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Undercover unter Vergewaltigern – und die Frage: Wann müssen Journalistinnen handeln?

Undercover unter Vergewaltigern – und die Frage: Wann müssen Journalistinnen handeln? Isabel Ströh und Isabell Beer (r., Foto: Alex Grantl)

Mehrere Jahre lang haben Isabel Ströh und Isabell Beer im Internet unter Männern recherchiert, die Frauen gezielt betäuben und vergewaltigen. Was können, was müssen Medienschaffende tun, wenn sie Pläne für solche Taten beobachten?

Hamburg – Es war eine der belastendsten Recherchen ihrer Karriere: Isabell Beer und Isabel Ströh haben für „Strg_F“ über Jahre hinweg verdeckt in einem Netzwerk recherchiert, in dem Männer Vergewaltigungen planen und sich über Taten austauschen. Im Interview mit Sebastian Meineck für das „medium magazin“ sprechen sie über ihre Arbeit, ihre Grenzen – und die Entscheidung, die Polizei einzuschalten.  

 

Isabell Beer und Isabel Ströh, ihr habt verdeckt unter Vergewaltigern im Netz recherchiert. Wie seid ihr ihnen auf die Spur gekommen?

Isabell Beer: Ich hatte lange schon den Verdacht, dass auf manchen Pornoseiten Videos von echten Vergewaltigungen an bewusstlosen Frauen hochgeladen werden. Also Videos, die nicht gestellt sind, um einen Fetisch zu bedienen, sondern real. Im Jahr 2020 habe ich mir auf einer dieser Seiten ein Profil angelegt. Ich wollte mit den Usern in Kontakt kommen, um den Verdacht zu prüfen. Aber die sind sehr misstrauisch. Manche schreiben offen, sie nehmen keine Kontaktanfragen von neuen Profilen an, die nichts eigenes hochladen. Als mein Profil zwei Jahre alt war, habe ich gestellte Fotos hochgeladen, auf denen ich scheinbar betrunken auf dem Boden eingeschlafen bin. Mein Profil sollte so wirken, als wäre ich auch ein Mann mit Interesse an dem Thema, der eine bewusstlose Frau heimlich fotografiert hat.

 

Und dann waren die User nicht mehr misstrauisch?
Beer: Ja, manche haben mein Profil sogar direkt angeschrieben und wollten mehr über die Frau erfahren. Wir haben auch einige öffentliche Kommentare auf die Fotos erhalten, darunter Vergewaltigungsfantasien. Richtig Fahrt aufgenommen hat die Recherche dann 2023, als Isabel dazu kam und wir von einem der User in eine Telegram-Gruppe eingeladen wurden.

 

 

Im Lauf der Recherche habt ihr auch die Polizei alarmiert. Für viele Redaktionen ist das eine rote Linie. Wie kam es dazu?

Beer: Wir haben die Entscheidung im Team und mit unserer Rechtsabteilung gefällt. Es geht hier um schwere Sexualstraftaten unter Betäubung, die lebensgefährlich für die Frauen sein können. Hier war uns klar: Es ist nicht vertretbar, nur zu beobachten.

 

Das ist ein tiefer Abgrund. Wie seid ihr vorgegangen, um euch bei der Recherche nicht zu verlieren?

Ströh: Wir haben uns strenge Regeln aufgestellt und bei jedem Schritt abgewogen, ob er wirklich notwendig ist. Wir mussten sicherstellen, dass wir niemanden zu Taten motivieren und keine Aussagen provozieren, sondern möglichst passiv bleiben. Wir haben den Usern vor allem Fragen gestellt wie: „Weiß deine Frau davon?“ Welche Schritte wir gehen, haben wir im Team diskutiert. Für manche User waren wir deshalb zu uninteressant. Sie haben den Kontakt abgebrochen.

 

  • Was konntet ihr dort herausfinden?
  • Es war also eine moralische Entscheidung?
  • Was wurde aus den angezeigten Fällen?
  • In eurem Video macht ihr vieles unkenntlich. Aber ihr zitiert im Wortlaut schwer erträgliche Gewaltfantasien und benennt eine konkrete Website. Wieso?
  • Hatte die Recherche weitere Folgen?

Zu den Antworten

 

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