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Warum der BND transparenter als der „Spiegel“ ist

Warum der BND transparenter als der „Spiegel“ ist Betrifft der Slogan auch die eigene Geschichte?

Wieso der „Spiegel“ nach der dringlichen Selbstaufklärung in der Post-Relotius-Phase noch in Abgründe der eigenen Geschichte blicken muss, erklärt René Martens im „medium magazin“.

Hamburg – Seitdem der „Spiegel“ vor vier Jahren seinen Abschlussbericht der Relotius-Kommission veröffentlicht hat, ist eine Formulierung daraus bisher weitgehend unbemerkt geblieben: Es gebe „noch Hinweise zu ‚Spiegel‘-Texten aus den Fünfzigerjahren, denen nachgegangen werden sollte. Die Arbeit muss in diesem Punkt weitergehen.“

 

Um welche Artikel es sich handelt und ob die Arbeit weitergegangen ist, dazu hat sich der „Spiegel“ bisher nicht geäußert, schreibt René Martens in der „medium magazin“-Kolumne „Backstage“. Verlagssprecherin Anja zum Hingst sagt auf Anfrage nun, die erwähnten Hinweise bezögen sich auf Texte „über angebliche, geheime Ausbildungsstätten“ für Saboteure in der DDR. Im Kern geht es dabei um Ernst Wollweber, später Leiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Er soll „in zwei Lehrlagern“ englische Kommunisten zu „Sabotage-Fachleuten“ ausgebildet haben, wie es in einem Artikel von 1953 hieß.

 

Dieser und ein weiterer Text zu Wollweber sind im Online-Archiv mit einer gleichlautenden Ergänzung versehen: „Die in diesem Artikel gebotene Darstellung“ sei „durch neuere Forschungsergebnisse überholt“. Als Beleg dient ein Zitat aus einem Buch der BND-Historikerkommission. Datiert ist die Anmerkung nicht. Zum Hingst sagt auf Nachfrage, die Texte seien von der Relotius-Kommission im November 2019 ergänzt worden.

 

Für manchen Kenner der „Spiegel“-Historie sind die Korrekturen eine Enttäuschung. Die Abschlussbericht- Formulierung „Hinweise zu ‚Spiegel‘-Texten aus den Fünfzigerjahren“ hatte zumindest die leichte Hoffnung geweckt, dass der „Spiegel“ sich mit seiner symbiotischen Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dessen Vorläufer Organisation Gehlen (Org) in jener Zeit auseinandersetzen würde.

 

Zumal im Oktober 2018 – zwei Monate, bevor der Relotius-Skandal ans Licht kam – ein weiteres Buch der BND-Historikerkommission erschienen war: „Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946 – 1953“. Darin werden dank des Zugriffs aufs BND-Archiv manch neue Details präsentiert, das gilt vor allem für die Rolle des Geheimdienstlers Hans-Heinrich „Worgi“ Worgitzky.

 

Den verband nämlich „eine Jahre währende wunderbare Freundschaft“ (Buchautor Klaus-Dietmar Henke) mit „Spiegel“-Führungskräften. Worgitzky war demnach quasi-redaktioneller Mitarbeiter, nahm im Sinne des Geheimdienstes Einfluss auf die Akzentuierung oder Überarbeitung von Texten, redigierte auch mal selbst. Mit der Wahrhaftigkeit verpflichtetem Journalismus hatte das nicht viel zu tun.

 

Eigentlich war das also eine gute Vorlage für den „Spiegel“, nach der dringlichen Selbstaufklärung in der Post-Relotius-Phase noch in andere Abgründe der eigenen Geschichte zu blicken. Stattdessen stehen wir seit Jahren vor einer paradoxen Situation: Ein Geheimdienst, der naturgemäß was zu verbergen hat, geht mit seiner Geschichte offener um als ein Medienhaus, von dem man Transparenz erwarten darf.

 

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