Vermischtes
KNA – Steffen Grimberg

Medienexperte Christopher Buschow: „Eine Digitalsteuer wäre Augenwischerei“

Fusion war gestern, sagt der Medienwissenschaftler. Heute setzen die deutschen Zeitungsverlage auf Netzwerke. Ein Gespräch über gekaperte Anzeigenblätter, reformbedürftige Kartellvorschriften und die Schwierigkeiten der Presseförderung.

Hamburg (KNA) – Während die Politik in jeder zweiten Sonntagsrede die ungemein wichtige Rolle der Presse für die Demokratie beschwört, geht der Lokaljournalismus in Deutschland gerade in die Knie. Immerhin ist die Lage nicht so dramatisch, wie vor fünf Jahren befürchtet. Und der Medienwissenschaftler Christopher Buschow von der Hamburg Media School sieht im Interview mit dem KNA‑Mediendienst auch neue, eigene Strategien im Markt um lokale und regionale Information und Aufmerksamkeit.

 

Der 39‑Jährige ist seit letztem Jahr Professor für Digitalen Journalismus an der Technischen Universität Hamburg und Leiter des gleichnamigen Fachgebiets an der Hamburg Media School. Er ist außerdem Sprecher der Fachgruppe Medienökonomie in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik‑ und Kommunikationswissenschaft und forscht schon lange zu Themen wie Journalismus‑ und Presseförderung.

 

Wie geht es der deutschen Zeitungslandschaft denn wirklich?

Christopher Buschow: Das ist insgesamt schwierig zu sagen, da es an entsprechender Forschung mangelt. Klar aber ist: Der Markt ist weiterhin in einem großen Wandel, was wenig erstaunlich ist. Schon vor 20 Jahren haben Branchenbeobachter vorausgesagt, bald könnten wir das „Newspaper Endgame“ beobachten: Da wird ein großer Konsolidierer kommen und alles aufkaufen. Es werden am Ende große Konglomerate sein, einige wenige, die den gesamten Markt beherrschen.

 

Und war beziehungsweise ist da etwas dran?

In den USA ist es tatsächlich so ähnlich gekommen. Dort haben dominante Finanzinvestoren und Hedgefonds in den Zeitungsmarkt investiert und große Zeitungsketten gebildet. Die Lage in Deutschland ist eine andere. Hier läuft die Konsolidierung offenbar nicht ganz so ab, wie es manche vorausgesagt haben. Wir sehen unterschiedliche Strategien. Eine wichtige neue Erkenntnis bei den größeren Verlagen in Deutschland dürfte beispielsweise sein, dass es nicht mehr unbedingt notwendig ist, die kleinen Verlage oder Titel unmittelbar durch Zukauf zu übernehmen.

 

Sondern? Wir hatten ja in den vergangenen Jahren weiter große Fusionen: Madsack hat 2024 neben seiner „Leipziger Volkszeitung“ auch die „Sächsische Zeitung“ aus Dresden übernommen, gerade hat das Kartellamt den Kauf der Stuttgarter Blätter der Südwestdeutschen Medienholding durch die Ulmer „Südwest‑Presse“ freigegeben...

Das stimmt, natürlich gibt es weiterhin Übernahmen. Aber die großen Verlage und Gruppen merken zunehmend, dass man auch im Digitalen eine Art Mantel liefern kann. Nehmen Sie die „Landeszeitung für die Lüneburger Heide“, die sich ihre überregionalen Inhalte auf der Website von Madsacks Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) bereitstellen lässt. Konzernintern heißt das bei Madsack „One Plattform“. Madsack hat verstanden, dass es nicht immer gleich einen formalen Eigentümerwechsel braucht. Man kann kleinere Häuser auch so in Netzwerke einbinden. Auch die Ippen‑Gruppe, die derzeit ein Reichweiten‑Netzwerk aufbaut, weiß, dass es Sinn ergibt, mit Verlagen zu kooperieren, ohne diese direkt aufzukaufen. Das hätte ich vor ein paar Jahren und mit Blick auf die Entwicklungen im US‑amerikanischen Markt so nicht erwartet.

 

Funktioniert das nur mit überregionaler Berichterstattung?

