Vermischtes
KNA – Thomas Schuler

„Einig in Abscheu gegen alles, was nationalsozialistisch ist“: Vor 80 Jahren erschien die erste Ausgabe der SZ

Am Samstag, dem 6. Oktober 1945, erschien die erste Nummer der „Süddeutschen Zeitung“ mit der „Lizenz Nr. 1 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung Ost“, wie es im Titel hieß. Die Ausgabe hatte acht Seiten und kostete 20 Pfennige.

München (KNA) – Sich selbst schrieb die SZ zum Geleit: „Zum ersten Male seit dem Zusammenbruch der braunen Schreckensherrschaft erscheint in München eine von Deutschen geleitete Zeitung. Sie ist von den politischen Notwendigkeiten der Gegenwart begrenzt, aber durch keine Zensur gefesselt, durch keinen Gewissenszwang geknebelt.“ Die Zeitung sei kein Organ der Regierung oder einer Partei, sondern „Sprachrohr für alle Deutschen, die einig sind in der Liebe zur Freiheit, im Hass gegen den totalen Staat, im Abscheu gegen alles, was nationalsozialistisch ist“. Gezeichnet war der Bericht von der „Schriftleitung“ – das war dann doch noch die Bezeichnung der Nazis für die Redaktion.


Aufmacher der ersten Ausgabe war ein Bericht über Bayerns neue Regierung unter dem früheren Staatsanwalt und SPD-Reichstags- und Landtagsabgeordneten Wilhelm Högner, der aus dem Exil in der Schweiz nach München zurückgekehrt war. Die Amerikaner hatten ihm eine Zeitungslizenz für die SZ angeboten, doch Högner hatte abgelehnt – er wollte lieber in die Politik und wurde Ministerpräsident. Dass ein Exilant wie Högner eine Lizenz angeboten bekam, war die Ausnahme – denn eigentlich suchten die Militärbehörden Personen, die in Deutschland geblieben waren, ohne den Nationalsozialisten zu dienen.


„Grundsätzlich kann man der ‚Süddeutschen Zeitung‘ bescheinigen, dass sie von Anfang an konsequent mit dem Nationalsozialismus ins Gericht ging“, schrieb der Historiker Paul Hoser später im 2002 erschienenen Sammelband „Die Herren Journalisten – die Elite der deutschen Presse nach 1945“. Damit war sie, wie das von Lutz Hachmeister und Friedemann Siering herausgegebene Buch nachwies, konsequenter als viele andere Blätter der Nachkriegszeit. Die deutliche Distanzierung der SZ vom Nationalsozialismus sei auch nicht anders zu erwarten gewesen, bestätigt Hoser im Gespräch mit dem KNA-Mediendienst heute – denn es sollten „nur solche deutsche Verleger und Redakteure wieder in der Presse tätig werden, die weder in der NSDAP gewesen waren noch irgendwelche aktiven Hilfsdienste für die Nationalsozialisten geleistet hatten“.


Anfang mit Symbolcharakter
Auch Verlag und Druckerei der SZ hatten daher Symbolcharakter. Sie waren von Anfang an in der Sendlinger Straße in der Münchner Innenstadt im Gebäude des Verlags Knorr & Hirth untergebracht, der einst die Münchner Neueste Nachrichten verlegt hatte. Knorr & Hirth war ab 1935 Teil des nationalsozialistischen Eher-Verlags geworden, der unter anderem Hitlers Mein Kampf verlegte und dessen Rechte 1945 auf den bayerischen Staat übergegangen waren. Das Blei für den Satz der ersten „Süddeutschen“ kam ebenfalls höchst symbolisch aus den eingeschmolzenen Druckplatten eben dieses Hitler-Buches. 1951 verkaufte der Freistaat das Unternehmen dann ganz offiziell an den Süddeutschen Verlag, wie Hoser weiter berichtet.


Dabei sei den bis 1949 tonangebenden Militärbehörden zunächst wichtig gewesen, die SZ gerade nicht als direkte Nachfolgerin der Münchner Neuesten Nachrichten (MNN) erscheinen zu lassen, die im Stile eines Generalanzeigers politisch zu unverbindlich gewesen sei. Man habe sie deshalb „Kuhhaut“ genannt – aufgrund ihrer unentschiedenen Einerseits-Anderseits-Gewichtung, die wie die Flecken einer Kuh ebenso schwarz wie weiß ausgefallen sei, so Hoser. Der innenpolitische Redaktionsleiter der „MNN“ bis 1933, Erwein Freiherr von Aretin, habe daher trotz hoher Qualifikation und unbelasteter Vergangenheit – von Aretin war Monarchist und lehnte die Nazis konsequent ab – keine Chance bei der SZ gehabt.


Lizenzträger waren zunächst Edmund Goldschagg, August Schwingenstein und Franz Josef Schöningh. Högner habe den Journalisten Edmund Goldschagg empfohlen, schreibt Hoser. Auf einen Radioaufruf hin habe sich dann Alfred Schwingenstein für seinen Vater August gemeldet, der eigentlich eine Lizenz für seinen Zeitungsromanverlag angestrebt habe. Schwingenstein hatte von 1918 bis 1923 eine Publikation des Bayerischen Bauernbundes und später in München dessen Pressestelle geleitet, im Frühjahr 1933 Schreibverbot erhalten und wurde im Januar 1934 von den Nazis für vier Wochen in „Schutzhaft“ genommen. Der Münchner Erzbischof, Kardinal Michael von Faulhaber, habe den Amerikanern schließlich noch den katholischen Publizisten Franz Josef Schöningh empfohlen.


