Vermischtes
KNA – Wilfried Urbe

Medienkonferenz diskutiert über Populismus: „Haltung ist etwas für Orthopäden“

Das „Kölner Forum für Journalismuskritik 2025“ diskutierte den Umgang mit Populismus, Social Media und zu viel Haltung – und vergab den Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte .

Köln (KNA) – Was haben die klassischen Medien dem viel beschworenen „Populismus“ heute noch entgegenzusetzen? Das wollte das „Kölner Forum für Journalismuskritik 2025“ im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks am vergangenen Freitag (9.5.) besprechen. „Sind Medien gegen Populisten wehrlos?“, so der Titel des ersten zentralen Panels, bei dem zugleich die Frage mitschwang, ob Medien nicht eigentlich sogar selbst den Populismus befeuern – weil der Mechanismus, mit extremen Äußerungen größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen, leider überall gut funktioniert.

 

Dass dafür erst einmal der so gängige wie schillernde Begriff „Populismus“ definiert werden muss, machte der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger gleich zu Beginn klar. „Es geht darum, Differenzen herzustellen – etwa zwischen gesellschaftlichen Eliten und dem ‚gutgläubigen Volk‘“, so der Professor der FU Berlin. „Das Ziel ist immer die Spaltung.“ Die Strategie der Populisten sei klar erkennbar, ergänzte die Medienkritikerin Nadia Zaboura: „Der Aufbau eines Narrativs – wir gegen die.“ Ziel sei es, eine valide, faktenbasierte, wohlwollende und deliberative öffentliche Debatte zu zerstören: „Wenn wir uns das Kommunikationsziel des Journalismus einmal vor Augen halten – mit seiner fragestellenden Haltung, einer Haltung der Wertschätzung, der Aufklärung, die möglichst viele Gruppen einschließt –, dann ist das komplett konträr dazu“, so Zaboura.

 

Gerade mit Blick auf diese verschiedenen Kommunikationsziele war für sie klar, warum die bisherigen Medienformate Populisten wenig entgegensetzen können. Bereits seit 2015 werde gefordert, dass man autoritäre Demokratiegegner inhaltlich stellen müsse. Gelungen sei das bis heute nicht, meinte Zaboura mit Blick auf die Erfolge der AfD. Die zahlreichen Politikformate müssten „differenziert“ betrachtet werden und sich neu erfinden, um sich der jetzigen Kommunikationsdynamik anzupassen.

 

Nicht über jedes Stöckchen springen

Alt-Polit-Talkmaster Frank Plasberg kritisierte dabei den allgemeinen Weltverbesserungsdrang vieler Journalisten: „Haltung ist etwas für Orthopäden“, so Plasberg. Sagen, was ist – darstellen, wie die Welt ist, und nicht, wie sie sein sollte: Das pries der frühere Hart aber fair-Moderator als Rezept, um wieder mehr Menschen mitzunehmen, die sich aktuell von der Berichterstattung ausgeschlossen fühlten.

Zaboura riet dazu, „nicht über jedes Stöckchen zu springen“, um populistischen Akteuren nicht unnötig Raum zu geben. Der Nachrichtenwert sollte entscheiden, nicht die Klickzahlen. Neuberger forderte von den öffentlich-rechtlichen Sendern mehr „Selbstreflexion“ bei den „elitären Talkshows“.

 

Doch auch das ging manchen im Publikum nicht weit genug. „Wenn man hier die Diskussion verfolgt, gewinnt man den Eindruck: Populisten – das sind immer die anderen“, kritisierte ein Forum-Besucher. Er verwies unter anderem auf die Silvesternacht 2015/16 in Köln, als zahlreiche Übergriffe auf Frauen durch Gruppen junger Männer, hauptsächlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum, verübt wurden. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien hatten – auch wegen einer verharmlosenden Informationspolitik der Polizei – zunächst nur zurückhaltend und verspätet berichtet. Das sei nicht politisch motiviert gewesen, sondern nur „verschnarcht“, versuchte der ehemalige WDR-Mann Plasberg das Versäumnis zu erklären.

 

Anweisungen von oben

„Ja, es gab ein erzieherisches Moment“, meinte Plasberg, doch das sei heute überwunden. Er verwies auf eigene Erfahrungen mit Anweisungen von „oben“: „Das habe ich selbst erlebt.“ Eine „WDR-Hierarchin“ habe ihm damals untersagen wollen, das Attentat auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo in Hart aber fair zu thematisieren – mit der Begründung, das sei Wahlhilfe für die AfD. Dennoch habe er durchgesetzt, dass ein Talk dazu stattfinden konnte.

 

Digitale Plattformen und das Freiheitsversprechen

Das zweite Panel – „Digitale Plattformen und das Freiheitsversprechen Internet: Zeit für ein Update?“ – schloss nahtlos an. Die Kernfrage lautete: Was machen Hass und Desinformation im Netz mit unserer Gesellschaft? Wie bedrohlich sind sie für die Demokratie? Nicht nur aus Sicht von Renate Künast sind die Herausforderungen erheblich, denn in sozialen Medien „wird definitiv sehr viel Schaden angerichtet“. Die Grünen-Politikerin und Diskussionsteilnehmerin hielt den Begriff „Zeitenwende“ auch für die digitale Welt für angebracht.

 

Wo bleibt der „wirkliche Journalismus“?

Künast spricht aus Erfahrung: Sie ist bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, nachdem sie auf Facebook als „Schlampe“, „Pädophilen-Trulla“ oder „krank“ beschimpft wurde. Aktuell geht sie gegen Facebook-Mutter Meta vor, weil weiterhin ein Meme mit einem Zitat von ihr verbreitet wird, das sie nie gesagt hat. Das Verfahren liegt beim Bundesgerichtshof, wurde aber ausgesetzt, um eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten. Zudem würden Akteure wie Elon Musk und Mark Zuckerberg 80 Prozent der Werbegelder „abziehen“, so Künast. Das lasse den „wirklichen Journalismus“ mit seinen Regeln wie dem Zwei-Quellen-Prinzip „austrocknen“.

 

Welche Bedeutung dieser „wirkliche Journalismus“ hat und unter welchem Druck er steht, machte schließlich die Verleihung des Günter-Wallraff-Preises deutlich: Die Auszeichnung ging an die seit fünf Jahren inhaftierte belarussische Menschenrechtsaktivistin Maria Kalesnikawa und die belarussische Journalistenvereinigung. Die 43-jährige Flötistin Kalesnikawa lebte früher in Stuttgart, kehrte aber in ihre Heimat zurück, um einen Wandel im autokratisch regierten Belarus anzustoßen. 2020 wurde sie in Minsk entführt und inhaftiert.

 

Lange gab es kein Lebenszeichen von ihr; im vergangenen November durfte sie nach 600 Tagen Einzelhaft ihren Vater sehen. Laut Amnesty International war sie zu diesem Zeitpunkt stark abgemagert und in Lebensgefahr. Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien würdigte die Preisträger als „mutige, ja mutigste Menschen in Europa“. Sie seien „Geiseln eines menschenverachtenden Regimes, das mit unserer Vergesslichkeit rechnet“.