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dpa - Gregor Tholl

Die reaktionäre Welt von „Ganoven-Ede“: ZDF nimmt „Aktenzeichen XY... ungelöst“ unter die Lupe

Die reaktionäre Welt von „Ganoven-Ede“: ZDF nimmt „Aktenzeichen XY... ungelöst“ unter die Lupe Eduard Zimmermann (Foto: ZDF)

„Diese Sendung ist kein Spiel“ ist die zweite Doku zur deutschen Fernsehgeschichte von Regina Schilling. Ausgerechnet im ZDF werden damit viele Jahre von „Aktenzeichen XY... ungelöst“ infrage gestellt.

Mainz (dpa) − 60 Jahre ist das ZDF nun alt, 30 davon − 1967 bis 1997 − war Eduard Zimmermann Moderator und Produzent von „Aktenzeichen XY... ungelöst“. Nun scheint die Zeit gekommen für eine Abrechnung im ZDF mit einem der prägendsten Gesichter des Senders. Eine Doku von Regina Schilling hinterfragt Zimmermann (1929-2009) und dessen erfolgreiches Format, das für nachgespielte Verbrechen und echte Ermittler bekannt ist, die via Fernsehen, mitunter als letzte Hoffnung, Täter suchen.

 

Der Essayfilm „Diese Sendung ist kein Spiel − Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ ist jetzt im TV (Donnerstag um 23.00 Uhr im Zweiten) und in der Mediathek (ab 10.8. morgens) zu sehen.

 

Wie schon nach Schillings ARD-Film „Kulenkampffs Schuhe“ vor genau fünf Jahren versteht man auch nach dieser Doku die Bundesrepublik und ihre Psyche besser. Eigentlich, so die These, wurde der ganze deutschsprachige Raum von Zimmermann, den Kritiker früh „Ganoven-Ede“ tauften, beeinflusst − von seinem reaktionären Menschenbild, den Normen, Werten und Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung.

 

In „Kulenkampffs Schuhe“ ging es unter anderem anhand der Fernsehunterhalter Hans-Joachim Kulenkampff, Hans Rosenthal und Peter Alexander um die verdrängten Traumata der Nachkriegsära.

 

Diesmal untersucht Schilling (60) in ihrer Geschichtsaufarbeitung das Weltbild und Misstrauen, das das „weltweit erste True-Crime-Format“ und der Vorreiter des interaktiven Fernsehens vermittelte. Dafür ordnet sie wieder eine Menge Archivmaterial sehr persönlich ein und stellt spannende Fragen. Sprecherin ist erneut Maria Schrader.

 

„Es scheint, als hätte das Land auf Zimmermann gewartet“, textet Schilling etwa. „Was faszinierte unsere Eltern damals so? War es die Lust an der Angst? Fühlten sie sich selbst noch als Opfer, nachdem sie den Krieg verloren hatten und vor der Welt als Täter standen?“

 

Johannes B. Kerner bekennt sich in einem Talkshow-Ausschnitt gegen Ende der fast 90-minütigen Doku zu einem Bammel: „Ich habe mich immer wahnsinnig gefürchtet vor Ihrer Sendung. Ich hab richtig Angst gehabt vor „XY ungelöst“. Ist das etwas, was sie häufiger hören?“, fragt der Talker seinen Gast im Jahr 2002. Er habe das gelegentlich gehört, antwortet Eduard Zimmermann. „Und kann dazu nur sagen: Angst hat ja auch eine sehr gute pädagogische Wirkung. Man wird vorsichtig.“

 

Von ihrer Angst als Kind in den späten 60ern und frühen 70ern geht auch Schilling aus, die zur sogenannten Babyboomer-Generation gehört. Der Grusel − „Die Verbrechen waren ja wirklich passiert“ − fraß sich in viele Köpfe, auch die von heimlich mitguckenden Kindern.

Wie viele Ängste, die die Sendung auslöste, haben kraft der Bilder in Männern und vor allem Frauen Spuren hinterlassen?

 

Während der Sichtungsphase sei ihr ins Auge gefallen, „was für ein Frauenbild in der Zimmermann-Ära vermittelt wird“, sagt Schilling im ZDF-Pressematerial zur Doku. Und wie energisch Frauenfeindlichkeit visuell umgesetzt und auch ausgesprochen worden sei.

 

In der Doku textet Schilling: „Kommt in den „XY“-Folgen der ersten Jahre ein Mordfall aus dem Milieu der Prostitution vor, wird das nie ausgesprochen.“ Zimmermann sagt einmal zum Beispiel: Frauen, die „ihr Leben in Kneipen und mit vielen mehr oder weniger zufälligen Männerbekanntschaften verbringen, leben gefährlich“. Heute spräche man wohl von „victim blaming“ (auf Deutsch: Opfer-Beschuldigung).

 

Schwule werden ebenso in eine Ecke gestellt. Dialog von Zimmermann und einem Ermittler: „Morde dieser Art sind ja für die Kripo immer besonders schwierig zu lösen.“ − „Ja das liegt daran, dass die persönlichen Beziehungen der Opfer nicht so durchsichtig sind wie bei anderen Menschen in geordneten bürgerlichen Bahnen.“

 

„Eduard Zimmermann hatte eine klare Agenda, er war der verlängerte Arm unserer Eltern, so scheint es mir heute“, sagt Schilling. „Dabei war er viel effektiver als die Eltern. Er erklärte uns, was wir tun dürfen und was nicht. Wie die Abweichung von der Norm bestraft wird.“

 

Eine Sendung von 1973 habe sich ihr besonders eingebrannt, gesteht Schilling in der Doku. Damals habe Zimmermann den Eltern sogar geraten, die Kinder vor das TV-Gerät zu holen. Auf einmal sollte sie sich als Zehnjährige die verbotene Sendung anschauen und sehen, wie die gleichaltrige Lydia auf ihrem Schulweg ins Auto eines fremden Mannes steigt und im Schwarzwald fast totgeschlagen wird.

 

Tragische Schicksale von Mädchen und Frauen und etwa die Gefahren des Trampens wurden immer und immer wieder erzählt, wie Schilling zusammenschneidet. Sexualverbrecher seien in der Sendung oft als kranke Triebtäter dargestellt worden. Dagegen sei aber nicht zur Sprache gekommen, dass es bei Taten dieser Art oft eher um „Macht, Besitz und Unterwerfung“ gehe, dass es vielleicht ein grundsätzlicheres Problem bei vielen Männern geben könnte.

 

Zimmermann verschwieg auch, dass gerade das Zuhause kein sicherer Ort sei, denn Studien zufolge kennt die Mehrzahl aller getöteten Frauen die Täter, weil es ihre Ehemänner, Partner, Ex-Partner oder Verwandte seien. „Hat er uns 30 Jahre ein Märchen erzählt, damit wir Frauen brav zu Hause bleiben? Vor dem Fernseher, um uns dort die immer gleichen Bilder anzuschauen?“