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Michael Götschenberg: „Journalisten fehlt es an Selbstreflexion und Bereitschaft zur Selbstkritik“

Susanne Gaschke, Malu Dreyer und Michael Götschenberg haben im Vorfeld vom Demokratie-Forum Hambacher Schloss zur „Anatomie der Medienrepublik - Macht ohne Verantwortung“ die Leitfragen beantwortet. Newsroom.de dokumentiert ihre Antworten in voller Länge.

Neustadt an der Weinstraße - Wer nicht dabei sein konnte - der SWR zeigt die sehenswerte Diskussion, moderiert von SWR-Chefreporter Prof. Dr. Thomas Leif, im Web. Sie ist zu finden unter http://www.swr.de/demokratieforum.

Demokratie-Forum Hambacher Schloss: Die Teilnehmer der Diskussion „Anatomie der Medienrepublik - Macht ohne Verantwortung“

Prof. Dr. Thomas Leif, SWR Landessender Mainz: Zusammen mit einem SWR-Team entwickelte er in den vergangenen Jahren u.a. das Format der „Presenter-Reportage“ für die ARD, produzierte politische Dokumentationen, Feature und Magazinbeiträge; bis 2013 moderierte er die politische SWR-talkshow „2+LEIF“ aus Berlin. Anschließend www.swr.de/leiftrifft. 2007 erschien der Bestseller „beraten & verkauft, McKinsey und Co., Der grosse Bluff der Unternehmensberater.“ 2009 das Buch „angepasst & ausgebrannt. Parteien in der Nachwuchsfalle“, München 2009. 1994: Gründung und Konzeption des MainzerMedienDisputs; Moderation und Konzeption des MMD in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin. des MedienTALKBerlin an der Humboldt-Universität und des „Demokratie-Forum Hambacher Schloss“.

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, SPD: Die gebürtige Neustädterin studierte Rechtswissenschaften an der Uni Mainz, wo sie sowohl das erste als auch zweite Staatsexamen mit Prädikat abschloss. Ihre politische Laufbahn begann 1995 als Bürgermeisterin von Bad Kreuznach, anschließend war sie Sozialdezernentin in Mainz und 2002 wurde sie Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Demografie in der pfälzischen Landesregierung. Als Vorsitzende der SPD in Trier gewann Frau Dreyer zweimal das Direktmandat, bei den Landtagswahlen 2006 und 2011, und trat im Januar 2013 die Nachfolge von Kurt Beck als Ministerpräsidentin an.

Dr. Susanne Gaschke, Ex-Oberbürgermeisterin von Kiel, SPD: Die Kielerin promovierte 1995 über Kinderliteratur und leitete nach einem Volontariat bei den Kieler Nachrichten den Bereich „Junge Leser“ bei der Wochenzeitung Die Zeit. Nach dem Wechsel von Torsten Albig in die Kieler Staatskanzlei trat die Sozialdemokratin als Spitzenkandidatin zur Wahl des Oberbürgermeisters an. Im November 2011 setzte sich Gaschke in der Stichwahl gegen Gert Meyer von der CDU durch. Knapp zwei Jahre später folgte der Rücktritt, weil die Staatsanwaltschaft in einem besonders schweren Fall der Untreue gegen sie ermittelte. Die Ermittlungen wurden im Mai 2014 wieder eingestellt. Am 15.9.2014 erschien ihr Buch „Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu gehen”.

Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Medien-Experte, Uni-Tübingen: Pörksen studierte Germanistik, Journalistik und Biologie in Hamburg und promovierte in Medienwissenschaften. Er forschte und lehrte in Greifswald, Hamburg und Münster. 2008 wurde er auf die Professur für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen berufen. Zu den zentralen Themen seiner Forschung gehören die Mechanismen öffentlicher Empörung, Medienskandale und Medienethik. Gemeinsam mit Heinz von Förster publizierte er „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“, welches als Klassiker der Systemlehre gilt.

