Vermischtes
KNA – Steffen Grimberg

Journalistik-Expertin Wiebke Möhring zur Lage des Lokaljournalismus: „Die Stimmung gegenüber Journalisten hat sich gewandelt“

Wenn aufgrund persönlicher Bedrohungserfahrungen im Lokalen Themen gemieden werden, ist das so verständlich wie bedrohlich, sagt die Dortmunder Journalistik-Professorin Wiebke Möhring. Dazu trage auch die schlechte personelle und finanzielle Ausstattung der Lokalredaktionen bei.

 

Dortmund/Leipzig (KNA) – Die jüngste Feindbild-Journalist-Studie des Leipziger European Center for Press and Media Freedom (ECPMF) hat in einem Kapitel mit dem Titel Lokaljournalismus unter Druck exemplarisch die Bedrohungserfahrungen und das Sicherheitsempfinden von Lokaljournalistinnen und -journalisten in Thüringen und Sachsen untersucht.

 

 

Die Dortmunder Journalistik-Professorin Wiebke Möhring forscht seit Jahren zur lokaljournalistischen Praxis. Die Stimmung gegenüber Medien habe sich auch im Lokalen gewandelt, sagt Möhring. Viele hielten Lokaljournalismus heute für verzichtbar – und das gilt längst nicht nur für Ostdeutschland.


Haben Sie die Ergebnisse der Befragung von Lokaljournalistinnen und -journalisten aus Sachsen und Thüringen überrascht?

Wiebke Möhring: Die Ergebnisse haben mich leider nicht überrascht, wobei das Wort „leider“ sehr wichtig ist. Denn es hatte sich ja schon in den Vorgängerstudien der letzten Jahre angedeutet, dass wir insbesondere in Sachsen und Thüringen ein ernstzunehmendes Problem haben.

 

Gilt das nur für diese beiden Bundesländer oder auch darüber hinaus?
Das sieht bei weitem nicht nur dort so aus, aber neben Berlin ist es hier am stärksten ausgeprägt. Die Stimmung gegenüber Journalistinnen und Journalisten hat sich gewandelt, wir sehen ja auch anderswo einen Anstieg bei Angriffen – gerade auf Lokaljournalistinnen und -journalisten.

 

Es sind ja nicht nur diese direkten An- und Übergriffe, zum Beispiel bei Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen. Welche Rolle spielt die eher indirekte Bedrohungslage – dass zum Beispiel aufgrund von zu vermutenden Reaktionen auf das Aufgreifen bestimmter Themen hier eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht an den Tag gelegt wird? Dass also anders oder vielleicht gar nicht berichtet wird …
Das halte ich für sehr bedenklich. Menschlich kann ich sehr gut nachvollziehen, dass jemand in einem Themenfeld anders agiert, wo er oder sie mit Feindseligkeiten rechnen muss. Aus demokratietheoretischer und journalistischer Perspektive ist das aber gleichzeitig hoch problematisch. Denn wenn ich im vorauseilenden Gehorsam bestimmte Themen entweder ganz auslasse oder nicht so in die Tiefe recherchiere, wie ich es vielleicht bei einem weniger aufgeladenen Thema machen würde, widerspricht das dem journalistischen Arbeitsethos – danach sollte es solche Beschränkungen ja gerade nichtgeben!

 

Welche Rolle spielen hier Redaktionsleitungen, Chefredaktionen und Verlage? In der Studie berichten Teilnehmende, sie seien von ihrer Leitungsebene angehalten, nur noch zu zweit zu bestimmten Veranstaltungen zu gehen. Doch wegen der immer ausgedünnteren Lokalredaktionen sei das oft schlicht nicht möglich.

