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Sensible Sprache in den Medien: Wie Worte wirken – und verletzen können

Sensible Sprache in den Medien: Wie Worte wirken – und verletzen können Peter Linden (Foto: APA-Fotoservice/Schedl)

Was macht Sprache in sensiblen Momenten so heikel – und warum hinken Medien oft hinterher? In der „Journalisten-Werkstatt: Sensible Sprache“ von Peter Linden geht es um Verantwortung, Reichweite und den bewussten Umgang mit Worten.

Berlin – „Wenn jedes Wort zählt: Unwörter, Anglizismen, Gendersternchen – nie wurde mehr über Sprache gestritten als heute. Ein Plädoyer für mehr Geduld und Sensibilität“, schreibt Journalistenaus- und Fortbildet Peter Linden in seiner bereits 30. Werkstatt für den Verlag Oberauer. Und weiter: 

Sicherlich waren auch Sie schon gelegentlich in der (womöglich unangenehmen) Situation, eine Rede halten zu müssen – sei es auf einer Konferenz oder vor der Redaktion, bei einem Workshop, zu einem feierlichen Anlass oder auch nur eine kurze Dankesrede. Selbst Profis wie Filmstars ringen in solchen Momenten offensichtlich um Worte, etwa, wenn ihnen der lang ersehnte Oscar überreicht wird. Jeder Satz, ja jedes Wort muss dem Anlass und den Erwartungen des Publikums gerecht werden: Die Rede soll tiefgründig, aber auch humorvoll sein; sie soll demütig und auf keinen Fall arrogant wirken. Und sie darf, ganz wichtig in diesen Zeiten, niemanden verletzen.

 

Meist gelingt dieser Spagat, weil wir solche Situationen von klein auf tausendfach geübt und durchlebt, vor allem aber deren Konsequenzen erlebt haben: die empörten Reaktionen auf eine missglückte Wortwahl, den falschen Tonfall, zu wenig Demut, zu viel Komik. Die Folgen einer verbalen Entgleisung bleiben zuweilen über lange Zeit hinweg spürbar. All das gehört zur Schule des Lebens, die wir, wie jede Schule, mit mehr oder weniger Erfolg durchlaufen. Spätestens bei Eintritt ins Erwachsenenalter wissen die meisten, wie sie sich in ihrem Umfeld sprachlich zu bewegen haben.

 

Die Krux der Reichweite
Die wirklich großen Probleme entstehen, sobald wir das vertraute Umfeld verlassen. Wenn wir die Audienz unserer Worte nicht vor Augen und womöglich nicht einmal im Sinn haben, während wir einen Text formulieren. Wenn der Anlass weniger konkret und die Erwartungen des Publikums weniger eindeutig sind. Wenn es womöglich so etwas wie „das Publikum“ nicht einmal gibt, weil der Text in alle gesellschaftlichen Gruppen hineinstreut – gedruckt, gesendet und tausendfach geteilt.

 

In solchen Situationen beginnen wir, nicht mehr für andere, sondern über andere zu schreiben und zu sprechen. Die persönliche und räumliche Distanz im Moment des Schreibens, aber auch die zeitliche durch die spätere Rezeption des Texts, entziehen den Schreibenden Präzision, Fantasie und Empathie. Das Ringen um Worte weicht einem automatisierten Prozess, erprobte Versatzstücke, verbrauchte Metaphern und unhinterfragte Klischeebilder treten an die Stelle sorgfältig abgewogener Formulierungen. Nicht wir sind es dann, die die Sprache beherrschen, sondern die Sprache fängt an, uns zu beherrschen.

 

Medien im Rückstand
Viele Unternehmen haben reagiert und verpflichten ihre Mitarbeiterschaft weit jenseits der Kommunikationsabteilungen auf eine „Corporate Language“ (siehe „PR Report“-Werkstatt „Vorsprung durch Sprache“). Die Erkenntnis, dass selbst ein beiläufiger, privater Post womöglich ein komplettes Unternehmen in ein Kommunikations-Desaster führen kann, ist sogar im Mittelstand angekommen. Auf allen Ebenen sollen die Texte daher angemessen und respektvoll klingen. Herabwürdigungen, falsche Bilder und fragwürdige Klischees, so die Erkenntnis, können den ökonomischen Erfolg gefährden.

 

Erstaunlich, dass derlei Denken den Medien noch immer eher fremd ist. Wer eine kritische Auseinandersetzung mit dem gängigen Vokabular oder gar ganzen Diskursen einfordert, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Freiheit der Rede einschränken zu wollen oder gar eine Art Gleichschaltung anzustreben. Die Fronten verhärten. Und die Sprache muss darunter doppelt leiden. Zum einen verliert sie als ideologischer Zankapfel an kreativem Charme: politisch korrekte Texte wirken oft gezwungen, schwerer verständlich, wenig authentisch. Zum anderen wird der Sprache aufgebürdet, was vor allem politisch geregelt werden müsste. Denn Sprache ist in erster Linie ein Ergebnis gesellschaftlicher Verhältnisse und nur bedingt geeignet, diese zu gestalten oder gar zu verändern.

 

Evolution statt Revolution
Was keineswegs bedeutet, dass man den Status quo einfach hinzunehmen hätte. Sprache ändert sich, Sprache kann auch verändert werden – nicht nur in totalitären Regimes. Doch geschieht dies nachhaltig nur evolutionär, nicht revolutionär. Es gelingt nur über veränderte Wahrnehmung, nicht durch Zwang. Sprache wandelt sich in atemberaubender Langsamkeit, die nicht kompatibel ist mit der Welt der Mausklicks. Und sie verändert sich nicht linear, sondern in Wellenbewegungen.

 

Was wir also vor allem brauchen in diesen Zeiten, in denen nicht nur das Klima, sondern beinahe jede Debatte überhitzt: Geduld. Mit den anderen und mit uns selbst.


Und eine neue Sensibilität im Umgang mit der Sprache. Eine Sensibilität, die sich auf vielen Ebenen entfalten muss: Ist das Thema, über das ich schreibe, wirklich relevant, und wenn ja, für wen? Wessen Geschichte erzähle ich, in welchem Rahmen und aus wessen Perspektive? Legt mir etwas die Sätze, die Vergleiche in den Mund? Stimmen die Wörter, die ich verwende, wirklich? Kurzum: Beherrsche ich die Sprache, oder beherrscht die Sprache mich?

 

Zur „Journalisten-Werkstatt: Sensible Sprache“

  • Themen und Perspektiven
  • In der Strukturfalle
  • Die Tücken der Grammatik
  • Wörter und Framing
  • Krieg der „Sterne“
  • Checkliste

 

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