Michael Götschenberg, Leiter des MDR-Hörfunkstudios im ARD-Hauptstadtstudio Der Historiker und Politologe begann seine journalistische Laufbahn als Moderator und Nachrichtensprecher beim MDR. Von 2004 bis 2009 berichtete er über das politische Geschehen von EU und NATO als Korrespondent in Brüssel. Seit 2010 leitet Götschenberg das MDR-Hörfunkstudio in Berlin und gehört zu den Insidern der Berliner Republik. Sein Buch „Der böse Wulff?“ arbeitet geistreich die Medien-Affäre um den früheren Bundespräsidenten auf. Darin wird deutlich, dass die Medien nicht nur Beobachter waren, sondern aktiv am Geschehenen teilnahmen.

Fragen - Antworten

Illustrieren die jüngsten Skandale von Christian Wulff bis zum „Protzbischof“, vom „Gaucho-Tanz“ bis zu den „blauen Engeln“, dass die Suche nach Skandalen die Medien navigiert?

Susanne Gaschke: Natürlich gibt es echte Skandale, Fehlentwicklungen und Mißstände, und natürlich ist es eine ganz wichtige Aufgabe von Journalisten, diese aufzudecken und zu kritisieren. Aber der Skandal ist der publizistische Ausnahmezustand. Und nach meiner Wahrnehmung ist gegenwärtig die Freude zu groß, wenn ein potenziell skandalisierungsfähiger Sachverhalt auftritt. Im Skandal können Journalisten sich mit noch größerer Inbrunst als Oberschiedsrichter und Kämpfer für die Gerechtigkeit fühlen, als sie es ohnehin schon tun. Es sind Nachrichten für mehrere Tage garantiert, mit Eskalationsmöglichkeit. Und es gibt ein meßbares Ergebnis: Wild zur Strecke gebracht, Schuldiger zurückgetreten oder im Gefängnis. So schön ist es bei der Berichterstattung über irgendein sozialpolitisches Detail selten.

Malu Dreyer: Die Jagd nach den besten Quoten und den höchsten Marktanteilen, die in Teilen die Medien beherrscht, könnte eine solche Sicht nahelegen. Die öffentliche Kritik an zunehmender Boulevardisierung, Skandalisierung und damit auch eine Verletzung von Tabus in der medialen Berichterstattung ist kein neues Phänomen, sondern begleitet die Entwicklung der Medien seit geraumer Zeit in den unterschiedlichen Bereichen, gleich ob Rundfunk, Print oder Online. Man darf hier jedoch nicht pauschalieren und die Medienschaffenden nicht unter Generalverdacht stellen. Viele positive Beispiele, wie etwa die diesjährige Vergabe zahlreicher Grimme-Preise an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, belegen meines Erachtens, dass es nach wie vor qualitativ hochwertige Medienangebote in vielen Bereichen gibt und diese von den Bürgerinnen und Bürgern auch nachgefragt werden.

Michael Götschenberg: Ich bin kein Freund von Pauschalurteilen über die Medien, jedoch gibt es unverkennbar seit vielen Jahren eine wachsende Tendenz der Medien zur Skandalisierung. Besorgniserregend finde ich dabei vor allem, wie maßlos und sorglos dabei vorgegangen wird.

Wird diese Suche nach Trends und „Aufregern“ von einem informellen Wandel der Nachrichten begleitet? Wohin führen diese Komplexitätsreduzierung und der Verzicht auf Differenzierung?

Susanne Gaschke: Es gibt den Trend zur Vermischung von Nachricht und Kommentar. Es gibt den Trend zur Zuspitzung. Es gibt den Trend zur Personalisierung. Je weltanschaulich „neutraler“ Journalisten sich selbst wahrnehmen, desto weniger fühlen sie sich offenbar zur Ausgewogenheit verpflichtet. Und notwendige Komplexitätsreduzierung, die ja auch eine zentrale Aufgabe von Journalisten ist – etwas genau verstehen und für andere genau erklären – ist zu einer Publikumsverachtung verkommen: Mach es nicht so kompliziert, das versteht der Leser/Zuschauer sowieso nicht! Alte Schlachtrösser wie Theo Sommer pflegten zu scherzen: Erst stark vereinfachen, dann stark übertreiben. Das ist heute nicht mehr so lustig, weil es weitgehend Realität ist.

