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Pathos pur: Niggemeier kritisiert Steingart

Pathos pur: Niggemeier kritisiert Steingart Stefan Niggemeier

„Es ist ein Werk, in dem jeder Sinn vollständig durch Pathos ersetzt wurde“: Stefan Niggemeier, Gründer von Übermedien, hat sich Gabor Steingarts Werbevideo zum Start von The Pioneer vorgenommen. Niggemeier kritisiert auch Steingarts Arbeitsweise und malt sich dessen erstes Treffen mit Mathias Döpfner aus.

Berlin – Vergangene Woche hat Gabor Steingart „ein ganz besonderes journalistisches Projekt“ gestartet: Die Website thepioneer.de, wo die Steingart-Mannschaft ab sofort alle Analysen, Grafiken, Videos und Fotos veröffentlicht. Auch das Bezahlmodell ist seitdem bekannt: Über einen Monatsbeitrag bekommen Nutzer Zugriff zu allen digitalen Inhalten wie Briefings, Podcasts, Live-Streams und Infografiken sowie einen exklusiven Zugang zum Redaktionsschiff The Pioneer One.

 

Zum Launch von The Pioneer hat Gabor Steingart ein knapp zweiminütiges Video produziert. Stefan Niggemeier, Gründer von Übermedien, hat es sich angesehen und urteilt: „Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat. Man kann es sich nicht einmal vorstellen, wenn man es gesehen hat.“

 

„Lasst uns anfangen, die Meinung der anderen zu feiern“, ruft Steingarts Tochter Timea in dem Video auf Englisch. Ayatollah Khomeini wird an einer Stelle eingeblendet, an der Steingart (ebenfalls auf Englisch) sagt: „Selbst wenn wir die Meinungen nicht mögen, sollten wir sie auf jeden Fall respektieren.“ Der berühmte Handschlag zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident François Mitterrand in Verdun 1984 wird an einer Stelle eingeblendet, an der Steingart sagt: „Die Meinungen der anderen sind die stärksten Kräfte des Fortschritts.“ Der IS-Kämpfer wird an einer Stelle eingeblendet, an der Steingart und Steingarts Tochter abwechselnd sagen, die Meinungen anderer seien „verführerisch und gefährlich“, die größere Botschaft aber sei, dass andere zählen und dass ihre Meinungen zählen.

 

„Es ist ein Werk, in dem jeder Sinn vollständig durch Pathos ersetzt wurde“, findet Niggemeier. Es sei unklar, warum es auf Englisch gedreht wurde. Es sei unklar, warum Steingarts Tochter so schreit und gestikuliert. Es sei unklar, was es überhaupt mit dem neuen Medium zu tun hat. Und Niggemeiers Kritik zielt auch auf die Arbeitsweise Steingarts und dessen Strategie: Jeden Tag verschicke Steingart einen kostenlosen Newsletter namens „Morning Briefing“, der die Nachrichten des Tages ganz im Licht seiner aktuellen Meinung arrangiere. „Zu jeder These, und sei sie noch so steil, sammelt er ausschließlich Indizien, die sie bestätigt, und Zeugen, die ihr zustimmen. Es ist kein Für und Wider, es ist ein Für und Für und FÜR UND F Ü R.“

 

Das könne man natürlich machen, und Steingart sei ja nicht der einzige Großjournalist, der das so handhabe und nur passende Belege heraussuche, meint Niggemeier. Aber er mache das noch konsequenter als andere - und vor allem kombiniere er es mit einem Marketing, das das Gegenteil behaupte.

 

Niggemeier findet Steingarts Fixierung auf Meinungen bemerkenswert: „Meinungen werden doppelt absolut gestellt: Sie sind in jedem Fall zu tolerieren und zu respektieren. Und sie sind alles, was es gibt. Handeln spielt irgendwie keine Rolle.“

 

Das ist für Niggemeier auch aus medialer Sicht interessant, „weil all dieses Bedeutungsgetöse doch irgendwie dazu dienen soll, zahlende Menschen für ein journalistisches Medium zu gewinnen“. Und so schön es sei, darin eine interessante Meinung zu finden oder zelebriert zu sehen - so kostengünstig sei „Meinung“ doch im Vergleich zu so etwas wie „Recherche“ zu haben, rechnet Niggemeier vor. „Aber vielleicht gibt es zur Recherche nochmal ein Extra-Video, sobald die Weltpathosvorräte wieder einigermaßen aufgefüllt sind“, schreibt Niggemeier spitz.

 

Für Niggemeier ist die ganze Kommunikation von Steingarts Unternehmen auf größtmögliche Selbstüberhöhung angelegt: „Ich male mir das so aus, dass Gabor Steingart irgendwann zu Springer-Chef Mathias Döpfner gegangen ist und ihn überzeugt hat, Millionen in das neue Unternehmen zu stecken statt in sowas wie, sagen wir, die 'Welt', indem er es nicht als Schnäppchen, sondern absurd teure Sache verkauft hat. Je mehr es kostete, je absurder es wurde (und dann lassen wir ein eigenes Schiff bauen und fahren damit auf der Spree zwischen Friedrichstraße und Hauptbahnhof hin und her!), desto attraktiver schien die Investition.“

 

Zur Person: Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien. Er ist Diplom-Journalist, hat das Bildblog gegründet und als Redakteur die Medienseite der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ aufgebaut. Er hat für diverse Print- und Fernseh-Redaktionen gearbeitet, unter anderem für den „Spiegel“. Seit 2017 kommentiert er jeden Mittwoch das Mediengeschehen auf Radio Eins und Fernsehserien im „Kleinen Fernsehballett“. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.