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Newsroom – Marc Bartl

Jetzt spricht Julian Reichelt: „Das ist jetzt richtig spannend, oder?“

Jetzt spricht Julian Reichelt: „Das ist jetzt richtig spannend, oder?“ Julian Reichelt

Die „Zeit“ hat Julian Reichelt in seinem Büro in Berlin besucht. Die Reportage gibt Einblicke in die Gefühlswelt des „Bild“-Chefs, gegen den eine Untersuchung läuft. Zugleich schreibt die „Zeit“, wie es nach dem Abschluss der internen Ermittlungen weitergehen könnte – dabei fällt auch der Name Gabor Steingart.

Hamburg – Die „Zeit“ lässt in ihrer neuen Ausgabe Julian Reichelt selbst zu Wort kommen. Bislang hat sich der „Bild“-Chef nur intern geäußert.

 

Genauer gesagt, hat die „Zeit“ Reichelt am vergangenen Dienstag um 10 Uhr morgens im 16. Stock des Springer-Hochhauses in Berlin besucht. Dort hat Reichelt sein Büro.

 

Die „Zeit“-Autoren Cathrin Gilbert, Hannah Knuth und Holger Stark beschreiben die Szenerie so: „Auf dem Tisch liegen drei Sonnenbrillen, daneben ein gefüllter Aschenbecher aus Porzellan, ein Bündel Ladekabel. In den nächsten Minuten kommen mehrere Männer herein: Co-Chefredakteur Paul Ronzheimer, Vize-Chef Jorin Verges, der sich als Krisenmanager vorstellt, sowie der Konzernsprecher Christian Senft. Als Reichelt zurückkommt, bittet er die Männer, den Raum zu verlassen.“

 

Reichelt sagt demnach, dass er sich das erste Mal in seinem Leben einen Anwalt genommen habe und er lasse gerade eine eidesstattliche Versicherung ausarbeiten, in der er erkläre, seine Macht niemals gegenüber Mitarbeiterinnen missbraucht zu haben.

 

Weiter steht im Zeit-Artikel „Im Fahrstuhl mit Julian Reichelt“: „Sein Handy klingelt. Eine Mitarbeiterin ist dran, sie will ihn offenbar informieren, dass sie zu ihren Erfahrungen mit ihm befragt werden soll. Er erwidert, es sei wichtig, dass sie die Wahrheit sage, über seine netten und nicht so netten Charakterzüge. ,Bloß nichts weglassen‘, sagt er. Sie solle nicht an sich zweifeln. Sie sei da, wo sie ist, weil sie gut sei – und nicht weil jemand sie grundlos gefördert habe. ,Hast du das verstanden‘. Er wirft das Handy wieder auf den Tisch.“

 

Gilbert, Knuth und Stark schildern Reichelt in diesem Moment als leise, mitgenommen, schwach. Seine Schwester habe ihn angerufen, als sie die Nachricht gelesen habe, und gefragt, was los sei, berichtet er den „Zeit“-Autoren nach deren Darstellung. „Er stützt den Kopf in die Hände. Reichelt weiß, dass er als ,Bild‘-Chef vielen Menschen wehgetan hat, auch intern. Er sagt, halb tastend, halb linkisch: ,Das ist jetzt richtig spannend, oder?‘“

 

Ein paar Tage später habe seine Redaktion wieder den lauten, den rumpeligen Reichelt erlebt, der einen imaginären Feind von außen kreiere, um die Reihen nach innen zu schließen. „Ich werde mich gegen die wehren, die mich vernichten wollen, weil ihnen ,Bild‘ und alles, wofür wir stehen, nicht gefällt“, hat Reichelt am Samstagabend im redaktionsinternen Slack-Kanal geschrieben, aus dem auch newsroom.de zitiert hatte. „Die“ und „wir“, so habe „Bild“ schon immer funktioniert. Aber diesmal laufe es anders. Diesmal komme der Gegenwind aus dem eigenen Haus. Vielleicht falle es Reichelt deshalb so schwer, zu verstehen, was gerade geschehe, heißt es in dem „Zeit“-Artikel.

 

Was als Beschwerde begann, habe sich längst von der Prüfung einzelner Fälle losgelöst. Für Reichelt, aber auch für Springer insgesamt gehe es um die großen Fragen: um modernen Führungsstil und darum, wie rau, männlich und zuweilen entwürdigend die Arbeitskultur in Europas reichweitenstärkster Zeitung sein dürfe.

 

Die „Zeit“-Autoren wollen wissen, dass man bei Springer für den Tag nach Abschluss der internen Ermittlungen bereits über einen Neustart nachdenkt: „Eine offene, auch schmerzhafte Diskussion über eine bessere Unternehmenskultur soll die Zeitung verändern – ob mit oder ohne Julian Reichelt“, schreibt die „Zeit“. Im Vorstand kursieren laut der Wochenzeitung aber auch bereits Gedanken zu möglichen Nachfolgern. Alexandra Würzbach, die interimsweise für Reichelt übernommen hat, werde gehandelt, ebenso der ehemalige Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, Claus Strunz, der von Reichelt kürzlich in die „Bild“-Chefredaktion geholt wurde. Auch der Name des ehemaligen „Handelsblatt“-Chefs Gabor Steingart falle. Steingart ist Gründer von Media Pioneer – an dem Axel Springer beteiligt ist.

 

Auf Twitter schreibt „Zeit“-Autorin Cathrin Gilbert zu dem Artikel: „Es war eine aufwühlende Woche: Bei jeder Recherche muss man aufpassen, dass man nicht instrumentalisiert wird. Ob von den vermeintlich ,Guten‘ oder von den vermeintlich ,Bösen‘. Gerade deshalb sollte man mit allen sprechen und sich eine eigene Meinung bilden.“