Malu Dreyer: Wenn man sich die aktuellen Entwicklungen der Medien und der Berichterstattung anschaut, könnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass sich die gesellschaftliche Relevanz von Themen und der Stellenwert von Nachrichten verschiebt. Die dabei oft festzustellende Vereinfachung und auch den Verzicht auf klare Differenzierung sehe ich durchaus mit Sorge. Die starke Fokussierung auf sogenannte „Aufreger“ und „Skandale“ vermittelt den Bürgern und Bürgerinnen oftmals eine Scheinbedeutung, die den betreffenden Themen objektiv betrachtet nicht zukommt. Damit verschiebt sich in der Wahrnehmung der Menschen leider teilweise der Stellenwert wichtiger gesellschaftlicher Prozesse zugunsten dieser Einzelphänomene. Ich denke aber auch, dass die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich ein feines Gespür dafür haben, wo etwas medial aufgeblasen wird und wo kritische Berichterstattung wirklich berechtigt ist.

Michael Götschenberg: Zu einem immer wieder zu beobachtenden Rudelverhalten, in dem jede differenzierte Betrachtung abhandenkommt. Zwar wird immer wieder behauptet, man berichte doch nur – tatsächlich beteiligen sich alle an der Verbreitung von immer neuen Vorwürfen, die niemand mehr überprüft. Der Kinderporno-Vorwurf gegen Sebastian Edathy wurde verbreitet mit Verweis auf die Berichterstattung einer Lokalzeitung, ohne eine Bestätigung durch die Staatsanwaltschaft.

Hat der Journalismus, dessen Grundlage gut recherchierte, teils nüchterne Nachrichten sind, seinen inneren Kompass verloren? Ist schön schreiben, wichtiger als intensiv denken?

Susanne Gaschke: Die Journalistenpersönlichkeit hat eine ungute Neigung entwickelt, sich in den Vordergrund zu drängeln. Und dabei wird das Schönschreiben, werden auch die tiefen inneren Empfindungen des Berichterstatters wichtiger als der Berichtsgegenstand selbst. Nicht immer, nicht überall, aber zu oft, an zu vielen Stellen.

Malu Dreyer: Schön schreiben und intensiv denken schließen sich nicht grundsätzlich aus. Ich glaube auch nicht, dass der Journalismus insgesamt „seinen inneren Kompass“ verloren hat. Auch wenn es manchmal den Anschein hat, dass die Aufmachung einer Nachricht wichtiger ist, als die Nachricht selbst, so stehen doch aus meiner Sicht nach wie vor die Inhalte und damit die Einordnung durch die Journalisten und Journalistinnen im Vordergrund. Die Vielfalt der Informationen und Angebote, die auf die Menschen heute einströmen, macht es immer schwieriger, zwischen guter und schlechter Information auszuwählen und zu entscheiden. Deshalb wird es zunehmend wichtiger, gute redaktionelle Angebote zu haben, die den Nutzern und Nutzerinnen die Auswahl erleichtern.

Michael Götschenberg: Ich glaube eher, dass das Verständnis der eigenen Rolle hinterfragt werden muss.

Ist der „run“ auf Skandale ein Machtspiel mit der Politik?

Susanne Gaschke: Der Run auf Skandale ist ein Machtspiel mit der Wirklichkeit insgesamt: Wir bestimmen sie! Was wir wahrnehmen ist wichtig! Was wir nicht wahrnehmen ist nicht wichtig! Was ein Skandal ist, das entscheiden wir!

Malu Dreyer: Die Medien haben in unserer Demokratie eine unverzichtbare Rolle. Dadurch, dass Journalisten und Journalistinnen Informationen auswählen, nehmen sie Einfluss auf die Sichtweise und Meinung von Lesern, Zuschauern und Usern. Das, was die Medien transportieren, beeinflusst die öffentliche Meinung, die wiederum ein wesentliches Element für den politischen Willensbildungsprozess innerhalb unserer Gesellschaft ist. Vielfach ist festzustellen, dass die Medien - in dem sie bestimmte Themen setzen - auch mittelbar auf politische Bereiche und Entwicklungen einwirken und damit selbst eine gewisse „Macht“ ausüben. Das gibt ihnen aber auch eine große Verantwortung.

