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Drei unbequeme Wahrheiten

Drei unbequeme Wahrheiten „kress pro“-Chefredakteur Markus Wiegand

... zu künstlicher Intelligenz, Julian Reichelt und der Corona-Berichterstattung. Von „kress pro“-Chefredakteur Markus Wiegand.

Berlin – Aus dem Editorial der aktuellen Ausgabe von „kress pro“:


1. Künstliche Intelligenz
Wir haben Anfang Mai einen Videotalk zum Thema KI im Netz angeboten. Schon nach wenigen Tagen steuerte die Zahl der Anmeldungen auf die Marke von 500 zu. Mit so einem Andrang hatten wir nicht gerechnet. Das Interesse ist derzeit riesig. Viele Führungskräfte suchen abseits des Buzzwords Antworten auf die Frage, wie sie mit der Herausforderung umgehen sollen. Daher haben wir das Titelthema für diese Ausgabe kurzfristig umgeworfen und mit Ippen-Digital-Chefredakteur Markus Knall gleich einen der Talk-Referenten für ein Interview verpflichtet. Der Digitalprofi hat uns ungewöhnlich offen erzählt, welche Erfahrungen er mit seiner Redaktion beim Einsatz von KI ganz praktisch gemacht hat. So zeigen wir auch Bilder, die Ippen Digital mit Midjourney generiert hat und einsetzt.

Zudem haben wir andere führende Digitalköpfe gefragt, wie sie die KI-Herausforderung angehen. Eines fällt dabei auf: Natürlich bietet KI ein riesiges Potenzial für die Branche. Um welche unbequeme Wahrheit sich viele aber drücken: Der Einsatz wird in bestimmten Bereichen mittelfristig Arbeitsplätze kosten. Alle, deren Hauptaufgabe das Verwalten von Inhalten durch Kürzen, Zusammenfassen und Produzieren ist, werden in Zukunft nicht mehr gebraucht. Schon heute arbeiten fast alle großen Medienunternehmen an einer Automatisierung der Printproduktion, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Auch bei den wichtigsten Anbietern von Redaktionssystemen steht das Thema ganz oben auf der Agenda, zeigt die Umfrage zu unserem jährlichen Exklusiv-Ranking der Redaktionssysteme.

Andererseits entstehen neue Jobs, etwa für Prompt-Redakteure. Das betont auch Ippen-Digital-Chefredakteur Markus Knall. Er sieht es als wichtige Aufgabe von Führungskräften in der Medienbranche, Wissen über KI zu vermitteln und so Ängste abzubauen. Denn eines ist auch klar: Wer die neuen Möglichkeiten nicht umarmt, wird es langfristig schwer haben.

 

2. Reichelt-Affäre

Stellen Sie sich vor, eine linksliberale Chefredakteurin würde im Verdacht stehen, irgendwelche Untaten begangen zu haben, und dann würde sich herausstellen, dass eine zentrale Quelle dafür sich in zahlreiche Widersprüche verwickelt. Was würde passieren? Man würde breit über den Fall berichten. Richtigerweise. Jetzt stellen Sie sich vor, ein rechtsbürgerlicher Boulevard-Chefredakteur würde im Verdacht stehen, seine Macht gegenüber jungen Frauen missbraucht zu haben, und dann würde sich herausstellen, dass eine zentrale Quelle für den Vorwurf sich in zahlreiche Widersprüche verwickelt. Was passiert?

Es wird nur wenig berichtet, zeigt die Reichelt-Affäre. Alles, was nicht ins Schwarz-Weiß-Narrativ der unterdrückten Frauen passt, wird weitgehend ignoriert. „kress pro“ hat schon im Juli vergangenen Jahres darauf hingewiesen, dass die Vorwürfe gegen Julian Reichelt bei genauer Betrachtung recht schwach belegt sind. Die Reaktionen damals: Lob und Kritik hielten sich die Waage. Die Kritikerinnen und Kritiker warfen uns jedoch vor, „kress“ verteidige einen Populisten wie Reichelt und sein unmögliches Verhalten Frauen gegenüber.

 

Einmal fürs Protokoll: Natürlich ist es nicht hinnehmbar, wenn Vorgesetzte junge Untergebene ansprechen und Affären suchen. Der Kern der Berichterstattung über Reichelt geht aber weit darüber hinaus. Es wird stets betont, der Ex-„Bild“-Chef habe selbst Druck auf die Frauen ausgeübt. Und genau dafür fehlen auch zwei Jahre nach Beginn der Berichterstattung noch immer die Belege. Ebenso offen ist, um wie viele Frauen es für welchen Zeitraum eigentlich genau geht. Das zeigt auch ein Beschluss des Landgerichts Hamburg, der erstmals juristisch die Schwächen der bisherigen Verdachtsberichterstattung offengelegt hat.


Für den Journalismus hierzulande ist das Ganze kein Glanzstück. Es zeigt vielmehr seine Schwächen.

 

3. Corona-Berichterstattung

Eigentlich ist es erstaunlich, dass Corona derzeit fast gar keine Rolle mehr spielt in der Berichterstattung. Dabei gibt es eine Reihe von Fragen aufzuarbeiten. Eine davon: War es eigentlich richtig, auf Kosten der Allgemeinheit auch kerngesunde Konzerne in der Coronazeit zu entlasten, die dadurch oftmals einfach ihre Gewinne gesteigert haben? Ich kann nicht erkennen, dass diese Frage in der Berichterstattung ein großes Thema war oder ist. Vielleicht hat das auch damit etwas zu tun, dass die meisten Medienunternehmen die Entlastungen ebenfalls gerne mitgenommen haben, um ihre Ergebnisse zu verbessern (siehe das Beispiel Madsack in der Kolumne "Aus unseren Kreisen", Seite 80). Wer die Debatte anstößt, zeigt also auch mit einem Finger auf sich selbst.

 

Die Top-Themen im neuen „kress pro“:

  • So gelingt der KI-Einstieg: Ippen-Digital-Chefredakteur Markus Knall sagt, wo sich der Einsatz in der Redaktion schon lohnt und was er kleinen Häusern strategisch rät.
  • Plus: Wie andere Top-Digitalköpfe die KI-Herausforderung angehen
  • Ranking: Welche Redaktionssysteme die meisten Kunden haben.
  • Reichelt-Affäre: Warum sie sich zum Medienskandal ausweitet