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Martin Wiens: „Prekär kannst du kein Magazin machen“

Martin Wiens: „Prekär kannst du kein Magazin machen“ Martin Wiens (Foto: Dominik Wagner)

Martin Wiens, Mitgründer von „Neue Narrative“, erklärt, warum sein Verlag von Anfang an auf unbefristete Verträge setzt – und was er am System der Befristungen problematisch findet.

Berlin – In etlichen Redaktionen bekommen neue Angestellte nur Einjahresverträge. Den Nachwuchs trifft es besonders. Viele junge Journalistinnen und Journalisten berichten davon, anschließend in zermürbenden Kettenbefristungen zu landen, verbunden mit leeren Versprechungen. Ein System, das Karrieren verbaut und Lebensentwürfe zerstört – und die Qualität des Journalismus gefährdet, schreiben Anne Hünninghaus und David Selbach in der Titelgeschichte des aktuellen „medium magazins“.

 

Darin haben sie auch  Martin Wiens, Mitgründer des Magazins „Neue Narrative“, über befristete Jobs im Journalismus, Opferbereitschaft – und warum der kleine Verlag für seine knapp 30 Mitarbeitenden von Beginn an auf unbefristete Verträge setzt, befragt:

 

Herr Wiens, Sie kennen das System der befristeten Verträge aus Ihrer eigenen Zeit in Lokalredaktionen. Wie haben Sie das erlebt?
Das habe ich gut in Erinnerung: Kurzzeitverträge waren dort alltäglich, und sich zu entfristen, war fast unmöglich. Aus Managementsicht ist das nachvollziehbar: Der Veränderungsdruck im Mediengeschäft ist hoch, Verlage geben diese Unsicherheit direkt an die Mitarbeitenden weiter. Aber als tragfähiges Geschäftsmodell taugt das nicht. Wenn die ökonomische Grundlage nur funktioniert, weil ich Leute kurzfristig und prekär beschäftige, läuft etwas schief.

 

Befristung ist aber seit Jahrzehnten üblich – schon lange vor der aktuellen Krise und den neuen Unsicherheiten durch KI. Warum lassen junge Kolleginnen und Kollegen das mit sich machen?
Weil Journalismus ein Beruf mit großem Idealismus ist. Viele wollen unbedingt hinein, nehmen prekäre Bedingungen in Kauf und hoffen, sich irgendwann zu etablieren. Die Konkurrenz ist groß, die Ausweichmöglichkeiten begrenzt. Diese Mischung aus Leidenschaft, Knappheit und Abhängigkeit hält das System am Leben – obwohl es für die Qualifikation der Leute eigentlich nicht angemessen ist.

 

Herrscht auch Angst? Weil man seine Karriere riskiert, wenn man zum Beispiel gegen Kettenverträge klagt?
Natürlich. Das ist wirklich ein toxisches System, das sich selbst am Leben erhält. Das macht mich manchmal traurig, manchmal ratlos und manchmal auch wütend.

 

Sie haben es bei „Neue Narrative“ ganz anders gemacht. Von Anfang an hat es keine Befristungen gegeben. Waren Sie sich in der Verlagsleitung gleich einig darüber?
Ja, das war völlig klar. Wir haben gesagt: Es gibt eine Probezeit von sechs Monaten, die ist sinnvoll – und danach stellen wir nur unbefristete Verträge aus. Befristete Verträge passen schlicht nicht zu unserem Verständnis, eine Redaktion aufzubauen, die langfristig Verantwortung trägt – und bei uns sind Mitarbeitende ja auch strukturell über eine Gesellschaft beteiligt. Mit Einjahresverträgen bekäme man nie die Qualität und Tiefe, die wir mit unseren Recherchen wollen.

 

Also sagen Sie, dass Redaktionen, in denen die Menschen sichere Jobs haben, besseren Journalismus machen. Könnte man nicht annehmen, dass sich Kolleginnen und Kollegen besonders anstrengen, wenn sie noch nicht entfristet sind?
So denken wir nicht. Wir arbeiten drei Monate an einem Magazin, haben sehr lange Recherchen. Unser Produkt lebt von Tiefe und Qualität. Dem würde jedes Jahr ein Durchlauf mit Einjahresverträgen komplett widersprechen. Wir lieben es, wenn sich Leute in unserer Redaktion ein Thema suchen und darin die Besten werden. Das geht nur mit festen Strukturen. Man könnte auch polemisch sagen: Guten Journalismus auf diesem Niveau kannst du halt nicht unter prekären Bedingungen betreiben.

 

Manche Verlage sagen, ohne befristete Verträge könnten sie sich nicht über Wasser halten. Aber Sie können es sich leisten, einfach darauf zu verzichten?
(lacht) Leisten – manchmal frage ich mich das selbst, ob wir uns das wirklich leisten können. Natürlich könnte man mit mehr Befristungen ein größeres Team finanzieren. Aber unser Modell ist bewusst anders: Wir haben von Beginn an auf ein Abomodell mit wiederkehrenden Umsätzen gesetzt. Ein Abo ist ein langfristiges, nutzergetragenes Geschäftsmodell. Damit können wir planbar arbeiten – und es rechtfertigt auch unbefristete Verträge.

 

Kann man zugespitzt sagen: Wer ausschließlich mit Befristungen fährt, hat eigentlich gar kein stabiles Geschäftsmodell?
Ja, ich sehe es so. Als situatives Instrument kann ich Befristung verstehen, aber wenn daraus Struktur wird, stimmt etwas Grundsätzliches nicht. Ein Geschäftsmodell im Journalismus sollte immer bedeuten, den Menschen, die es tragen, auch langfristig eine Perspektive zu geben.

 

Wie reagieren Bewerberinnen und Bewerber darauf, wenn sie erfahren, dass es bei Ihnen unbefristete Verträge gibt?
Die meisten bringen das Thema gar nicht auf, weil es bei uns selbstverständlich ist. Für manche ist es vielleicht ungewöhnlich, dass wir diesen Weg gehen – für uns gehört er aber zur Qualität des Produkts. Wir glauben, fundierte, langfristige Recherchen bekommt man nur mit einem fest eingespielten Team.

 

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