Michael Götschenberg: Ich denke ja. Im Fall Wulff war es unverkennbar so, dass Medien und Staatsoberhaupt sich in einem Machtkampf befanden. Die Medien haben für sich beansprucht, über Sein oder Nichtsein der Präsidentschaft zu entscheiden. Das ist Aufgabe der Politik und damit eine Rolle, die den Medien nicht zusteht.

„Allein mit Qualitätsjournalismus kann heute niemand mehr überleben“, meint Hubert Burda (siehe Horizont, vom 21.01.2014). Sieht so die „Zukunft des deutschen Journalismus“ aus?

Susanne Gaschke: Nur der Qualitätsjournalismus kann langfristig überleben. Es ist doch totaler Unfug, sich vom Internet gehetzt zu fühlen und dann genau so zu werden wie das Internet. Nur für Qualität wird eine bestimmte, zahlenmäßig begrenzte Klientel noch Geld ausgeben. Für die anderen kann man Koch- und Yogazeitschriften machen. Die übrigens auch gut sein sollten.

Malu Dreyer: Der immer stärker werdende Konkurrenzdruck am Markt, der Kampf um die neuesten Nachrichten in Echtzeit, wie auch die schwierigen Arbeits- und Einkommensbedingungen vieler Journalisten und Journalistinnen führen dazu, dass in manchen Bereichen die Qualität der journalistischen Arbeit leidet. Der Wettlauf der Medienunternehmen um die Aufmerksamkeit des Publikums wird immer härter. Nachrichten sollen immer und überall verfügbar sein und sind es auch, sei es aufgrund der Vielzahl der 24-Stunden-Fernsehprogramme oder der nahezu unendlichen Anzahl von zum Teil unentgeltlich verfügbaren Online-Quellen. Durch diese ökonomischen Zwänge wird der Trend begünstigt, durch schrille Aufmachung und reißerische Schlagzeilen Aufmerksamkeit in der täglichen Informationsflut zu erregen. In diesem Überangebot an Bildern und Informationen aus aller Welt, das täglich auf die Menschen einströmt, liegt meines Erachtens jedoch auch eine Chance für den Qualitätsjournalismus der Zukunft. Die Medien sollten sich trotz Krise am Zeitungsmarkt und dem Wettbewerb um Quoten im Rundfunk den Mut zu einer seriösen und differenzierten Berichterstattung bewahren. Hier sehe ich gerade die öffentlich-rechtlichen Medien in der Pflicht. Viele Menschen wollen eine professionelle Berichterstattung, die ihnen Orientierung im Meer der Informationen bietet. Hierzu gehört das Auswählen und Filtern von Informationen, aber gerade auch das Nachfragen, Recherchieren und eine Aufbereitung mit entsprechenden Hintergrundinformationen. Es gibt meist nicht nur schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Diese Vielschichtigkeit muss ein verantwortungsbewusster Journalismus im Interesse der Menschen darstellen, damit erst eine persönliche Meinungsbildung möglich ist.

Michael Götschenberg: Wir haben immer noch eine Menge Qualitätsjournalismus. Und das Beispiel „Die Zeit“ macht deutlich, dass man damit sehr erfolgreich sein kann. Der Trend geht jedoch mehrheitlich in eine andere Richtung.

Welche Folgen hat die „Empörungsdemokratie“ für das Berufsbild des Journalisten? Sollten Interessierte zukünftig mit der Berufsbeschreibung „Emotions-Ingenieur“ gelockt werden?

Susanne Gaschke: In fast jeder Empörungswelle gibt es eine Art point of no return: Von da an ist es so ziemlich egal, was das Opfer sagt. Argumente dringen nicht mehr durch. Wir brauchen ein selbstkritisches Berufsbild: Leute, die es vermögen, sich mindestens an diesem Punkt selbst zur Ordnung zu rufen.

