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Sind Sie beratungsresistent, Herr Reichelt?

Sind Sie beratungsresistent, Herr Reichelt? Julian Reichelt

Was „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt im „kress pro“-Titel-Interview auf diese Frage geantwortet hat und warum er niemandem eine Träne nachweint, der „Bild“ verlässt.

Berlin – „Bild“-Chef Julian Reichelt im „kress pro“-Interview:

 

Bei Bild wurden massiv Ressourcen umgeschichtet, die Reibereien in der Printredaktion sind legendär ... 

Julian Reichelt: Ohne Reibung funktioniert sowieso nichts in einem Medienhaus – und das ist auch gut so. Gerade bei einem so wichtigen strategischen Projekt heißt Reibung ja nichts anderes, als dass da etwas hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt wird. In dem Prozess sind wir übrigens immer noch. Es gibt bei Bild auch schon lange keine Printredaktion mehr. Wir sind eine voll integrierte Redaktion. Aus meiner Sicht gibt es niemanden, der das besser geschafft hat, wir sind da auch international die Benchmark. 

 

Der aber in diesem Prozess in erheblichem Umfang Leistungsträger abhandengekommen sind. Von Chefredakteurinnen bei „Bild“ und „Bild am Sonntag“ bis zum Investigativressort ... 

Diese Sichtweise ist extrem Spin-getrieben, aber damit muss ich leben. Es ist doch gut, klar zu sein und zu sagen: An diesen Punkten passen wir nicht mehr zueinander. Dann trennt man sich - und es kommt etwas Neues. Leistungsträger haben wir durch neue Leistungsträger ersetzt. Ich bin froh um diese Umwälzung und unterm Strich mit dem, was nachgekommen ist, furchtbar glücklich. Es bereichert mich jeden Tag, zum Beispiel im Politikressort mit Leuten zusammenzuarbeiten, die nicht sagen, „so war das bei Kohl, so war das bei Schmidt, so war das bei Adenauer“. Die nicht mehr vom Access-Journalismus getrieben sind, wo es nur um Zugänge zu Politikern ging und wo man als Gegenleistung auch schon mal deren Spin übernahm. Das ist vorbei. 

 

Das hört sich nicht so an, als würden Sie jemandem 'ne Träne nachweinen ...

Ich bin so sehr Bild, dass ich niemandem hinterherweine, der sich entscheidet, nicht mehr bei Bild zu sein. Das muss jeder selber wissen. 

 

Mal im Klartext: Wer keine Videos machen will oder kann, braucht sich bei „Bild“ nicht mehr zu bewerben? 

Nein, bei uns kann man sich auf die skurrilste Weise bewerben. Einer unserer tollen Reporter, Sebastian Prengel, war eigentlich Nachtportier in einem Hotel in Freiburg, wo ich bei einer Lesung untergebracht war. Der sagte zu mir: „Sie sind doch der von der 'Bild'-Zeitung. Ich wollte immer zu Bild.“ Und ich sagte: „Gut, fangen Sie an.“ Jetzt hat er aus Beirut berichtet und das sensationell gemacht. Bei uns kann sich jeder bewerben. Die Voraussetzung ist, dass man sagt: Ich liebe „Bild“. 

 

In der Redaktion sagen viele, das müsse eher heißen, man liebt Julian Reichelt. Der Vorwurf lautet Buddy-Kultur. Braucht man einen guten Draht zu Ihnen, um bei Bild erfolgreich zu sein? 

Der besondere Draht zu mir heißt einfach „Ich liebe Bild“. Es gibt in jeder Redaktion Leute, denen Sachen nicht gefallen. Journalisten sind schließlich kritische Menschen und professionelle Fehlerfinder. Damit hören sie auch beim Chefredakteur nicht auf, da muss man durch. Wenn jemand sehr grundsätzlich nicht teilt, was ich sage, ist Bild vermutlich nicht der richtige Arbeitsplatz für ihn oder sie. Wir haben ein Herz für junge Leute wie Peter Wilke, über den jetzt die ganzen üblichen Besserwisser im Netz hergefallen sind, weil er Hare Krishna nicht kannte. Das ist für einen 19-Jährigen keine Bildungslücke. Wir machen da deutlich, wie durchlässig wir sind. Wer die beste Idee hat, kann alles werden. Ich kenne keine andere Redaktion, wo das so ist. 

 

Wie wichtig ist Ihnen Rat von außen? Kritiker sagen, so gut wie gar nicht. Sie monieren beispielsweise, dass die früher so wichtigen Blattkritiken mit externen Gästen kaum noch stattfinden.

Es gibt immer Nostalgiker, die sagen: „Früher war alles besser.“ Eine tägliche Blattkritik interessiert mich nicht. Dafür ist das Bild-Universum zu komplex. Es gibt jetzt eine strategische Bild-Kritik, und einmal pro Woche kommt auch jemand von draußen. 

 

Sind Sie beratungsresistent? 

Kompletter Quatsch. Kein Mensch, der beratungsresistent wäre, würde wie ich zehn Jahre durch die Welt reisen und Menschen fragen, was sie denken. Ich lasse mich vielleicht nicht einfach umstimmen. Aber jemand, der so gerne und leidenschaftlich diskutiert wie ich, ist an nichts mehr interessiert als an anderen Meinungen. 

 

Wie Julian Reichelt seine Redation auf die Video-Strategie einschwört und wie er Bild TV zum Erfolg führen will. Wie die künftige Bild-Strategie aussieht, warum sich Reichelt gerne mit Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt streitet und warum er dankbar für zwei Marktlücken in Deutschland ist. 

Zum kompletten Interview von Steffen Grimberg mit Julian Reichelt in „kress pro“.