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Masterclass Erzähljournalismus: 7 frische Tipps für zeitgemäßes Storytelling

Masterclass Erzähljournalismus: 7 frische Tipps für zeitgemäßes Storytelling Aus der „medium magazin“-Praxis

Die Reportage hat trotz zahlreicher Krisen noch lange nicht ausgedient. Aber wie gelingen gut erzählte Texte – ohne Klischees und fern von starren Mustern?

Berlin – Wir ertrinken in einer Flut von Geschichten. Von Netflix über Youtube und Spotify bis hin zu Tiktok – da fragt man sich doch irgendwann: Braucht wirklich irgendjemand die altehrwürdige Printreportage noch? Ist das Lesen langer Texte nicht viel zu anstrengend und zeitaufwendig, während wir genauso gut beim Küche-Putzen einen neuen Podcast hören könnten? Andere Medien sind einfach schneller, leichter und unterhaltsamer als jeder gedruckte Text – es sei denn, es würde gelingen, die einzigartige Stärke des Mediums Text ganz und gar auszuschöpfen.  Alexander Rupflin und Benedikt Herber zeigen von der aktuellen Ausgabe des „medium magazins“ in sieben Schritten, wie das geht.

 

1. EINSTIEG: ES GEHT AUCH MAL OHNE SZENE
Der gute alte szenische Einstieg ist zum geflügelten Wort in Redaktionen geworden. Von Anfang an soll der Leser schließlich das Gefühl haben, „dabei zu sein“! Direkt in die Handlung hinein. So könne die Geschichte echten Sog entwickeln. In Absatz drei folgt noch ein „Portal“ und von dort aus schauen wir dann mal weiter. Es stimmt ja: Grundsätzlich ist es gut, wenn Geschichten plastisch und lebendig erzählt werden. Nur ist der szenische Einstieg mittlerweile zur Masche verkommen. Gefühlt jede Reportage beginnt mit solchen Sätzen: „An einem nasskalten Dienstagmorgen sitzt Lisa Müller in ihrem Büro, Regen trommelt auf das Fensterbrett.“ Wenn ein Stilmittel so inflationär eingesetzt wird, langweilt es nicht nur, es wird zum Klischee. Das soll nicht heißen, dass Szenen am Anfang grundsätzlich problematisch sind. Nur: Es lohnt sich, mit Alternativen zu experimentieren.

 

Hier ein paar Anregungen aus der Literatur:

  • Die Reflexion
    Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Art. Leo Tolstoi: „Anna Karenina“
  • Der Steckbrief
    Im 18. Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten reichen Epoche gehörte. Patrick Süskind: „Das Parfüm“
  • Die Ausgangssituation
    Sie haben mir eine Strafarbeit gegeben. Siegfried Lenz: „Deutschstunde“
  • Vorausdeutung
    An dem Tag, an dem sie Santiago Nasar töten wollten, stand er um fünf Uhr dreißig morgens auf, um den Dampfer zu erwarten, mit dem der Bischof kam. Gabriel García Márquez: „Chronik eines angekündigten Todes“
  • Stimmung
    Wahr ist es: nervös, entsetzlich nervös war ich damals und bin es noch. Edgar Allen Poe: „Das verräterische Herz“

 

2. SZENEN: ECHTES LEBEN STECKT IN DER BEWEGUNG!

Apropos szenischer Einstieg: Was ist das überhaupt, eine echte Szene? Definieren wir sie einmal so: Zu einer konkreten Zeit an einem konkreten Ort begehen konkrete Menschen eine konkrete Handlung. Eigentlich logisch, aber: In vielen Reportagen bleibt echte Handlung oft nahezu völlig aus. Das klingt dann so: „Hinter ihrem Schreibtisch sitzt Maria Müller. Ein Dutzend Bücher zum Strafrecht und ein Turm aus roten Akten umrahmen sie.“

Eine solche vermeintliche Szene beschreibt eine Situation, die wir oft vorfinden: Wir sind mit unseren Protagonisten zu einem Gespräch verabredet. Der Ort ist bewusst gewählt und soll etwas über die Person erzählen: Also trifft man sich im Wohnzimmer, in der Anwaltskanzlei oder im Lieblingsrestaurant. So weit, so vorhersehbar. Doch wenn der Schauplatz einmal gefunden ist, neigen wir dazu, nicht über die reine Beschreibung des Ortes hinauszugehen. Oft folgen dann nur noch ein paar allgemeine Infos zur Person („braunhaarig, weiße Bluse, 34 Jahre alt“) und schließlich sagt dann die Protagonistin etwas zum Thema unserer Reportage: „Meiner Erfahrung nach als Verteidigerin kann jeder zum Mörder werden.“ Statt Kino im Kopf entsteht nur Diashow – also eine Aneinanderreihung von Standbildern. Es bewegt sich einfach nichts.

Eine wirkliche Szene definiert sich durch Bewegung und die Interaktion des Protagonisten mit seiner Umwelt. Wir sollten vorab also nicht nur überlegen, welcher Ort etwas über diesen erzählen könnte. Wir sollten uns auch die Frage stellen, wie wir einer Situation beiwohnen können, bei der der Protagonist tatsächlich handelt. Eine Situation, in der er oder sie diskutiert, der Arbeit nachgeht, streitet oder Liebenswürdigkeiten austauscht, kämpft, lacht, tanzt – eben all das, was Menschen machen, wenn sie sich nicht mit einem Reporter für ein Interview verabreden. Denn nichts erzählt mehr über einen Menschen als sein Handeln anderen gegenüber.

 

Beispiel für eine gelungene Szene

Polunin setzt an und hebt ab, er springt, springt, springt und dreht sich um sich selbst. Dann stampft er auf, marschiert, wirft sich hin. Er tanzt wie ein Rasender kurz vor dem Abgrund, unterbrochen von lichten, sanften, harmonischen Augenblicken. Die schulterlangen Haare wirr vor den Augen, der Bart am Kinn zerfranst. Polunins Schritte und Drehungen sind nicht immer ganz präzise, aber er tanzt ohne Vorsicht, ohne Rücksicht gegenüber sich selbst. Es wirkt, als würde er, selbst wenn er von der Bühne fiele, weitertoben. Ein Mann im Kampf mit sich selbst. Jana Simon: „Putins Tänzer“

 

3. DETAILS: MEHR MUT ZUR LÜCKE

4. PROTAGONISTEN: AUF LEBENSWEGEN REISEN

5. STORYTELLING: „LET ME BE YOUR HERO, BABY“?

6. ERZÄHLER: AUF DIE PERSPEKTIVE KOMMT ES AN

7. ENDE: EIN GUTER SCHLUSS IST EIN GUTER ANFANG

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