Malu Dreyer: Einzelne Journalisten und Journalistinnen erliegen sicher der Versuchung, auf der Jagd nach Quoten und Auflagen im Rahmen der Berichterstattung, eher auf Emotionen und persönliche Betroffenheit zu setzen, als auf eine seriöse an den Fakten orientierte Information. Dies darf jedoch nicht das Leitbild künftiger Journalistengenerationen sein, die diesen Beruf in den unterschiedlichsten Branchen ausüben möchten. Ein Journalismus, der ausschließlich auf die Zurschaustellung menschlicher Gefühle abzielt, läuft permanent Gefahr, Tabus und journalistische Grenzen zu überschreiten. Die Würde des Einzelnen darf durch die mediale Berichterstattung nicht verletzt werden. Wenn es zum Beispiel um Unglücke und Katastrophen geht, sollte nicht die Darstellung menschlichen Leids in reißerischer Form im Vordergrund stehen. Vielmehr muss die Arbeit nach klassischen journalistischen Prinzipien, wie dem Erklären, Abwägen, Einordnen und Analysieren erfolgen, um das Geschehene für die Menschen aufzuarbeiten. Nur mit einem so verstandenen Journalismus kann es auch künftig gelingen, dass die Medien ihrer Rolle und ihrem Auftrag in unserer immer komplexer werdenden Welt gerecht werden. Dies ist meines Erachtens auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Medien in unserer demokratischen Gesellschaft. Medienschaffende sollten trotz aller auch ökonomischen Zwänge zuerst auf Informationen und nicht auf vordergründige Effekte setzen, um das ihnen entgegengebrachte Vertrauen nicht zu verspielen.

Michael Götschenberg: Tatsächlich beobachten wir häufig, dass die mediale Empörung sich nicht auf die Bevölkerung überträgt. Umfragen belegen das eindeutig. Die Konsumenten durchschauen die medialen Skandalisierungsmechanismen und lehnen diese zu einem großen Teil ab. Letztlich schadet die Branche sich damit selbst. Es ist kein Zufall, dass das Ansehen von Journalisten nie so schlecht war wie heute.

Gehört die „Berufs-Ethik“ der Journalisten der Vergangenheit an? Oder wo ist die Bereitschaft zur Selbstreflexion und Selbstkritik mit Blick auf die Konsequenzen der Skandalisierung für die Betroffenen?

Susanne Gaschke: Gestern ist morgen. Ohne neue Berufsethik kein Qualitätsjournalismus, also keine Zukunft der Traditionsmedien. Wir brauchen eine Renaissance von Selbstkritik, Vorsicht, Bescheidenheit und Fleiß.

Malu Dreyer: Ich hoffe nicht, denn dann wäre es um die Zukunft des Journalismus in Deutschland schlecht bestellt. Die Medien, gleich ob Print, Rundfunk oder immer stärker auch Online haben für unsere moderne Gesellschaft eine ganz besondere Bedeutung, indem sie über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Ereignisse berichten, die Hintergründe hierzu erläutern und mit sachlichen Informationen den Mediennutzern und -nutzerinnen eine eigene Meinungsbildung ermöglichen. Daher besagt auch der erste Artikel des Pressekodex: „Die Achtung vor der Wahrheit, der Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.“ Ich bin der Auffassung, dass uns überwiegend Journalisten und Journalistinnen begegnen, die sich ihrer Verantwortung sowohl gegenüber den Mediennutzern und Mediennutzerinnen als auch den Personen, über die sie berichten, bewusst sind. Sie müssen letztlich bei jeder Nachrichtensendung, jeder Reportage, jedem Feature oder Blog entscheiden, ob sie das, was sie senden oder schreiben, vor ihrem Gewissen verantworten können. In einer Zeit, in der jeder nahezu alles - gleich ob Bilder, Videos oder Statements - ohne Belege ins Internet stellen kann, muss es als Gegenpol einen verlässlichen, einordnenden Qualitätsjournalismus geben. Um dies zu gewährleisten, müssen Journalisten und Journalistinnen neben angemessenen Arbeitsbedingungen über eine gute journalistische Ausbildung verfügen, die sie in die Lage versetzt, die Vielschichtigkeit komplexer Sachverhalte in ihrer täglichen Arbeit darzustellen.

Michael Götschenberg: Selbstreflexion und die Bereitschaft zur Selbstkritik ist das, woran es vor allem mangelt. Die Branche ist geprägt von einer enormen Selbstgerechtigkeit, nach dem Motto: Wir sind die Guten. Am Ende einer Skandalisierung zieht die Karawane weiter, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle findet in den Medien höchstens am Rande statt, und wenn, dann mit dem Ergebnis, dass man sich unterm Strich nichts vorzuwerfen habe. (B.Ü.)