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Journalisten werfen Atomindustrie mangelnde Offenheit vor

"Verschlossene Auster" für Stromkonzerne - Netzwerk Recherche selbst wegen unkorrekter Abrechnungen unter Beobachtung.

Hamburg (dapd). Kritik an der Informationspolitik der Atomindustrie und Selbstkritik wegen unkorrekter Abrechnungen hat das Jahrestreffen der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche in Hamburg geprägt. Der seit der Gründung vor zehn Jahren amtierende Vorsitzende Thomas Leif schied aus seinem Amt. Das NR verlieh am Samstag den vier großen Atomkraftwerksbetreibern RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW den Negativpreis "Verschlossene Auster".

Diese zum zehnten Mal vergebene "Auszeichnung" gilt normalerweise dem "Informationsblockierer des Jahres". Für die Jury sagte Heribert Prantl jedoch, die Atomkonzerne hätten nicht abgeblockt, sondern "kommuniziert wie die Teufel", aber das Falsche, nämlich "gefährlich einseitige, marktmächtige Informationen". Die Auszeichnung gebe es für den Lobbyismus, das Platzieren ihrer Leute an den "politischen Schaltstellen", das Herunterspielen von Unfällen und die "schleichend-beschönigende Beeinflussung der politischen Sprache".

Alle Konzerne hatten einen Vertreter zur Entgegennahme des Antipreises geschickt. In seiner Widerrede sagte E.ON-Sprecher Guido Knott, die Jury habe ihre eigenen Kriterien aus politischen Erwägungen verraten. Die Konzerne hätten lediglich eine abweichende Position vertreten, sich jedoch nicht verweigert oder blockiert, sondern ihren Standpunkt offen und transparent deutlich gemacht. Knott erklärte, er nehme den Preis nur entgegen, jedoch nicht an.

Zuschüsse zurückgezahlt

Das Journalisten-Netzwerk musste sich auf seiner Jahrestagung mit der Aufarbeitung eigener Unregelmäßigkeiten auseinandersetzen. Es hatte nach eigenen Angaben die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) über Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen früherer Fördermaßnahmen informiert. Das NR erklärte, grundsätzlich fördere die BPB die Jahrestagung durch Defizitfinanzierung. Da nicht alle Einnahmen angegeben worden seien, könnte der Verein eine zu hohe Förderung erhalten haben.

Vorsitzender Leif habe die Verantwortung für mögliche Abrechnungsfehler übernommen und sei aus dem Vorstand ausgeschieden. Dieser erklärte, an der persönlichen Integrität Leifs gebe es keine Zweifel. Leif sagte am Samstag der Nachrichtenagentur dapd, zwischen seinem Rückzug und der Prüfung möglicher Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen bestehe "kein kausaler Zusammenhang".

Der Vorstand hatte einstimmig beschlossen, vorsorglich alle erhaltenen Fördermittel der BPB für die Jahrestagungen (2007 bis 2010) zurückzuzahlen - insgesamt rund 75.000 Euro. Er hat einen Wirtschaftsprüfer eingeschaltet.

Grass sieht Belastungsprobe für Demokratie

Günter Grass sprach als Gastreder auf der Mitgliederversammlung. Der 83-jährige Literaturnobelpreisträger sagte, das Auseinanderdriften in eine Klassengesellschaft mit verarmender Mehrheit, der staatliche Schuldenberg, die Ohnmacht der Politiker gegenüber der Macht der Interessenverbände sowie der "Würgegriff der Banken" mache es nötig, die Systemfrage zu stellen. Es gehe nicht darum, die Revolution auszurufen. Es stelle sich aber die Frage: "Ist ein der Demokratie wie zwanghaft vorgeschriebenes kapitalistisches System, in dem sich die Finanzwirtschaft weitgehend von der realen Ökonomie gelöst hat, doch diese wiederholt durch hausgemachte Krisen gefährdet, noch zumutbar?" In der anschließenden Diskussion sagte er, er halte die Demokratie aber für reformfähig.