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Trendforscher Horx: „Hass-Populismus wird uns verfolgen“

Trendforscher Horx: „Hass-Populismus wird uns verfolgen“ Trendforscher Matthias Horx

Wir erleben einen Zeitgeist-Wandel, wie er nur etwa alle 25 Jahre vorkommt.

Frankfurt/Main (dpa) − Der Zukunftsforscher und Soziologe Matthias Horx befürchtet, dass „Hass-Populismus“ Deutschland weiter verfolgen wird. „Gefühle überschwemmen die Gesellschaft und die Politik. Eine Art Angst-Hysterie bricht aus. Dabei spielen negative und übertriebene Angst-Bilder eine Rolle, die sich durch Sensations-Medien ausgebreitet haben“, erklärte der Publizist und Leiter des Zukunftsinstituts in Frankfurt/Main. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Horx auch über den Trend zur Achtsamkeit, die Folgen der Digitalisierung und den richtigen Umgang mit potenziellen Terrorgefahren.

 

Herr Horx, Sie sind Zukunftsforscher und befassen sich mit den Trends von morgen. Welche gesellschaftlichen Phänomene werden die Menschen in Deutschland 2017 beschäftigen?

 

Der Hass-Populismus, das „Postfaktische Zeitalter“ wird uns im nächsten Jahr verfolgen. Es ist ein typischer Zeitgeist-Wandel, wie er etwa alle 25 Jahre vorkommt, zum Beispiel 1968 und 1989. Alte Paradigmen und Denkweisen werden infrage gestellt. Plötzlich wirkt die Welt chaotisch unsicher, unberechenbar, nichts scheint mehr voraussagbar − auch keine Wahlergebnisse.

 

Der Begriff „postfaktisch“ wurde zum Wort des Jahres gewählt. Er beschreibt das Phänomen, wenn die öffentliche Meinung weniger von Tatsachen als von Gefühlen und Ressentiments beeinflusst wird. Sie sprechen gleich von einem „postfaktischen Zeitalter“?

 

Das „postfaktische Zeitalter“ bedeutet, dass eine Grundlage der Fortschritts-Idee − Verbesserung durch Kritik, Vernunft und Debatte − infrage gestellt wird. Gefühle überschwemmen die Gesellschaft und die Politik. Eine Art Angst-Hysterie bricht aus. Dabei spielen negative und übertriebene Angst-Bilder eine Rolle, die sich durch Sensations-Medien ausgebreitet haben.

 

Und positive Errungenschaften werden schnell ausgeblendet.

 

Ja, viele Daten der globalen Entwicklung sind ja positiv, Bildung, Lebenserwartung, Gesundheitszustand − hier hat es enorme globale Erfolge gegeben, auch in armen Ländern. Aber über Positives redet man nie. Gleichzeitig entwickeln sich im Internet die Filterblasen, in denen Menschen alles Mögliche glauben, aber nichts mehr verifizierbar ist. Immer mehr Menschen sind überfordert mit komplexen Themen und glauben dann eben, was im Netz verbreitet wird. Eine Art mentales Rudelverhalten.

 

Welcher Trend wird künftig viel stärker als wir denken?

 

Der Trend zur Achtsamkeit. Achtsamkeit ist einerseits ein neuer Innerlichkeits-Trend, der bedeutet, sich achtsam dem Kleinen, Nahen, Persönlichen zuzuwenden. Also durchaus ein bewusster Rückzug vom Gelärme der Welt, von den hysterischen Übertreibungen. Wir wollen mehr im Leben sein, wir wollen Gefühle und Zwischenmenschlichkeit spüren. Hier formiert sich eine geistige Gegenbewegung zu all dem Schreien und Brüllen und Hassen, das derzeit die Gesellschaft prägt.

 

Gelingt dies auch über einen achtsameren Umgang mit Medien?

 

Es geht darum, die Selbstbestimmung über den eigenen Geist wiederzugewinnen, besonders auch in der Kontrolle über den Mediengebrauch. Wir sehen, dass immer mehr Menschen das Gewüte, Gejammer und Geschreie in Medien und im Internet einfach abschalten.

 

Was ist ein überschätzter Trend, der aber in aller Munde ist?

