Vermischtes
Newsroom

Nachrichtenagenturen: "Gatekeeper wird es immer geben"

„Das Rückgrat des weltweiten Informationssystems“ - so beschreibt die Associated Press (AP) ganz bescheiden ihren Platz in der Medienanatomie. Nachrichtenagenturen, die Großhändler der harten News, übernehmen eine enorme strukturelle Bedeutung für das Medien-Ökosystem.

Berlin - „Sie sind das unsichtbare Nervenzentrum, das alle Teile des Mediensystems verbindet“, sagt Wolfgang Vyslozil, ehemaliger Geschäftsführer der österreichischen Agentur APA. Altmeister Wolf Schneider und Thüringer-Allgemeine-Chefredakteur Paul-Josef Raue gehen noch weiter und behaupten, dass „ohne die Agenturen die Massenmedien überhaupt nicht denkbar“ sein können. Eine Analyse von Georgi Kantchev.

Noch bei ihrer Geburt vor 160 Jahren haben Nachrichtenagenturen immer eine Monopolstellung in dem weltweiten Informationsfluss übernommen. Da Agenturen überall vertreten sind und von überall berichten – entweder durch eigene Korrespondenten, Stringers oder durch Kooperationen mit anderen Medien – bestimmen sie maßgeblich den Nachrichtenfluss auf Welt- und Nationalebene.

Vor allem der deutsche Markt gehört zu den weltweit am härtesten umkämpften Märkten überhaupt. Es gibt sieben große Agenturen, die auf Deutsch berichten und weitere kleinere Anbieter. Ihr Einfluss auf die Medienlandschaft ist enorm – 70 Prozent der ausländischen und 60 Prozent der Nachrichten aus Deutschland basieren auf Agenturmaterial, zeigen Marktanalysen.

 

Unser Autor Georgi Kantchev hat über die Zukunft von Nachrichtenagenturen geforscht. Er ist preisgekrönter Journalist, mit Berufserfahrung in einer Reihe von Medien (Print, Online, Radio) in Österreich, Bulgarien, Weißrussland, Deutschland und der Schweiz. Seinen Master im Bereich Media Management hat er in diesem Jahr erfolgreich an der University of Westminster in London abgeschlossen. Er schreibt auf Englisch, Deutsch und Bulgarisch. Internet: http://www.georgikantchev.com, Kontakt: gkantchev@gmail.com

 

Die Veränderungen bei den Nachrichtenagenturen – die Insolvenz der dapd als extremstes Beispiel und ihr erneutes Aufbäumen – sind ein Symptom für die Transformation, die das Internet-Zeitalter auch den Nachrichtenagenturen gebracht hat.

Die Digitalisierung und das Internet haben die Heterogenität der Kunden und deren Bedürfnisse verstärkt und haben damit das Mediengeschäft im Allgemeinen und die Rolle der Agenturen in der Medienkette im Besonderen massiv verändert: von der klassischen B2B (Business to Business)-Nachrichtenagentur mit vor allem Zeitungen als Kunden zu einem Anbieter von innovativen digitalen Produkten für ein breiteres Publikum.

Das Internet hat vor allem das Informationsmonopol der Nachrichtenagenturen zerstört, indem es riesige Mengen an frei zugänglicher Information bereitstellt. Mehr noch, wenn eine Agenturmeldung von einem Kunden online publiziert wird, wird sie gleich von vielen anderen Medien übernommen und kostenlos genutzt, oft ohne die Originalquelle (die Agentur) zu nennen.

Somit müssen Nachrichtenagenturen mit ihren eigenen Texten konkurrieren, auch wenn sie es nicht wollen. Soziale Netzwerke verstärken diesen Trend –Informationen verbreiten sich im Sekundentakt und die Agentur verliert schnell die Kontrolle über ihren Inhalt.

Wer überleben will, muss sein Geschäft neu justieren. Das Internet kann eine Chance sein – als ein mächtiger Kommunikationskanal, um neue, und viel größere, Kundengruppen anzusprechen. Der Wechsel zu einem Business to Consumer Modell ist schwer, denn Geschäft mit Endkunden lässt sich zurzeit nur schwer monetisieren.

Online-Werbung ist noch nicht lukrativ genug und ein profitables Paywall-Modell können sich nur etablierten Marken wie die New York Times oder die Financial Times leisten. Gerade das Branding und die Interaktion mit Endkunden ist ein Feld, worauf sich internationale erfolgreiche Agenturen in den letzten Jahren konzentriert haben – Reuters bietet eines der meistbesuchten (und zudem kostenlosen) Nachrichtenportale an und Associated Press hat große Erfolge mit der eigenen App verzeichnet.

Eine andere Nische, die Nachrichtenagenturen seit langem besetzen, ist das Multimedia Angebot. Auch wenn Information im Online-Zeitalter leichter zugänglich sind als je zuvor, erfordert die Produktion von Multimedia-Inhalten mehr Ressourcen und Wissen.

Da Nachrichtenagenturen sowohl Ressourcen als auch Wissen besitzen, können sie es als einen wichtigen Wettbewerbsvorteil nutzen. So hat die dpa zu Beginn des neuen Jahrtausends weniger als 100 Bilder am Tag veröffentlicht, im Jahre 2007 ist die Zahl auf 500 gestiegen und heute bietet die Agentur täglich mehr als 1500 Bilder. Videos, Grafiken und andere innovative Multimedia-Inhalte an. Das sind alles Produkte, die (noch) nicht auf einem professionellen Niveau in einem großen Umfang kostenfrei online zu finden sind.

Doch auch in der Industrie lassen sich neue Kooperationspartner finden. Die deutsche Tochter der französischen AFP liefert zum Beispiel Fernsehprogramme für eine große Fitnessstudiokette. Für das Unternehmen ist das einer der fünf wichtigsten Umsatzbringer. Andere, wie die australische Nachrichtenagentur AAP, bieten sogar einen Service für Pferdewetten an.

Die Zukunft von Nachrichtenagenturen lässt sich also nicht eindeutig einschätzen. Das Internet ist aus Agenturperspektive eine Bedrohung und eine Chance zugleich. Auch wenn sich das traditionelle Geschäftsmodell an den neuen Zeiten anpassen muss, wird es immer, vor allem wenn man die heutige Informationsflut bedenkt, einen Bedarf an einem professionellen Informationskurator und Gatekeeper geben.

Da ist die Rolle von Komplettanbieter wie dpa oder dapd besonders wichtig, denn nur solche Medienorganisationen haben die Ressourcen von allen Orten über alle Ressorts Informationen zu sammeln, sie zu bearbeiten und an traditionelle und nichttraditionelle Kunden weiter zu leiten.

Georgi Kantchev

NEWSROOM-Debatte: Wie sieht die Zukunft von Nachrichtenagenturen aus? Wird es Nachrichtenagenturen in der Zukunft noch geben? Und wie werden sie sich finanzieren? Die NEWSROOM-Redaktion freut sich über Ihre Einschätzung an redaktion@newsroom.de. Eine Auswahl werden wir auf NEWSROOM veröffentlichen.

 

Top Meldungen aus Vermischtes