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Martin Balle: Die schonungslose Selbstkritik eines Verlegers

Martin Balle: Die schonungslose Selbstkritik eines Verlegers Martin Balle

Kreuzworträtsel und Billigtexte sind nicht systemrelevant: Der Verleger der Zeitungsgruppe „Straubinger Tagblatt“/„Landshuter Zeitung“ und der „Abendzeitung“, Martin Balle, übt in einem „kress pro“-Essay Selbstkritik – und er fordert, dass die Branche deutlich selbstbewusster auftreten sollte. Markus Söder hat Balle damit schon überzeugt.

Bereits im Jahr 2000 werde es in Deutschland keine einzige Zeitung mehr geben, das verkündete eine amerikanische Medien- und Zukunftsforscherin auf einem Zeitungskongress in Paris 1996. Es war als Jungverleger eine meiner ersten Branchenveranstaltungen, stirnrunzelnd folgte ich ihren Ausführungen. Jetzt, fast 25 Jahre später, schaut die Welt doch anders aus. Und auch ein weiterer Mythos, den die Medienforscher in die Welt gesetzt haben, ist entzaubert: Über Jahre, Jahrzehnte wurde den Verlegern vorgeworfen, sie hätten es am Beginn der Digitalisierung versäumt, ihre Angebote im Netz kostenpflichtig zu machen, dieser Fehler sei irreversibel. Was für ein Blödsinn! Wer vor 20 Jahren im Netz vorkommen wollte, durfte nichts dafür verlangen. Und umgekehrt: Wer im Netz kostenpflichtige Information anbot, kam dort eben nicht vor.

 

Die Strategie, die wir Verleger damals verfolgten, zeigt sich heute als die einzig und exakt richtige: Um die eigenen Zeitungen nicht zu kannibalisieren, stellte man damals Textanrisse ins Netz und etablierte dort auf diese Art und Weise die eigenen Marken. Die Zeitungen von „Bild“ bis zu den Heimatzeitungen wurden so die nachgefragtesten Informationsträger im Netz. Wer mehr wollte als das, was er dort vorfand, sollte weiter die Zeitung kaufen. Jetzt, 20 Jahre später, ist der Erfolg da. Menschen vertrauen auch im Netz den digitalen Marken der Verlage und sind heute bereit, dafür zu bezahlen. Neben den weiter kostenlosen Zugängen zu einer ersten Information ist jetzt eben nicht nur das E-Paper ein wichtiger Baustein für uns Verlage, sondern die immer mehr nachgefragten Plus-Bereiche sind gerade auch bei Nichtlesern beliebte digitale Informationen, für die sie im Jahr 2020 bereit sind, Geld auszugeben. Kommt hinzu, dass wir Verlage seit vielen Jahren mit neuen eigenen digitalen Firmen Kundenwünsche bedienen, die mit dem Zeitungsgeschäft längst nichts mehr zu tun haben und die allesamt florieren und Geld verdienen. Warum erzähle ich das? Weil wir Verlage die verdammte Schwäche haben, uns unsere Geschichte von anderen erzählen zu lassen. Was mich am meisten nervt, sind die Kommentare von so manchen Medienwissenschaftlern in den letzten 20 Jahren. Die haben zu allem eine Meinung und sind am Ende doch bloße Beobachter aus ihrer teilnahmslosen Außenperspektive. 

 

Was haben die uns vom Ende der gedruckten Zeitung erzählt – und jetzt? 

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat gerade mit über 500.000 verkauften Zeitungen einen Auflagenrekord gebrochen und selbst die kleinen und auch ganz kleinen Heimatzeitungen, deren Tod längst wegen Auflagenrückgangs prognostiziert wurde, allesamt leben sie noch. Als ich die Münchner „Abendzeitung“ vor über sechs Jahren aus der Insolvenz herauskaufte, waren es vor allem mehrere Medienwissenschaftler, die im Radio erzählten, dass das keine Zukunft hätte. Jetzt sind wir im siebten Jahr und haben über 70 Mitarbeiter, die glücklicherweise alle gutes Geld mit nach Hause nehmen. Und dass die „taz“ aus Berlin, die bei ihren Leserinnen und Lesern so beliebt ist, freiwillig im Netz verschwinden will, auch hier gibt es Medienwissenschaftler, die das natürlich für eine gute Idee halten! Von ihrem Schreibtisch aus mag das vielleicht so sein. Die Wirklichkeit draußen bleibt glücklicherweise eine andere. Ich spreche auch ungerne von der „Transformation ins Digitale“. Das klingt so, als würde am Ende das gedruckte Wort in Buch, Zeitung oder Zeitschrift verschwinden. Den Begriff Assimilation finde ich da schon zutreffender.

