Vermischtes
Newsroom

Julian Reichelt: Der Skandal im Skandal

Julian Reichelt: Der Skandal im Skandal Julian Reichelt

Eine Reichelt-Geschichte jagt die nächste: Der Ex-„Bild“-Chef klagt gegen den NDR, Springer verklagt ihn und der Beirat des „Stern“-Preises prüft, ob der „Spiegel“ seine Auszeichnung behalten darf. Es wird immer klarer: Das Ganze wird zum Medienskandal. Drei Fragen und drei Antworten.

Berlin –  Julian Reichelt, Ex-„Bild“-Chef, geht in der Reichelt-Springer-Affäre in die Offensive und sorgt so seit Monaten für Schlagzeilen, schreibt Chefredakteur Markus Wiegand im aktuellen „kress pro“ und beantwortet drei Fragen.

 

1. Stimmen die Vorwürfe gegen Julian Reichelt gar nicht?

Was passiert ist: Mitte Februar hat die NDR-Sendung „Reschke Fernsehen“ die Reichelt-Springer-Affäre wieder aufgegriffen und darin beschrieben, dass das Ausmaß größer sei als bisher angenommen. Reichelt wehrte sich juristisch gegen die Darstellung und das Landgericht in Hamburg hat neun von 16 eingeklagten Aussagen zunächst verboten (und zwei teilweise).

 

Was es bedeutet: Das juristische Hickhack ist noch lange nicht vorbei, denn der NDR hat Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt und versucht, die juristische Niederlage in einen Sieg umzudeuten. „Der Kern unserer Berichterstattung ist nicht betroffen“, heißt es im Teaser des Beitrags im Netz. Das ist eine sehr einseitige Betrachtung: Das Landgericht erlaubte die Berichterstattung über den mutmaßlichen Machtmissbrauch zwar grundsätzlich, kassierte aber zentrale Aussagen in der Sendung als unzulässige Verdachtsberichterstattung ein. Vereinfacht gesagt: Man darf berichten, dass der „Bild“-Chef seine Position genutzt hat, um junge Frauen in der eigenen Redaktion anzusprechen, und Affären mit ihnen eingegangen ist. Dass er dabei aber Druck ausübte, wie „Reschke Fernsehen“ in (Zeuginnen-)Aussagen behauptet, sah das Gericht nicht als erwiesen an. So zitiert „Reschke Fernsehen“ eine zentrale Quelle, eine Ex-Mitarbeiterin von „Bild“, die Springer in den USA ver klagte, mit dem Satz: „Um zwei Uhr morgens schickte Reichelt eine Nachricht und sagte, ich solle sofort in sein Hotelzimmer kommen.“

 

Der „Ex“-Bild-Chef bestreitet, diese Nachricht geschickt zu haben, und der NDR konnte nicht belegen, dass es sie tatsächlich gibt. Der Vorwurf beruht also lediglich auf der Angabe der Ex-„Bild“-Mitarbeiterin in der US-Klage. Der NDR sammelte zwar verschiedene eidesstattliche Versicherungen von Frauen ein, um seine Berichterstattung zu verteidigen.

 

Ausgerechnet für diesen entscheidenden Punkt konnte „Reschke Fernsehen“ allerdings keine eidesstattliche Versicherung präsentieren. Was Reichelts neuer Anwalt Ben Irle umgehend in einer Pressemitteilung zum Fall hervorhob. „Wesentliche Behauptungen dieser Mitarbeiterin erweisen sich als frei erfunden und damit als unwahr“, teilte er mit. Seit Irle das Mandat von der Kanzlei Prinz übernommen hat, ist ein klarer Strategiewechsel erkennbar. Während Reichelt zuvor die Vorwürfe entschieden zurückwies, die Berichterstattung aber hinnahm, geht er jetzt gegen die aus seiner Sicht falschen Beiträge vor.

 

Die plakativste Aussage verbot das Gericht ebenfalls. „Reschke Fernsehen“: „Welche innere Haltung Julian Reichelt Frauen gegenüber hat, wird in dieser Textnachricht klar: ,Weil ne dumme Affäre wie du es nicht besser verdient hat, ganz einfach: Bumsen, belügen, wegwerfen.‘“

 

Der Hintergrund: Reichelt hat die Nachricht zwar verschickt. Allerdings war die Adressatin keine Mitarbeiterin der Redaktion, sondern eine externe PR-Beraterin, mit der Reichelt eine Beziehung hatte, die ein halbes Jahr zuvor geendet war. Das Gericht urteilte, dass die Mitteilung „der Privatsphäre Reichelts“ zuzurechnen sei und „keinen Bezug zu dem die Berichterstattung begründenden Aspekt des Machtmissbrauchs aufweist“.

 

Das ist deswegen interessant, weil diese Quelle auch in der „Spiegel“-Berichterstattung eine Rolle spielt und dort ebenso wie bei „Reschke Fernsehen“ als Beleg der These des Machtmissbrauchs dient. An keiner  Stelle wird offengelegt, dass die PR-Beraterin nicht für Springer gearbeitet hat. Sie hatte lediglich vereinzelt Aufträge für den Konzern. Ein Compliance- Verfahren von Springer hatte bereits 2018 ergeben, dass es dabei keine unzulässigen Vermischungen gab, also Reichelt ihr keine Aufträge zugeschoben hatte. Die Beziehung war zudem im Konzern bereits bekannt.

 

Theoretisch kann sich die gerichtliche Beurteilung des Falls natürlich noch ändern, sehr wahrscheinlich scheint das allerdings derzeit nicht. Denn sowohl der NDR als auch Reichelt hatten bereits die Gelegenheit, sich ausführlich zu äußern. Das bedeutet: Es bräuchte wohl neue Beweise, um die verbotenen Aussagen wieder öffentlich zu machen.

 

Insgesamt wirkt das Vorgehen des NDR bisher nicht sehr professionell. In einigen Fällen monierte das Gericht, dass Reichelt mit den Vorwürfen nicht ausreichend konfrontiert wurde. Für die zentrale Behauptung, dass Reichelt Druck ausgeübt hat, konnte die Redaktion zudem bisher keine Belege präsentieren. Das alles hätte in der Recherche, spätestens aber in der juristischen Prüfung vor der Sendung eigentlich auffallen müssen. Fragen von „kress pro“ dazu ließ der NDR offen: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu dem laufenden Verfahren nicht äußern“, hieß es.

 

2. Muss der „Spiegel“ den Nannen-Preis zurückgeben?

3. Muss Julian Reichelt seine Abfindung zurückzahlen?

Zu den Antworten