben sie und das ist gut so.

 

Die „Bravo“ macht aus Ihrer Sicht heute also schon noch Einiges richtig?

Ja. Allein, dass sie jetzt 65 wird, ist ja schon ein Phänomen. „Bravo“ zählt damit zu den ältesten Illustrierten Deutschlands und ist in einem Atemzug zu nennen mit „Spiegel“, „Stern“ und „Brigitte“, die auch in den 1950er Jahren gegründet wurden. Allein das ist schonmal eine Leistung. „Bravo“ ist im Alltag noch immer sehr präsent: in Quizshows, in Dokumentationen, etwa bei „ZDF History“. Natürlich hat sie an Print-Auflage verloren über die Jahre − wie so viele andere Print-Objekte auch. Aber „Bravo“ hat sich längst digital aufgestellt. Die Marke „Bravo“, zu der auch die „Bravo Hits“-CDs gehören, wird überleben.

 

Hat sie denn heute noch den Stellenwert wie zu Hochzeiten in den 1990er Jahren?

Die heutige Jugend ist schon noch „Bravo“-affin, aber wohl nicht mehr in dem Maß, wie sie es früher war. Damals war „Bravo“ so gut wie alternativlos. Im Fernsehen lief „Disco“, im Radio kam ab und zu mal ein Pop-Hit und zu lesen gab's für Jugendliche nichts außer eben „Bravo“. Vom Tag der Gründung an war „Bravo“ Marktführer im Jugendbereich. Man musste „Bravo“ lesen, um zu wissen, was bei den Lieblings-Stars los ist: wie sieht der neue Hairstyle von Madonna aus, wie die Show von Take That? Wie leben Robbie Williams oder Shakira privat? Mit der zunehmenden Digitalisierung hat sich das verändert. Heute twittern die Stars selbst, sind auf Instagram und TikTok aktiv. Früher fungierte „Bravo“ als Bindeglied zwischen Fans und Stars. In dieser Hinsicht spielt „Bravo“ nicht mehr die Rolle.

 

Seit wann ist das so?

Ich würde sagen, seit 2005/2006. Als damals Tokio Hotel anfingen, gab es Facebook noch nicht. Die Band hat polarisiert, auf der einen Seite eine riesige Fangemeinde, auf der anderen aber auch Hasser. Nur hatten die noch nicht die digitalen Möglichkeiten zur Meinungsäußerung und somit konnte die Band wachsen. Mittlerweile haben sich das Konsumverhalten der Kids und auch die Bindung an die Künstler, die Fan-Treue, radikal verändert, einfach weil alles schnelllebiger wurde. Es gibt ein Überangebot an Entertainment und so viele Kanäle, auf denen man teilweise kostenfrei Neues entdecken kann, YouTube, Social Media, Netflix, Spotify.

 

Sie haben als Reporter große Stars interviewt, allein Michael Jackson mehr als ein Dutzend mal. Vor ein paar Jahren standen Mick Jagger und Keith Richards noch auf Ihrer To-do-Liste. Hat sich das inzwischen geändert?

Leider nicht. Die beiden fehlen mir noch immer. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.

 

In der „Bravo“ hätten die Rolling Stones heute aber keine Chance mehr …

Sicher nicht. Ich hatte vor vielen Jahren noch das Glück, Weltstars wie Tina Turner, Joe Cocker oder Paul McCartney zu interviewen, die damals schon über 40 waren und trotzdem in „Bravo“ stattfanden. Mit dem Musik-TV-Sender Viva kam um 1994 die jüngere Garde, Tic Tac Toe, DJ Bobo, die Fantastischen Vier, und damit auch ein gewisser Jugendwahn. Zuvor hörten Jugendliche durchaus auch ältere Künstlerinnen und Künstler. Gerade als die Influencer und YouTube-Stars im Kommen waren, bin ich bei „Bravo“ ausgeschieden.

 

Zum Glück?

Naja, als Erwachsener kann man dieses Phänomen schnell verteufeln und fragen: Was wollen die? Aber jede Generation hat ihre eigenen Stars und Idole. Man muss dabei die Pop-Geschichte im Auge behalten: Elvis wurde in den Fünfzigern von vielen Eltern als „Teufels-Musik“ verurteilt, als einer, der die Jugend verdirbt. Die Beatles galten in den Sechzigern als Gammler. Man kann Elvis oder die Beatles zwar nicht unbedingt mit den YouTubern vergleichen, aber zumindest das Phänomen ist dasselbe. Die Jugend will ihre eigenen Stars und die Erwachsenen haben da im Prinzip nichts zu melden. Von daher haben die heutigen Stars natürlich ihre Berechtigung: Angebot und Nachfrage!

 

„Bravo“ hat unter Ihrer Ägide auch Stars geschaffen, Karrieren gepusht: Sarah Connor, Silbermond, Sunrise Avenue, Tokio Hotel. Take That traten auf einer internen „Bravo“-Weihnachtsfeier auf, noch bevor sie das Boyband-Phänomen der 1990er begründeten. Haben Sie sich rückblickend bei einem Künstler auch mal vertan?

Ja klar, und zwar bei Lady Gaga. Ich hatte früher als Talentscout von „Bravo“ das Privileg, die Newcomer-Acts vor Veröffentlichung hören zu dürfen, alle großen Plattenfirmen wollten mit uns kooperieren, die PR-Power von „Bravo“ war ja immens. Im Zuge dessen hörte ich „Just Dance“, Lady Gagas erste Single, und fand die auch gut. Aber mir war klar, dass das Clubmusik ist, unsere „Bravo“-Kids aber noch nicht in Clubs gehen. Dazu muss ich sagen, dass Lady Gaga damals optisch noch relativ unscheinbar daher kam, ohne diese wahnsinnigen Outfits. Sie war einfach eine neue Sängerin mit einer Dance-Nummer. Ich habe die Kooperation daher abgelehnt. Als dann ihre Hits in die Charts geknallt sind, ihre Videos immer spektakulärer wurden und sie quasi zur „neuen Madonna“ avancierte, sind wir natürlich auf den Gaga-Zug aufgesprungen. Das muss man ehrlicherweise sagen.

 

ZUR PERSON: Der Musikjournalist Alex Gernandt fand den Einstieg in die Branche über sein eigenes Heavy-Metal-Fanmagazin, das er bis in die USA verkaufte. Von 1988 bis 2013 war er in verschiedenen Positionen bei „Bravo“ aktiv, zuletzt als Chefredakteur. Er führte über 1000 Interviews, begleitete Michael Jackson exklusiv. Heute ist arbeitet er als freier Musikjournalist für den „Spiegel“. Bald soll ein neues Buch von ihm über die Rocker von Bon Jovi auf den Markt kommen.