Nein, es ist sicherlich ein Vorteil solcher Netzwerke, wenn hier auch Neues ausprobiert wird – zum Beispiel im Bereich lokaler journalistischer Angebote. In der Fläche ist das schwierig, aber in größeren Städten gibt es Marktchancen. Ippen experimentiert zum Beispiel mit neuen Regio‑Portalen wie 24hamburg oder BW24.

 

Das sind allerdings nicht gerade Angebote, die man ohne Weiteres als Qualitätsjournalismus bezeichnen würde. Aber bedeuten solche Trends und auch der weitere Ausbau der Zentralredaktionen bei Funke oder dem RND, dass das Kartellamt mit seiner Ausrichtung auf die klassischen Zeitungsmärkte in gewisser Weise „schief“ liegt?

Ja. Über die Jahrzehnte ist da eine eingespielte Regulierungsstruktur entstanden, die sich nun unabwendbar von der digitalen Welt herausgefordert sieht. Und wir sollten überlegen, wie das Wettbewerbsrecht, aber auch das Medienkonzentrationsrecht zukunftsfähig auf diese digitale Welt eingestellt werden kann. Hier ist die Strategie im deutschen Zeitungsmarkt, dass mehr netzwerkartige Kooperationsverbünde entstehen, aber gar nicht mal der springende Punkt. Die Herausforderungen liegen vielmehr bei den großen Plattformkonzernen, hinzu kommen jetzt neue KI-Anwendungen. Diese sehe ich in der Debatte über Wettbewerbs-, Kartell- und Medienkonzentrationsrecht noch zu wenig berücksichtigt.

 

Vor fünf Jahren hatte eine Studie prognostiziert, dass bis 2025 rund 40 Prozent der damals bestehenden Lokalausgaben für die Verlage nicht mehr wirtschaftlich wären. Wie sieht es denn aktuell wirklich aus?

Bei dieser Prognose ging es vor allem um die Zustellung der gedruckten Zeitung. Das Ganze ist zum Glück in der vorausgesagten Dramatik nicht eingetreten. Doch sehen wir mittlerweile die ersten Fälle, wo die Zustellung beziehungsweise sogar das komplette physische Produkt eingestellt worden sind. Meine Kollegen an der Hamburg Media School haben mit der „Wüstenradar“-Studie dokumentiert, wie sich die Verfügbarkeit von Lokaljournalismus verändert hat. Da gibt es eine ganze Reihe von besorgniserregenden Zuständen. Das „Wüstenradar“ spricht ganz klar von einer „Versteppung“ der Zeitungslandschaft.

 

Was ist damit gemeint?

Es gibt eine Ausdünnung im Lokalen, wir sehen zunehmend weniger Personal, einzelne Lokalredaktionen gehen verloren. Dazu kommt der Trend der Lokalverlage, vermehrt auf die großen Städte zu setzen und dort eine Art „Deep Journalism“ zu erproben, also Politik‑, Wirtschaftsjournalismus oder Vergleichbares für eine spezifische Nische von Entscheiderinnen und Entscheidern in den urbanen Zentren. Das heißt, da ändert sich auch die ganze Produktkonfiguration von Lokalverlagen, was sie inhaltlich anbieten.

 

Sie hatten die Zustellungs‑Problematik schon erwähnt. Die von früheren Bundesregierungen geplante Zustellförderung dürfte vom Tisch sein, der aktuelle Koalitionsvertrag enthält auch keine direkten Aussagen zu einer Presse‑ oder Journalismusförderung. Was erwarten Sie auf diesem Feld?

Das Thema „Null Prozent“-Mehrwertsteuer hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, obwohl es lange so aussah. Die Verlegerverbände fordern das zwar weiterhin, aber ich sehe da wenig Realisierungschancen. Zudem liefe eine solche Förderung ohnehin Gefahr, die Marktverhältnisse zu zementieren und diejenigen Verlage zu belohnen, die mit der digitalen Transformation noch nicht so weit sind. Denn wer noch viele teure Print‑Abos hat, die von der Mehrwertsteuer befreit werden, profitiert von so einer Maßnahme deutlich stärker als Verlage, die versuchen, digitale Abos – wahrscheinlich notwendigerweise – zu deutlich geringeren Preisen an den Markt zu bringen. Die Digitalumsätze sind ja bisher generell niedriger, hier könnten also gerade diejenigen benachteiligt werden, die schon mehr in ihre Digitalisierung investiert haben.

