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Newsroom – Wolfgang Messner

SZ-Chefredakteure kritisieren Gesellschafter und Geschäftsführung

SZ-Chefredakteure kritisieren Gesellschafter und Geschäftsführung Judith Wittwer und Wolfgang Krach (Foto: Julian Baumann)

Unmissverständlich sagt die Doppelspitze der „Süddeutschen Zeitung“, was sie von dem jüngsten Stellenabbau und Kurzarbeit in Corona-Zeiten hält – und wer dafür verantwortlich ist. Judith Wittwer und Wolfgang Krach im ungewöhnlichen Interview mit dem „medium magazin“.

Auszug aus dem Titelinterview des aktuellen medium magazin:

 

Frau Wittwer, Herr Krach, die „Süddeutsche Zeitung“ kämpft mit dem „Spiegel“ um die Führerschaft bei den Digitalabonnenten. Wie verträgt es sich da, dass Ihr Haus, statt zu investieren, in zwei Jahren rund 15 Prozent seiner Stellen in der Redaktion abgebaut hat? 

Judith Wittwer: Wir hatten Abgänge von geschätzten Kolleginnen und Kollegen, und das schmerzt. Wir haben aber auch eingestellt. Ihre Rechnung stimmt also so nicht. Seit 2021 haben wir insgesamt 35 Leute hinzugewonnen, allein seit Anfang dieses Jahres sind 21 Datenjournalistinnen, Feuilletonredakteure und Rechercheurinnen zur SZ gestoßen oder fest angestellt worden. 

 

Nämlich? 

Wittwer: Wir haben namhafte Journalisten geholt - etwa Nils Minkmar, der zuvor beim "Spiegel" war und der jetzt für das SZ-Feuilleton schreibt. Dort arbeitet seit Herbst auch Nele Pollatschek. Im Datenjournalismus haben wir Marie-Louise Timcke von Funke als neue Leiterin des Datenteams geholt. Seit Mai verstärkt Lena Kampf das Ressort Investigative Recherche. Das sind nur vier Beispiele.

 

Ihr Haus hat zwischen 2020 und heute 86 der einst rund 580 Mitarbeiter abgebaut. Es stellt sich die Frage, ob diese Mitarbeiter nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ersetzt werden können. 

Wolfgang Krach: Der Stellenabbau ist nie und zu keiner Zeit von der Chefredaktion ausgegangen oder von ihr gutgeheißen worden. Das waren Entscheidungen der Geschäftsführung und der Gesellschafter. Richtig ist, dass wir durch den Stellenabbau rund 50 Kolleginnen und Kollegen verloren haben. Jede und jeder einzelne von ihnen schmerzt. Wir haben aber im Gegenzug, wie Judith Wittwer schon gesagt hat, auch 35 Leute eingestellt. Das Saldo, derer, die uns verlassen haben, und deren, die gekommen sind, ist deutlich geringer als die von Ihnen angeführte Zahl. 

 

Zu den 50 Leuten aus dem Freiwilligen-Programm, dann noch gut ein halbes Dutzend im 60+-Programm und natürlich Fluktuation. Macht insgesamt 86 Stellen. 

Krach: Es sind Kolleginnen und Kollegen gegangen, und es sind andere gekommen. Aber in der Summe sind wir weniger Leute als vor zwei Jahren. 

 

Corona war für die Medien keine Krise, sondern ein Segen. Bei der SZ ist die Zahl der Digitalabonnenten innerhalb der letzten zwei Jahre von 100.000 auf über 220.000 gestiegen.

Wittwer: Corona, diese tödliche Seuche, ist für niemanden ein Segen. Die Tatsache aber, dass sich in Krisenzeiten mehr Leute für guten Journalismus interessieren, ist schön. Der Anstieg bei den Digitalabos auf über 220.000 ist jedoch nicht nur der Pandemie geschuldet. Er zeigt auch, dass unser SZ-Journalismus von einer wachsenden Zahl an digitalen Leserinnen und Lesern geschätzt wird und unser Abomodell funktioniert. Das Jahr 2021 war das erste Jahr in der Geschichte dieser Zeitung, in dem wir uns rein über Vertriebserlöse finanziert haben, also vom Geld derer leben konnten, die als Leserinnen und Leser für ihr Abo oder am Kiosk bezahlt haben. Wenn man bedenkt, dass wir uns vor 25 Jahren zu etwa drei Vierteln aus Anzeigen finanziert haben, ist das sensationell. Wir hätten im vergangenen Jahr den Break-even erreicht, ohne eine einzige Anzeige zu verkaufen. Noch nie ist die Zahl der SZ-Abonnentinnen und -Abonnenten so groß gewesen wie heute. Sie liegt mittlerweile bei 420.000 - ein Grund zum Feiern. 

 

Warum überhaupt der Sparkurs? Die „Süddeutsche Zeitung“ ist wirtschaftlich kerngesund: Bei einem Umsatz von 310 Millionen Euro liegt die Umsatzrendite 2021 deutlich über 10 Prozent. 

Krach: Diese Frage sollten Sie an die Geschäftsführung richten, nicht an die Chefredaktion. Der Stellenabbau wurde zu Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 endgültig beschlossen.Die Prognosen, die dieser Entscheidung zugrunde lagen, waren aus heutiger Sicht allerdings viel zu pessimistisch. 

 

Warum haben Sie sich nicht dagegen gewehrt? 

Krach: Schon die damalige Chefredaktion, die aus Kurt Kister und mir bestand, hat diesen Abbau für falsch gehalten. Dadurch ist die ohnehin bereits hohe Arbeitsbelastung in der Redaktion noch einmal massiv angestiegen. Als Folge davon haben wir heute definitiv zu wenig Leute, um all die Ideen umzusetzen, die wir in der Redaktion jeden Tag haben. Zudem hatte die SZ aufgrund der Pandemie Kurzarbeit angemeldet. 

 

Warum? 

Krach: Die Kurzarbeit war eindeutig verkehrt. Kurt Kister und ich haben uns damals, im März/April 2020, massiv dagegen gewehrt. Wir haben von Anfang an und immer wieder gesagt, warum die Kurzarbeit ein Fehler ist. 

 

Durch die Stellenstreichungen spart der Verlag mindestens 5 bis 6 Millionen Euro im Jahr. Ihre Gesellschafter feiern dies als Erfolg. Doch ohne dieses Programm hätten Sie wichtige Autoren und Autorinnen nicht verloren. Die SZ wirkt geschwächt. 

Krach: Auch diese Zahlen sind nicht richtig. Aber es ist völlig unstrittig, dass etliche gute und sehr gute Leute heute noch bei uns wären, wenn es dieses Stellenabbau-Programm nicht gegeben hätte. 

Wittwer: Das erfolgreiche 2021 führt immerhin dazu, dass wir jetzt wieder investieren.

 

Was die SZ-Chefredakteure Wittwer und Krach über die anstehende Personaloffensive, Identifikation mit der „Süddeutschen“, Kritik an ihrem Führungsstil und dem „wahnsinnigen Druck in der ganzen Branche“" sagen, lesen Sie im kompletten Titelinterview.