Belasteter Lizenzträger
Der kam vom gleichnamigen Familienverlag in Paderborn und fungierte von 1935 bis zum Verbot 1941 als stellvertretender Chefredakteur der katholischen Kulturzeitschrift Hochland. Dabei sei den Amerikanern durchaus bekannt gewesen, dass Schöningh nach dem Verbot von Hochland als stellvertretender Kreishauptmann im polnischen Tarnopol in der Zivilverwaltung unter NS-Generalgouverneur Hans Frank amtiert hatte. Frank war verantwortlich für die Ermordung Hunderttausender von Polen und hatte die Vorstufe des Völkermordes durch die Verschleppung polnischer Juden in Ghettos organisiert.


Als der ehemalige stellvertretende Ressortleiter des SZ-Feuilletons, Knud von Harbou, 2013 das Buch „Wege und Abwege“ über Franz Josef Schöningh veröffentlichte, ließ ihn die SZ über Schöningh schreiben und in mehreren Berichten über die NS-Belastung von SZ-Mitarbeitern aufklären.
Doch der Umgang der SZ mit Vorwürfen der NS-Belastung war nicht immer so offen. Als 1957 der rechtsgerichtete Publizist Kurt Ziesel, der einst Mitglied der NSDAP war und für den Völkischen Beobachter schrieb, mehreren Mitarbeitern der SZ vorwarf, vor 1945 ebenfalls im Sinne der Nazis geschrieben zu haben, wurde das in der SZ übergangen, weil man – so die Begründung der Zeitung – durch mögliche Klagen nicht den Absatz von Ziesels Büchern fördern wolle.


Der vierte Mann
Laut Hoser war 1945 noch ein vierter Lizenzträger für die SZ vorgesehen gewesen. Karl Eugen Müller hatte von 1918 bis 1920 als Chefredakteur die „MNN“ geleitet. Der 1877 geborene Pfälzer hatte die schon in den 20er Jahren erfolgte Wendung der Zeitung nach rechts – das Blatt unterstützte beispielsweise 1923 den diktatorisch regierenden bayerischen Generalstaatskommissar Gustav von Kahr – nicht mitgemacht und war 1924 als Redakteur zum liberalen Berliner Tageblatt unter Theodor Wolff gewechselt. Nach dem Ende der Zeitung 1939 arbeitete Müller ab 1940 allerdings als stellvertretender Leiter des Informationsamtes der Stadt München.


Als die Amerikaner entdeckten, dass er dort Artikel mit fragwürdiger Tendenz verfasst habe, hätten sie ihn als untragbar für die Lizenz erachtet, so Hoser. Darauf aufmerksam gemacht habe sie ein junger und ehrgeiziger Journalist namens Werner Friedmann, der 1945 als Lokalredakteur bei der SZ begonnen und im August 1946 dann anstelle von Müller der vierte Lizenzträger wurde.


Friedmann (1909–1960) prägte von allen Lizenznehmern und Gesellschaftern die SZ am meisten – gerade auch inhaltlich. 1951 übernahm er die Chefredaktion; während der CDU-Kanzlerschaft von Konrad Adenauer galt das Blatt wie ihr Chefredakteur als SPD-nah. Schwingenstein war dagegen Mitbegründer der CSU, auch Schöningh habe als CSU-nah gegolten, sagt Hoser. Goldschagg wiederum habe wie Friedmann der SPD angehört.


Gefängnisstrafe für den Chef

Als Werner Friedmann 1960 wegen fortgesetzter Kuppelei zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde, musste er als Chefredakteur abtreten. „Am 10. Mai hatte die Kripo unter ungewöhnlichem Kräfteaufgebot den Petticoat-Hascher Friedmann vom Schreibtisch weg festgenommen“, hieß es damals im „Spiegel“: Seither sitze „der frühere Chefredakteur und Mitherausgeber einer der drei bedeutendsten deutschen Tageszeitungen, der ‚Süddeutschen Zeitung‘, in Untersuchungshaft.“

 

Hintergrund war die Beziehung Friedmanns zu einer jungen Angestellten der Anzeigenabteilung. Die Anklage durch „Münchens Prominenten-Ankläger vom Dienst, den 36-jährigen Staatsanwalt Heinz Jörka“ („Spiegel“) war seinerzeit hoch umstritten. Friedmann konnte denn auch Gesellschafter des Süddeutschen Verlags bleiben, konzentrierte sich aber inhaltlich fortan auf die 1948 von ihm gegründete „Münchner Abendzeitung“, die noch bis 2014 von seiner Familie geführt wurde.

 

Erwartet Paul Hoser hinsichtlich der NS-Belastung von Redakteuren oder Gesellschaftern heute noch Neues? Der Historiker antwortet auf KNA-Anfrage, „möglicherweise“ gäbe es noch Neues in polnischen Archiven. Interessant sei der vor allem ein von der Familie Schwingenstein immer noch gesperrter Nachlass. Dies aber aus anderen Gründen: In ihm finden sich Gesellschafterprotokolle, die Aufschluss über Konflikte der Gesellschafter untereinander enthalten dürften. Denn die gab es bekanntlich reichlich – bis zum Verkauf der „Süddeutschen Zeitung“ von vier der fünf damaligen Gesellschafterfamilien an die Südwestdeutsche Medienholding Anfang 2008. Die einzigen, die bis heute an der SZ beteiligt sind, sind die Nachkommen von Werner Friedmann.