 

Digitalisierung. Sie wird falsch und übertrieben eingeschätzt, wie auch aus unserem Zukunftsreport 2017 hervorgeht. Eigentlich ist Digitalisierung ein alter Hut, Computer und Rationalisierung verändern seit zwanzig, dreißig Jahren die Arbeitswelt. Aber heute wird Digitalisierung immer mit gigantischen Disruptionen gleichgesetzt, mit dem Zusammenbruch ganzer Märkte. Das ist übertrieben, Digitalität ist einfach nur ein gutes Instrument, das man nicht nur zur Rationalisierung, sondern auch zur Ermächtigung von Kunden und Mitarbeitern einsetzen kann. Die Horrorgeschichte, dass demnächst alle Jobs durch Roboter ersetzt werden, ist Blödsinn. Gerade in den Dienstleistungssektoren, im Kreativen Bereich spielt der Mensch auch künftig die Hauptrolle.

 

Wann hat Sie ein Trend zum letzten Mal so richtig überrascht?

 

Das Ausmaß der Hass-Wogen und die „Vershitstormung der Politik“, diese Gier nach Schwarz-Weiß-Weltbildern. Das war in seinen Ausmaßen schwer vorhersehbar. Die Intensität, mit der große Gruppen in Hysterie und Dumpfsinn verfallen können, und welche negative Wirkung dabei das Internet spielt, ist drastisch.

 

Um dem Geschrei in sozialen Netzwerken und einigen Medien zu entgehen, lohnt sich die digitale Diät? Auch mal offline gehen?

 

In Amerika gibt es längst eine Bewegung der „digitalen Diät“. Unsere Kommunikations- und Informationskanäle sind entzündet. Wir leben in einer Hyper-Erregungs-Welt − das macht auf Dauer krank.

 

Mit Donald Trump ist ein extremer Kandidat zum designierten US-Präsidenten gewählt worden. Welche Folgen hat das für die Bundestagswahl 2017 mit Blick auf die Chancen der AfD, die politische Kultur in Deutschland und den Umgang des Wahlvolks mit den etablierten Parteien und ihren Köpfen?

 

Es ist ohne Zweifel eine Eskalation, die aber auch interessante Gegenkräfte in Gang setzen und positive Nebenwirkungen zeitigen könnte. Trump ist eben auch eine Störung von tradierten politischen Denkweisen und Strategien, die sich totgelaufen hatten. Die kommunikative Bösartigkeit, mit der der Populismus auf der öffentlichen Bühne operiert, entlarvt sich aber auch selbst.

 

Auch 2016 haben Terroranschläge die Welt erschreckt. Was macht dieser Zustand potenzieller Bedrohung mit den Menschen?

 

Die Reaktionen auf den Terror sind ein Beispiel für die „Hysterische Diskrepanz“, den Unterschied zwischen der medialen Welt und der eigentlichen Gesellschaft. Die Bürger haben ziemlich vernünftig reagiert, mit Gelassenheit und einem gewissen Trotz, während die Medien das Thema ausgeschlachtet haben. Viele Menschen haben hingegen verstanden, dass wir durch Angstmechanismen den Terrorismus nur stärken, der ja von Angst und Schrecken lebt.

 

Wie sollte man sich verhalten?

 

Wir brauchen gegenüber dem Terror eine weise Ignoranz, eine existenzielle Gelassenheit. Unser Leben weiterleben, so wie die Franzosen das gemacht haben, ist das Gebot der Stunde. Der Terrorismus gewinnt nur, wenn er die Angst als Lebensgefühl durchsetzen kann.

 

Wie hat Deutschland bislang die Flüchtlingskrise bewältigt?

 

 Deutschland kann als reiches Land eine solche Herausforderung durchaus meistern. Das Ganze ist erstaunlich gut verlaufen. Aber nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Leider wird jedes Problem im Kontext mit Migration radikalisiert und skandalisiert. Es gibt inzwischen einfach zu viele Gruppen, die ein Interesse daran haben, das Ganze zur Katastrophe zu machen.

 

Von Jörn Perske, dpa

 

Zur Person: Matthias Horx (61) ist einer der renommiertesten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Der Soziologe arbeitete zunächst als Journalist und gründete 1999 sein Zukunftsinstitut, das mittlerweile in Frankfurt am Main angesiedelt ist. Das privatwirtschaftlich organisierte Institut hat in den Büros in Frankfurt, München und Wien gut 30 Mitarbeiter und verfügt über ein Netzwerk von 30 Referenten. Horx ist Dozent für Trend- und Zukunftsforschung an mehreren Universitäten.