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"Stern"-Gründer Henri Nannen noch heute gegenwärtig

Henri Nannen zählt zu den Großen des deutschen Nachkriegsjournalismus. 1948 gründet er das Magazin "Stern" und drängt sich auf der Politik- und Gesellschaftsbühne ins Rampenlicht. Am 25. Dezember wäre Nannen 100 Jahre alt worden.

Hamburg (dpa) - "Der "Stern" ist von Anfang an und dann jahrzehntelang Henri Nannen gewesen - Henri Nannen war der "Stern"." So würdigte Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt einen der einflussreichsten Journalisten der deutschen Nachkriegszeit und den Kunstmäzen bei der Trauerfeier 1996. Der Gründer der Illustrierten "Stern" starb damals im Alter von 82 Jahren. Am 25. Dezember dieses Jahres wäre er 100 Jahre alt geworden.

Nannen zu Ehren hat das Magazin in diesem Jahr bereits ein Sonderheft herausgebracht, ferner ist eine Biografie seiner Enkeltochter Stephanie Nannen über ihren Großvater und dessen "Kosmos" erschienen. Wer also war dieser Henri Nannen, dessen Lebensspanne im vorigen Jahrhundert liegt (1913-1996)?

"Dieses geballte Menschsein, welches sich übersetzt in ein so starkes Mitteilungsbedürfnis" beeindruckt und fasziniert den amtierenden "Stern"-Chefredakteur Dominik Wichmann (42). Persönlich kennengelernt hat er den früheren Blattmacher nicht, aber im Gruner + Jahr-Verlag, dem Stammhaus der Illustrierten, ist er präsent geblieben - nicht zuletzt durch den Henri-Nannen-Journalistenpreis. Seit 2005 wird die Bronzebüste "Henri" vergeben an die Besten dieser Zunft in Reportage, Recherche, Fotografie, für die mutige Verteidigung der Pressefreiheit. Eine von Nannen mitgegründete Hamburger Journalistenschule trägt seinen Namen und zählt seit 1979 zu den renommiertesten in Deutschland. "Wir wollen das Nannen-Erbe nicht verwalten, sondern gestalten", macht Wichmann deutlich.

Schon "Sir Henri" war ein Macher - par excellence: "Ein Berserker, ein Besessener, ein Mensch voller Lebensfreude und Tatendrang, ein Genießer und Charmeur, ein Vollblutjournalist, ein Chefredakteur und Sklaventreiber, ein Mensch!", urteilte einst der frühere G+J-Vorstandsvorsitzende, Gerd Schulte-Hillen, über den ersten "Stern"-Chefredakteur. "Solange er den "Stern" regierte, von 1948 bis 1980, war die Luft bleihaltig, das Tempo stürmisch und der Ton grob", schreibt Claus Lutterbeck, seit 1976 "Stern"-Redakteur, in der Sonderausgabe. "Wer ihm Paroli bot, wurde zwar gebissen, aber Ernst genommen."

Nannen wollte Lieschen Müller stets die Welt erklären und jene mit der "Wundertüte "Stern"" in die Wohnzimmer bringen - Tabubrüche inklusive, wie die 1971 veröffentlichten, aufsehenerregenden Abtreibungsbeichten prominenter Frauen. Der in Emden geborene Nannen, Sohn eines Polizeibeamten, hatte ein Gespür für Geschichten - und Geschichtenerzählen war sein Credo. Bekannt ist, wie Nannen den "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein (1923-2002) 1955 auf einen Flug nach New York - nach heutigem Sprachgebrauch - zutextete. Danach kannte Augstein Nannens Leben; der andere kam den Schilderungen zufolge aber nicht zu Wort. Dennoch pflegten beide eine Jahrzehnte währende Freundschaft.

Zum Lebenslauf Nannens gehört auch dessen Zeit als Kriegsberichterstatter und Bordschütze im Zweiten Weltkrieg. "Wenn mein Großvater auch nicht über die Einzelheiten des Krieges sprach, so sagte er doch sein Leben lang auf unterschiedliche Weise, dass so etwas nie wieder geschehen darf und dass er sich der Tatsache bewusst war, nichts dagegen unternommen zu haben", schreibt Stephanie Nannen, selbst Journalistin, in der Biographie. Die brutalen Kriegserfahrungen und der Wunsch nach Wiedergutmachung veranlassten Nannen, später die Ostpolitik Willy Brandts zu unterstützen. Schon 1957 fährt er mit einem Reporterteam durch die UdSSR bis Moskau - im offenen Cabriolet.

Nannen ist im harten Politikgeschäft zu Hause und beispielsweise beim Kniefall Brandts in Warschau unmittelbar dabei. Aber auch gekrönte Häupter, Prominente und Sportler zieren die Titelblätter. Zu Hochzeiten in den siebziger Jahren kommt der "Stern" in der Auflage auf deutlich mehr als eine Million Exemplare. Im Digitalzeitalter sind es heute nur mehr als 800 000 verkaufte Hefte.

Die unrühmliche Episode um die angeblichen Hitler-Tagebücher 1983 liegt zwar nicht mehr in Nannens Verantwortung - 1980 hatte er sich als Chefredakteur zurückgezogen -, dennoch kehrt er zurück, um den "Stern" in dem Skandal wieder auf Kurs zu bringen. Er kratzt dennoch am Lebenswerk. "Wäre der Schlag nicht so hart gewesen, er hätte sich keine Bühne fernab seines bisherigen Lebens gesucht", bilanziert Stephanie Nannen. Im letzten Lebensjahrzehnt ist die Leidenschaft des Großvaters der von ihm gestifteten Kunsthalle in Emden gewidmet. Auf dem Friedhof dort ist auch sein Grab.