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Valery Levchenko: Nachrichtenagenturen müssen ins Endkundengeschäft einsteigen

Welche Chancen haben nationale Nachrichtenagenturen überhaupt noch? Wie müssen sie sich positionieren, um weiterhin eine relevante Rolle zu spielen?

Berlin - Auf Anfrage von NEWSROOM hat sich Valery Levchenko, stellvertretender Chefredakteur der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, mit der Zukunft von Nachrichtenagenturen beschäftigt. Levchenko, der bei RIA Novosti auch Kommunikationsdirektor ist, glaubt, dass sich Nachrichtenagenturen viel stärker als eigene Medienmarke positionieren müssen. Levchenko fordert, dass Nachrichtenagenturen lieber heute als morgen Nachrichtenkonsumenten direkt ansprechen und sie als Kunden gewinnen.

Seit Jahrzehnten dienen die nationalen Nachrichtenagenturen den traditionellen Medien wie Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern als verlässlicher Partner.

 

Die Ursprünge der Nachrichtenagentur RIA Novosti gehen bis ins Jahr 1941 zurück. Heute gehört RIA Novosti zur staatlichen RIA-Gruppe, Nachrichten werden auch in deutscher, englischer, spanischer, französischer, arabischer, persischer Sprache sowie in zwei chinesischen Version verbreitet. Täglich werden 5000 Texte, Bilder, Videos, Infografiken oder Audiomeldungen verbreitet, die Nachrichtenagentur hat die größte Fotoredaktion aller russischen Medien. RIA-Novosti-Chefredakteurin ist die 45-Jährige Svetlana Mironyuk. Während in Deutschland das Leistungsschutzrecht von den Verlagen durchgesetzt wurde, hat RIA Novosti einen eigenen "Blogger-Klub" gegründet. Blogger dürfen kostenlos Multimedia-Nachrichten von RIA Novosti für ihre Blogs verwenden. Hier geht es zu den Nachrichten von RIA Novosti in deutscher Sprache.

 

Sie haben sich bislang immer darauf beschränkt, andere Unternehmen zu beliefern. Egal, wem die Nachrichtenagenturen gehören - ob sie sich in staatlicher, in öffentlicher, in halb-privater oder privater Hand befinden - immer standen sie fest an der Seite ihrer Gesellschafter und ihrer Kunden und haben sich ausschließlich auf deren Informationsbedarf konzentriert. Sie selbst sind hinter den Marken ihrer Kunden verschwunden, als Marke traten sie nicht auf.

Im digitalen Internet-Zeitalter kann ein solcher Ansatz erniedrigend und in den kommenden Jahren auch zum Tod der Nachrichtenagentur als Nachrichtengroßhändler, als Lieferanten von Informationen und den damit verbundenen Dienstleistungen führen.

Wie sich Nachrichtenagenturen wandeln müssen

Erstens. Die klassische Informationskette, bei der die Nachrichtenagentur als Großhändler fungiert, funktioniert heute nicht mehr mit den aktuellen Nachrichten, den "breaking news". Ob lokal, national oder internatioal, die Nachricht kann heute von jeder Medienquelle stammen - auch von einem Augenzeugen mit eigenem Twitterkonto. Ist die Nachricht einmal in der Welt, wird sie verbreitet. Da interessiert sich niemand für die traditionelle Hierarchie, Blogs und reine Onlinedienste werden schon längst als originäre Quelle akzeptiert. Alle Informationen konkurrieren im Wettbewerb um den ersten Platz auf dem Bildschirm des Nutzers.

Zweitens. Lokale Medienmärkte werden schon lange von internationalen Nachrichtenagenturen bedient. In Russland werden die Nachrichten von Reuters schon fast genauso häufig veröffentlicht wie die Nachrichten der führenden lokalen Agentur Interfax, einer privaten Nachrichtenagentur, die ihren Schwerpunkt auf Finanz- und Wirtschaftsnachrichten setzt.

Drittens. Lokale und regionale Medien arbeiten heute in großen nationalen und internationalen Ketten zusammen, die wiederum heftig mit den Mitbewerbern konkurrieren. Wenn sie aber Aktionäre oder Gesellschafter der nationalen Nachrichtenagentur sind, wie es ja bei der britischen Press-Association (PA) der Fall ist, wird der Wettbewerb um die beste journalistische Leistung bei den nationalen und internationalen Nachrichten stark beeinträchtigt.

Viertens. Die traditionellen Medien stecken in der Krise. Die Printmedien leiden, die Abonnentenzahl sinkt, der Einzelverkauf und die Werbeeinnahmen fallen. Gemeinsam mit den Fernsehsendern erleben die Zeitungshäuser, wie die jungen Konsumenten, die mit dem Internet aufgewachsen sind, nicht zu Print oder zum linearen Fernsehen zurückkehren. Zur gleichen Zeit erwirtschaften die Digital-Projekte der Verlage keine nennenswerten Erträge.

Fünftens. Mobilfunkbetreiber und globale Aggregatoren nutzen die Angebote mit den internationalen Nachrichtenagenturen direkt, um mit ihren Marken in der Öffentlichkeit zu punkten und ihre Wettbewerbsfähigkeit in den lokalen Märkten zu erhöhen.

Nachrichtenagenturen spielen eine entscheidende Rolle bei dem Wandel der Nachrichtenwelt im Digital-Zeitalter. Wollen Nachrichtenagenturen aber auch in zehn Jahren noch eine wichtige Rolle auf dem Markt spielen, so müssen sie ihre Dienste und Nachrichten an die Anforderungen der Zukunft anpassen.

Die Nachfrage sollte auch dann noch vorhanden sein, denn kein anderes Medienunternehmen kann eine Tiefe und Geschwindigkeit anbieten, wie es Nachrichtenagenturen seit Jahrzehnten gewohnt sind.

Aber wird es nationale Nachrichtenagenturen in zehn Jahren noch geben?

Nachrichtenagenturen werden sich verändern. In den Fällen, in denen die Eigentümer selbst aus dem Print- oder Fernsehgeschäft stammen, werden aus ihnen am ehesten Technik- und Servicedienstleister.

 

Valery Levchenko. Foto: RIA Novosti

 

Befinden sich die Nachrichtenagenturen aber nicht in der Hand von anderen Medien, sondern sind die Besitzer Finanzunternehmen, Regierungen oder die öffentliche Hand, so werden sich die Nachrichtenagenturen in effiziente Multi-Media-Häuser verwandeln können, mit dem Vorteil, dass sie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und 365 Tage durchgehend berichten können.

Nationale Nachrichtenagenturen sollten daher erwägen, so schnell wie möglich ins Geschäft mit den Endkunden einzusteigen, um das Gleichgewicht von Informationen wiederherzustellen und die lokalen Medienmärkte technologisch zu entwickeln und wettbewerbsfähig zu machen.

Dazu gehört es beispielsweise auch, eigene Webportale, mobile Dienste und Apps auf den Markt zu bringen.


Valery Levchenko

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