 

Das heißt, die Verleger und ihre Verbände sind weiter auf dem Holzweg und retten die alte Welt?

Das ist Ihre Formulierung. Ich habe mich immer für eine Innovationsförderung eingesetzt, die tatsächlich denjenigen hilft, die mit guten Ideen und Projekten zukunftsfähigen Journalismus organisieren wollen. Eine solche Förderung ist natürlich aufwendiger, als wenn man mit einem Fingerstreich die Mehrwertsteuer reduziert.

 

Was halten Sie von der von Medienstaatsminister Weimer ins Spiel gebrachten Digitalabgabe nach dem Vorbild Österreichs?

Dagegen hat sich ja die Bundeswirtschaftsministerin ausgesprochen, und auch auf EU‑Ebene scheint das gegenwärtig wieder beerdigt zu werden. Meiner Meinung nach wäre so eine Digitalsteuer auch Augenwischerei. In Österreich kommt das Geld zu einem gewissen Teil der Presse zugute, aber große Anteile fließen in den allgemeinen Haushalt. Außerdem sehen wir doch, was dann passiert: In Österreich wurde das schlicht auf die Preise von digitaler Werbung draufgelegt; letztendlich würden also auch bei uns die Wirtschaft und mittelbar die Verbraucher zur Kasse gebeten. Wenn man von Google etwas haben will, müsste es aus den Umsätzen kommen – und da wird es kompliziert. Sonst hat man bestenfalls eine Umverteilung von den Werbetreibenden hin zu den Verlagen. Das kann man natürlich wollen, aber ich glaube nicht, dass das der richtige Hebel ist.

 

Was dagegen im Koalitionsvertrag wieder auftaucht, ist die Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus. Das wollte schon die Ampel‑Koalition regeln, kam aber nicht mehr dazu. Klappt es dieses Mal?

Das bleibt weiter ein schwieriges Thema. Ich habe auch das Gefühl, die letzte Koalition hat hier ein bisschen mehr gewollt als die jetzige. Was klar weiter im Raum steht, ist die Frage, welche Perspektiven die Gemeinnützigkeit für den Journalismus tatsächlich eröffnen kann. Für mich wäre die Änderung in der Abgabenordnung in erster Linie ein symbolisches Signal.

 

Wie bewerten Sie dann verschiedene Förderprogramme für Lokaljournalismus, unter anderem von den Landesmedienanstalten?

Das sind wichtige Impulse, aber hier können weiterhin nur geringe Beträge mobilisiert werden. Natürlich müssten die Länder mehr in die Verantwortung gehen, wenn es der Bund nicht macht. Nehmen Sie Brandenburg: Da geht es um eine Million Euro pro Jahr aus dem Landeshaushalt, die über die Medienanstalt Berlin‑Brandenburg (MABB) für lokaljournalistische Projekte vergeben werden. Die vorletzte Bundesregierung hatte für die damals geplante Presseförderung innerhalb von fünf Jahren 220 Millionen Euro auf den Tisch legen wollen. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied.

 

Dabei wird von Seiten der Politik allenthalben die Wichtigkeit des Journalismus und gerade des Lokaljournalismus für die Demokratie betont. Wie passt das zusammen?

Wir hören viele Sonntagsreden, in denen immer wieder gefordert wird, dass Journalismus auch als Gegengewicht in aufgeregten Zeiten wirken soll. Das ist ja absolut richtig. Aber aus diesen Sonntagsreden folgt wenig bis nichts. Ich sehe im Moment die größten Herausforderungen zum einen dort, wo im Lokalen alternative Kommunikationskanäle entstehen, in denen keine redaktionelle Verantwortung oder journalistischen Qualitätsstandards mehr angelegt sind. Und zum anderen dort, wo bestehende Medien von rechtspopulistischen Akteuren übernommen werden, um sie dann als Desinformations-Schleudern zu verwenden. Wir sehen hier erste Tendenzen bei Anzeigenblättern, die gekapert werden, um politische Werkzeuge daraus zu machen.