Das ist ein Riesenproblem. Denn es ist eine mehr als legitime Forderung, in Situationen, wo man ahnt, dass es brenzlig werden könnte, mindestens zu zweit aufzutreten. Denn nur so kann man sich dann gegenseitig im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken stärken und schützen. Wenn es sich viele Redaktionen nicht mehr leisten können, für in der Regel ja auch lokalpolitisch hochrelevante Themen mehr als eine redaktionelle Kraft einzusetzen, ist das ein viel weitergehendes Problem. Da machen es die vorgegebenen Arbeits- und Rahmenbedingungen den Journalistinnen unnötig schwer. Auf der anderen Seite sehe ich natürlich auch die wirtschaftlichen Nöte der Verlage. Mit Sorgen betrachte ich auch die große Ungeschütztheit von freiberuflichen Journalistinnen, die eben keine kleine oder große Redaktion im Rücken haben.

 

Woher kommt es eigentlich, dass auch im Lokalen Journalisten zum Feindbild werden? Sonst heißt es ja oft, es läge unter anderem daran, dass es zu wenig Berührung zum normalen Alltag der Menschen gebe. Das ist beim Lokaljournalismus aber doch eigentlich anders – idealerweise kennt man sich sogar untereinander.
Wir erleben aber auch im Lokalen, dass Menschen ihre Abonnements abbestellen – und das nicht nur aus finanziellen Gründen. Darin liegt ja mindestens mal der Hinweis, dass sie Lokaljournalismus verzichtbar finden. Und das macht es dann auch leichter, Medienvertreterinnen den eigenen Unmut entgegenzuschleudern. Bei Menschen, die im besten Fall über Jahrzehnte von Lokaljournalistinnen vor Ort mit lokalen Informationen versorgt wurden und so eine soziale Beziehung aufgebaut haben, kann sich das anders darstellen.

 

Wie aber gehen Medien – gerade im Lokalen – mit der Erkenntnis um, dass angesichts der jüngsten Wahlergebnisse in der ganzen Bundesrepublik auch ein ganzer Schwung ihrer Nutzerinnen und Nutzer Anhänger von den Medien feindlich-kritisch gegenüberstehenden Parteien wie der AfD sein dürften?
Das ist eine spannende Frage, weil sie auch noch eine ganz grundlegende journalistische Dimension hat. Im Journalismus – und damit auch im Lokaljournalismus – ist es ja eigentlich tabu, Parteipolitik zu betreiben, im Sinne von: Ich schreibe nicht per se für, aber auch nicht gegen eine demokratisch gewählte Partei. Stattdessen behandle ich lokale Themen aus ihrer Relevanz heraus und beziehe dabei die jeweiligen politischen Akteur*innen in meine kritische Analyse ein.

 

Das war aber schon immer eher eine Idealvorstellung, oder?
Ja, aber es ist bis heute eine, die wir bei der Ausbildung von Journalistinnen zunächst einmal vermitteln und auch gerne gelebt sehen würden. Nun aber müssen sich durch die Verschiebung des Parteienspektrums Redaktionen plötzlich Fragen stellen, die sie sich jahrzehntelang nicht stellen mussten. Denn jetzt gibt es mit der AfD eine demokratisch legitimierte Partei, mit deren Inhalten viele Journalistinnen nicht einverstanden sind – und auch nicht einverstanden sein können. Das ist auch kein ganz neues Phänomen, das war bei den ersten Erfolgen der Grünen auch so. Damit kommt nun zu den Sachthemen vor Ort noch eine größere politische Dimension, die einen kleinen Ort und seine Community auch überfordern kann.

 

Presseförderung ist in Deutschland wegen der befürchteten möglichen Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte hoch umstritten. Aber könnten nicht zusätzliche Maßnahmen im Lokaljournalismus wie die Bereitstellung von Sicherheitskräften, die Reporter zu Demos begleiten, oder Beratungs- und Supervisionsangebote für betroffene Journalist*innen mit öffentlichen Geldern gefördert oder ganz bezahlt werden? Hier ist eine inhaltliche Einflussnahme ausgeschlossen, aber die klammen Verlage wären diesen Kostenposten los.
Ich finde, das ist ein toller Vorschlag. Beratung etwa brauchen wir eigentlich auch im Bereich Wissenschaft, zum Beispiel mit Blick auf Hate Speech. Studien zeigen, dass es immer mehr Wissenschaftler gibt, die wegen ihrer Arbeit Verunglimpfungen im Netz bis hin zu persönlichen Androhungen ausgesetzt sind.