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„Spiegel“ zieht Redaktionsschluss vor – und kassiert interne Kritik

„Spiegel“ zieht Redaktionsschluss vor – und kassiert interne Kritik Mangelnde Aktualität?

Wegen früherem Erscheinungstag schließt der „Spiegel“ seine Printproduktion jetzt schon mittwochs. Das soll den Kioskverkauf stärken – doch in der Redaktion wächst die Sorge um Aktualität und Relevanz.

Hamburg – Seit Anfang Juli ticken die Uhren beim „Spiegel“ anders, berichtet Markus Wiegand im aktuellen „kress pro“. Hatten die Redakteurinnen und Redakteure früher noch die ganze Woche zum Schreiben und Recherchieren, ist nun schon am Mittwochabend Schluss. Die Maßnahme soll die Position des „Spiegel“ im Einzelverkauf am Kiosk stärken und die Belieferung der Abonnenten „verlässlicher machen“, heißt es. Dann können die Leserinnen und Leser das Magazin statt wie bisher am Samstag nun schon am Freitag in den Händen halten.

 

Konkurrent „Focus“ hat das Ganze schon Anfang 2024 hinter sich gebracht – und war damit ziemlich erfolgreich. Die Logik dahinter: Man gewinnt am Wochenende einen Tag für den Einzelverkauf und einen Tag Lesezeit für die Abonnenten. Was man nicht vergessen darf: Im vergangenen Jahr erzielte das Heft einen Vertriebsumsatz von 90,8 Millionen Euro – und liegt damit immer noch deutlich vor dem Digitalvertrieb mit 66,9 Millionen Euro.

 

Für die Redaktion allerdings bringt das Vorziehen des Erscheinungstags eine gehörige Umstellung in der Arbeitsweise mit sich, die sich negativ auf die Aktualität der gedruckten Ausgabe des Nachrichtenmagazins auswirken dürfte, wie Kritiker befürchten. Fiel in den guten alten Tagen, als der Montag noch der „Spiegel“-Tag war, erst in der Nacht zum Sonntag gegen zwei Uhr der Hammer, wandert die Deadline nun immer weiter nach vorn.

 

Mit dem Samstag als Erscheinungstag rückte der Redaktionsschluss auf Donnerstagnacht. Am frühen Mittwochabend um 18 Uhr soll für die allermeisten Stoffe Schicht im Schacht sein – für wichtige und große Texte sogar schon um 16 Uhr. Für viele Altgediente beim Nachrichtenmagazin klingt das fatal nach den Öffnungszeiten beim örtlichen Bürgeramt – und nicht nach aktuellem Topjournalismus rund um die Uhr. Dieser soll dann, so offenbar der Plan, vor allem digital stattfinden.

 

Die allerletzte Ausfahrt für Printgeschichten ist am Mittwochabend um 23 Uhr. Das ist mitten in der Woche – und durchaus ein Risiko in Zeiten, in denen ein gewisser US-Präsident ziemlich kurzfristige Entscheidungen trifft: „Früher lief die Recherche-Maschine da erst so richtig an“, erinnert sich eine Führungskraft.

 

Erfahrene Redakteure sehen nun die Gefahr, dass das gedruckte Blatt immer inaktueller und weniger relevant für die Politik und Wirtschaft – und damit für die Leserinnen und Leser – werden könnte. „Wir bekommen dann nur noch die großen, ausgeruhten Stücke über dies und das und unpolitische Betrachtungen, aber die Aktualität läuft an uns vorbei“, klagt ein alter Haudegen.

 

Weitere Top-Themen in der aktuellen „kress pro“-Ausgabe:

  • Worauf Verlage setzen: von automatisierten Newslettern über geklonte Stimmen und Video-Avatare bis hin zu Bots, um die Inhalte per Chat zu vermitteln. 22 praktische KI-Lösungen von FAZ, Heise, Axel Springer, Nordwest Mediengruppe, Ippen Digital, WAZ, BR.
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  • Playboy startet Paid-Modell neu: Online stößt das Magazin an Algorithmen-Grenzen: Nacktheit erschwert die Vermarktung. Wie Paywall, Abo und Exklusivzugang die Erlöse stärken sollen, erklären Myriam Karsch und Yannic Riegger vom „Playboy“.