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Tim Röhn: „Lauterbach hat gelogen“

Tim Röhn: „Lauterbach hat gelogen“ Tim Röhn

Tim Röhn von der „Welt“ polarisiert wie nur wenige Journalisten seiner Generation. Ein Gespräch über Kritik von Kollegen, die Verantwortung für Hasskommentare und eigene Fehler.

Berlin – Persönliche Angriffe wegen seiner Corona-Recherchen, Twitter-Kämpfe und Unruhen in der Redaktion – Tim Röhn von der „Welt“ polarisiert wie nur wenige Journalisten seiner Generation. 

Attila Albert hat ihn dazu im aktuellen „medium magazin“ befragt.

 

Was macht einen guten Reporter aus?

Tim Röhn: Erst einmal gar nichts zu glauben. Sondern sich Behauptungen, gerade von politischen Entscheidungsträgern, genau anzusehen und darauf abzuklopfen, ob das wirklich so stimmen kann. Und natürlich: vor Ort zu sein, wenn etwas passiert. Man sollte eigentlich immer einen gepackten Koffer bereitstehen haben. So sieht mein Leben auch aus.

 

Wer viel vor Ort ist, wird oft mit tragischen Schicksalen konfrontiert. Besteht da erhöhte Gefahr, vom Journalisten zum Aktivisten zu werden?

Das ist eine Frage, die ich mir oft gestellt habe, seit ich von der EU-Außengrenze berichtet und dort als Reporter großes Leid gesehen habe – etwa an der bosnisch-kroatischen Grenze. Dort lernte ich einmal eine irakische Familie mit einer schwerverletzten Tochter kennen, die in einem Transporter saß, der von der Polizei beschossen worden war. Als Journalist habe ich die Ereignisse recherchiert und mit der notwendigen Distanz aufgeschrieben. Als Aktivist hätte ich versucht, den Leuten aktiv zu helfen, sie vielleicht sogar nach Deutschland zu bringen, denn das war ihr Sehnsuchtsort. Auf jeden Fall hätte ich versucht, mit meiner Berichterstattung Mitleid zu erregen. Aber als Journalist geht all das nicht. Hier ziehe ich klare Grenzen.

 

 

Trotzdem haben Ihnen Kritiker in diesem Jahr häufig Aktivismus vorgeworfen.

Es ging dabei um Berichterstattung zu Corona – ein Thema, dem sie sich zuletzt primär verschrieben haben. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ja, ich teile auch mal aus. Aber Grenzen überschreite ich nicht. Nehmen wir die Geimpften- und Ungeimpften-Inzidenzen, die Behörden in mehreren Bundesländern völlig falsch ausgewiesen hatten. Da habe ich aufgedeckt, dass Menschen mit unbekanntem Impfstatus einfach den Ungeimpften zugerechnet wurden. Die FDP im Bayerischen Landtag griff das auf und bezog sich im Plenum auf meine Recherchen. Anstatt auf den Inhalt einzugehen, hat man begonnen, das als „AfD-Sprech“ und „Querdenkertum“ abzutun. Mit diesen Vorhalten erweise man der Impfkampagne einen Bärendienst, hieß es. Plötzlich musste ich mich dafür verteidigen, meinen Job als Investigativreporter zu machen. Das habe ich getan, mit klaren Worten. Aber Aktivismus? Das sehe ich nicht.

 

Warum haben Sie sich als Reporter, der sonst eher aus dem Ausland berichtete, überhaupt so stark mit diesem Thema beschäftigt?

Ich wollte und will nicht akzeptieren, dass selbst faktisch begründete Widersprüche nicht erlaubt sein sollen. Der heutige Bundesgesundheitsminister hat sicher stark zu diesem Klima beigetragen, als er etwa noch im August 2021 behauptete, die Impfung sei „nebenwirkungsfrei“. Damals hatte ich schon über eine junge Frau geschrieben, die an der Astrazeneca-Impfung gestorben war. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie betroffen ihre Mutter von Karl Lauterbachs Aussagen war. Er hatte gelogen. Als Journalist war es meine Aufgabe, darauf hinzuweisen. Dann war da die FFP2-Maskenpflicht, bei der das RKI mittlerweile klargemacht hat: Eine solche Pflicht sollte es nicht geben. Als ich vor Monaten darauf hingewiesen hatte, habe ich viel Wut abbekommen. Das galt auch für meine Kritik an Äußerungen, wonach mit den Impfstoffen eine Herdenimmunität erreichbar sei. Oder die Behauptung, durch Impfungen könne man Mutationen verhindern. Denken Sie an 2G, ein System, mit dem Geimpfte in falscher Sicherheit gewiegt wurden. An die Impfpflicht, die die Pandemie beenden sollte. Da wurde so viel Unsinn erzählt, dass ich kein Wissenschaftsjournalist sein muss, um zu erkennen: Hier läuft gehörig etwas schief.

 

  • Sind für Sie Situationen denkbar, in denen sich Journalisten mit Blick auf das Gemeinwohl zurückhalten sollten?
  • Im Sommer kündigten drei Mitglieder des Wissensressorts bei „Welt“, darunter Ressortleiterin Pia Heinemann. Dies soll laut Berichten auch mit Ihrer Corona-Berichterstattung zu tun haben – diese habe im Fachressort zu Frust geführt, heißt es.
  • Hat es Sie gar nicht irritiert, dass so viel Kritik auch aus Kreisen des Wissenschaftsjournalismus kam?
  • Auf Twitter haben Sie bald 85.000 Follower, viermal mehr als noch vor einem Jahr. Treibt Sie das an?
  • Sehen Sie sich in der Verantwortung für Hasskommentare unter Ihren Tweets?
  • Man hat Ihnen vorgeworfen, schnell anwaltlich gegen Kritiker vorzugehen.
  • Sie waren bei ServusTV, das die „Süddeutsche Zeitung“ den „Heimatsender des österreichischen Rechtspopulismus“ und das „NZZ Magazin“ die „neue Einstiegsdroge für Corona-Leugner“ nannte. Was hat Sie dazu bewogen?
  • Würden Sie im Rückblick sagen, dass Sie auch Fehler gemacht haben?

Zu den Antworten

 

Zum Autor: Attila Albert hat viele Jahre als Journalist gearbeitet und ist heute als Karrierecoach für Medienprofis tätig.