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Newsroom – Marc Bartl

„Schicken Sie uns bitte eine Mail“ – wenn Pressesprecher nicht mehr sprechen

„Schicken Sie uns bitte eine Mail“ – wenn Pressesprecher nicht mehr sprechen Jan Dams (Foto: Martin U.K. Lengemann)

WAMS-Chefreporter Jan Dams vermisst den direkten Draht zu Pressestellen. Auf LinkedIn löst seine Klage eine Debatte unter Medienprofis aus – über Vertrauen, Transparenz und den Verlust echter Kommunikation.

Berlin – Selten habe er einen Kommentar auf LinkedIn gesehen, der seine Erfahrung der letzten Zeit besser treffe, schreibt Jan Dams, Chefreporter „Welt am Sonntag“: „Als ich bei Reuters angefangen habe, war es üblich, Pressesprecher anzurufen. Die haben dann mal mehr, mal weniger öffentlich mit einem geredet. Manchmal vertraulich, manchmal zitierfähig. So war das Geschäft. Das ging viele, viele Jahre gut. Wenn ich heute anrufe, bekomme ich zu hören: Schicken Sie uns eine E-Mail. Und es ist ganz egal, ob es sich um staatliche Behörden wie das BSI oder börsennotierte Großkonzerne handelt. Was ist da eigentlich geschehen? Wann sind wir aus dem Gespräch geraten?“

 

Dams bezieht sich auf einen Kommentar von John Stanley Hunter, der schon für „Business Insider Deutschland“ und das „Capital Magazin“ gearbeitet hat und jetzt als freier Journalist tätig ist. Hunter fragte auf LinkedIn: „Warum sprechen Pressesprecher*innen eigentlich nicht mehr mit der Presse?“ Für Hunter ist klar: Pressesprecher sollten doch genau dafür da sein – informiert und befähigt, im Namen ihres Unternehmens zu sprechen.

 

Die beiden Posts von Dams und Hunter ziehen auf LinkedIn rund 200 Kommentare aus der Medien- und Kommunikationsszene nach sich. Eine Auswahl:

 

Anette Dowideit, Chefredakteurin beim Recherchenetzwerk „Correctiv“, hat mit dem E-Mail-Austausch kein Problem: „Vielleicht sind wir bei ,Correctiv‘ da stärker betroffen als andere, aber: Wir brauchen alle Aussagen von Unternehmen schriftlich, damit wir rechtlich abgesichert sind. Meine Erfahrung ist die gegenteilige: Wir schreiben eine Mail, bitten um Antwort bis xyz, stattdessen ruft ein Pressesprecher an und will im Hintergrund etwas erzählen. Wir sagen dann immer: Können Sie gern machen, aber wir brauchen zusätzlich Ihre offizielle schriftliche Antwort.“ Dowideits These: „Ich glaube, es liegt daran, dass immer häufiger rechtliche Auseinandersetzungen über Presseberichterstattung stattfinden – daher die Entwicklung.“

 

„Automobilwoche“-Reporter Michael Knauer sagt auf LinkedIn, er könne die Beobachtung nach 33 Jahren im Journalismus bestätigen – allerdings mit einer Einschränkung. Wenn es Journalistinnen und Journalisten gelinge, auf der „Gegenseite“ Vertrauen aufzubauen – was oft Jahre dauere –, gebe es sie durchaus noch, die wertvollen Hintergrundinformationen und Einordnungen. Meist hätten jedoch nur erfahrene, ältere Pressesprecherinnen und -sprecher das nötige Standing und die Befugnis zu dieser Offenheit. Jüngere Kommunikatoren hätten dagegen oft Angst, zu viel zu sagen, hielten sich strikt an Berichtslinien und verlangten im schlimmsten Fall, dass jede Frage schriftlich eingereicht werde. Das betreffe auch Unternehmen, die mit besonders kritischen Fragen konfrontiert seien. Hinzu komme, dass viele Medien für die Außenkommunikation der meisten Unternehmen an relativer Bedeutung verloren hätten.

 

Thomas Holzamer, Chef vom Dienst Finance Online, schildert seine Sicht: „Ich erlebe es beim Gros der Banken regelmäßig – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Das ganze Presseteam der Reihe nach durchtelefoniert, niemand geht ran, Rückruf Fehlanzeige: Da bleibt dann ja nur noch die vielbeschworene Mail an die Infoadresse. Und ob die rechtzeitig beantwortet wird, bleibt offen. Die Begründung im ein oder anderen Post, wir Journalisten würden das Fragespiel per Mail bevorzugen, kann ich persönlich jedenfalls weder bestätigen noch nachvollziehen.“

 

Man brauche mindestens die Mobilnummer der Pressesprecher, um vielleicht durchzudringen, wirft der SZ-Journalist Peter Ehrlich in die Debatte ein. Ausnahmen bestätigten die Regel. Aber leider gelte das auch andersherum: Viele Medien seien nicht zu erreichen oder nur über Chat-Funktionen für Leser, was den Profis aus Pressestellen wenig nutze.

 

Aus der Kommunikationswelt stellt newskontor-Co-Gründer Marco Cabras auf die Frage „Warum sprechen Pressesprecher*innen eigentlich nicht mehr mit der Presse?“ eine Gegenfrage: „Warum sind eigentlich immer mehr Journalisten nicht telefonisch erreichbar und geben Redaktionen nur noch Sammelmailadressen und Nummern raus?! Ich fände es großartig, wenn wir uns gegenseitig wieder mehr annähern würden – und arbeite auch sehr daran.“

 

Sachar Klein, Chief Attention Officer bei hypr, pflichtet bei: „Warum sprechen nicht mehr Journalist:innen mit PR-Menschen? Oft wird man mit den Worten abgewimmelt: Schreib mir bitte alles in eine Mail.“

 

ECCO Düsseldorf-Geschäftsführer Lutz Cleffmann bedient sich eines berühmten Zitats: „Angst essen Seele auf.“ Cleffmann weiß: „In einer Zeit, da jeder Halbsatz zu einem Shitstorm führen kann, wollen sich alle absichern. Vor Jahren hat mal ein kluger Mensch gesagt: ‚In deutschen Konzernen kommt man nicht nach oben, weil man etwas leistet, sondern wenn man keine Fehler macht.‘ Ich weiß nicht mehr, wer das war, aber es ist nach wie vor wahr.“

 

 

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