 

Aber zum Teil sind wir Verlage auch selbst schuld, wenn andere uns die Perspektive vorgeben. Viel zu kleinlaut ist unser Bekenntnis zum gedruckten Wortüber all die Jahre damals allzu oft gewesen. Heute wissen wir aus der Hirnforschung, dass das gedruckte Wort ganz anders perzipiert wird als die digitale Bildschirmfläche. Aus unserer Erfahrung heraus hätten wir das schon vorher viel lauter sagen sollen und können. Die digitale Funktion ersetzt eben den Lesevorgang nicht, der in Geist und Seele ganz anders wirkt. Heute haben wir das von der Hirnforschung schriftlich, gespürt haben wir es doch immer. Meine Studentinnen und Studenten im Fachbereich Medientechnik an der Technischen Hochschule Deggendorf sind längst alle sogenannte Digital Natives. Die sind alle Anfang 20. Aber die Hälfte davon liest immer noch regelmäßig den „Spiegel“ oder auch die Heimatzeitung. Und das ganz körperlich. Das war vor 15 Jahren anders, als das Digitale mit seinem Boom begann. Aber die Studenten haben da doch was entdeckt. Nach Radio und Bewegtbild gibt es in der Medienwelt mit der digitalen Welt halt jetzt eine vierte Säule, die wiederum ganz eigenen Regeln und Gesetzen unterliegt, die längst noch nicht ausgeforscht sind. Dass diese vierte Säule Bewegtbild, Töne und Texte abbilden kann – geschenkt. Genauso wenig können wir heute auch sagen, wie die endgültige Balance in unseren Geschäftsmodellen zwischen gedrucktem Wort und digitaler Information sein wird. Na und? Für Zeitungen, die es nun mal seit über 400 Jahren gibt, sind 25 Jahre digitale Welt ein recht kleiner Zeitraum –  wir können das schon ganz gut einordnen. 

 

Ich finde aber zudem, dass wir auch gegenüber der Politik nicht genügend Selbstvertrauen haben. Die Politik will, dass Zeitungen und Anzeigenblattverlage in gleicher Weise bei einer Infrastrukturförderung zum Zuge kommen. Also machen wir das mit. Aber sind denn Anzeigenblätter systemrelevant? Mit dem hübschen Pudel auf der Seite eins und dem hübschen Grid-Girl auf der letzten Seite? Dazwischen Kreuzworträtsel und Billigtexte. 

 

Warum sagen wir der Politik nicht deutlicher, dass das ein großer Quatsch ist, wenn sie uns mit denen in dasselbe Boot setzen, auch wenn wir selber seit Jahren auch Anzeigenblätter vertreiben. Früher aus Notwehr, heute durchaus gerne, aber wir fangen doch alle schon an, das zu reduzieren. Ein nur über die Anzeige finanziertes Printprodukt hat doch in Zeiten von Mindestlohn und Internet keine Zukunft! Lasst uns das immer wieder deutlich aussprechen. Gerade gegenüber den Politikern, wo sie doch so verstockt sind. Und warum entwickelt eigentlich die Politik die Konzepte, wie wir gefördert werden sollen? Wir können zeigen, mit ganz exakten Berechnungen, dass Dörfer und Gemeinden mit weniger als 4.000 Einwohnern bei der Zustellung mittelfristig Probleme bekommen. Und das ist nicht gut für ein demokratisches Gemeinwesen. Da liegt der Hund begraben. Und auch das Netz funktioniert in aller Regel nicht. Die Menschen dort brauchen die Zeitung immer noch als Teil ihres Alltags und ihres Lebens. Wenn ich das meinem Bundestagsabgeordneten aus dem Bayerischen Wald sage, hört er hin, weil er aus einem Ort kommt, wo 3.000 Menschen leben. Wenn ich ihm aber sage, dass wir Verlage gerade mal eine halbe Milliarde Euro brauchen, jedes Jahr, um unsere Zukunft zu sichern, dann lacht er. Und wenn ich ihm sage, in anderen Branchen geht das doch auch, dann lacht er nochmals. Und genau er war immerhin mehrere Jahre Vorsitzender des Bundestagsausschusses, als unsere Sache dort beraten wurde.

 

Meine Erfahrung

Je detaillierter ich Politikern die Situation erkläre, desto mehr Verständnis und das Versprechen, eine gemeinsame Lösung doch noch zu erarbeiten. Und wenn ich dann noch sage: Ihr müsst nicht unsere Probleme lösen, aber lasst uns doch gemeinsam ein Szenarium entwickeln, damit der ländliche Raum nicht von demokratisch relevanten Informationen abgeschnitten ist, dann wenden sie sich mir sogar wohlwollend zu. Jedenfalls war’s so bei Habeck und Söder und auch noch ein paar anderen, die man so kennt. 

 

Und Markus Söder hat übrigens schon verstanden, dass die 450-Euro-Grenze für Zusteller bei steigenden Mindestlöhnen für unseren Vertrieb eine Katastrophe ist. Das müsste man ändern, hat er mir gesagt, aber mit der SPD sei’s halt nicht zu machen. Aber die sitzt doch schon nächstes Jahr in der Opposition, kann man da antworten. Und Habeck liest gerne, immerhin hat er schöne Bücher geschrieben und mag Zeitungen. „70 Prozent meines Medienkonsums sind analog“, hat er mir selber gesagt. Dinge ändern sich. Bald auch unsere Ansprechpartner in der Politik. Ich bin sehr dankbar für den leidenschaftlichen Einsatz unseres Bundesverbandes mit unserem hervorragenden Präsidenten Dr.  Döpfner, den wir aus gutem Grund einstimmig wiedergewählt haben, und unserem liebenswürdigen Geschäftsführer Wolff an der Spitze. Das ist ein hartes Geschäft, mit diesen hartleibigen Politikern immer wieder ins Gespräch zu gehen. Aber vielleicht würden wir es uns selbst und der Politik doch leichter machen, uns zu helfen, wenn wir mit noch differenzierteren Konzepten antreten würden, die etwas preiswerter und doch zielführend sind. Nachvollziehbare Strukturhilfe statt Gießkanne, auch wenn das gerade Mode ist in Corona-Zeiten. Eben gerade für den ländlichen Raum, der sonst mittelfristig tatsächlich von der Versorgung mit Zeitungen in Teilen abgeschnitten wird. In München oder Hamburg gibt’s die Zeitungen ja weiter, mindestens an jedem Kiosk. Ich mach Zeitungen in München und in Furth im Wald an der tschechischen Grenze. Bin also unverdächtig. Und vielleicht gefällt es ja auch manchen Politikern, wenn wir sagen, dass wir so schwach sind, dass wir viel Geld brauchen, weil denen waren wir doch über die Jahrzehnte viel zu mächtig. Der Friedrich Merz hat das ja ausgesprochen: Politik brauche die Medien heute nicht mehr, über „Social Media“ übernähmen sie die Deutung ihrer Politik selbst. Je schwächer wir uns rechnen, umso mehr haben die ihr Vergnügen. Dass die mal regelmäßig von uns abhängig waren, das sitzt denen noch heute in ihrer DNA, das sollten wir auch nicht vergessen. 

 

Also bitte zum Schluss: Etwas mehr Selbstvertrauen. Uns gibt’s. Und wir haben auch immer noch Kraft. Und wir erzählen bitte unsere Geschichte immer noch selbst. Und wir sind lange noch nicht abhängig von der Politik, die wir ja eigentlich berufen sind in unseren Zeitungen auch kritisch zu begleiten. Und die Medienwissenschaftler, ein paar waren es ja schon, die uns jede Zukunft abgesprochen haben über all die Jahre, die sollen ruhig mal ein Seminar abhalten über all die Irrtümer, die ihnen in den letzten 25 Jahren unterlaufen sind. Aber ein Semester wird da nicht reichen! 

[...]

 

Der Essay von Abendzeitung-Verleger Martin Balle ist in der aktuellen Ausgabe von „kress pro“ erschienen. Darin sagt Verlegerin Isabella Neven DuMont, warum die DuMont Mediengruppe fast bankrott war, warum sie dem Verkauf der Zeitungen in Berlin, Hamburg und Halle zugestimmt hat und wie das Verhältnis zu ihrem Vater war.

Dazu erfahren Sie, wer die 25 Newcomer des Jahres in der Medienbranche sind und es geht um die Frage, ist der Newsroom ein Auslaufmodell? Wie Redaktionsmanager nach Corona arbeiten. Plus: Das Dossier „Personalführung: Arbeiten mit New Work-Methoden“.